Wie die Ziehung der Lottozahlen
Wenn Jutta Brückner einen Vortrag hält, steht meine Konzentration vor argen Herausforderungen. Ihre Reden sind so gedankenreich, stellen so behände Zusammenhänge her und fällen so sorgfältige Urteile, dass ich kaum mitkomme. Sie stecken voller Formulierungen, die ich steheln möchte. Wenn ich mir eine notiere, laufe ich stets Gefahr, die folgende zu verpassen.
Zum Glück steht der Vortrag, den sie im April auf dem Lichter Filmfestival in Frankfurt gehalten hat, im Netz (https://www.youtube.com/watch?v=KrIee95iiDQ). Die Regisseurin sprach dort beim Kongress "Zukunft Deutscher Film" über die Filmförderung; ihr Impulsreferat ging einer Podiumsdiskussion über deren Novellierung voraus, die Sie ebenfalls unter obigem link verfolgen können. Es ist eminent persönlich gehalten. Die Regisseurin greift auf eigene Erfahrungen zurück, die sie sowohl als Einreichende wie als Mitglied von Gremien gesammelt hat. Nach Ende des Kongresses schickte sie mir freundlicherweise das Manuskript, das ich im April noch etwas kämpferischer las (das mag einer der Gründe gewesen sein, weshalb mir die Selbstbeweihräucherung der Branche bei der Lola-Verleihung dermaßen gegen den Strich ging), nach Ansehen der Aufzeichnung ging ich entspannter heran. Beide Male beeindruckte mich, wie beherrscht Jutta Brückner argumentiert: Trotz der eigenen Betroffenheit verliert sie das Gesamtbild nie aus den Augen. Beim FFG geht es um die Bahnen, in die das deutsche Kino gelenkt wird. Umso begrüßenswerter (und notwendiger) ist, dass der Vortrag ein Nachleben haben wird. Derzeit schreibt sie eine überarbeitete Fassung, die in der wackeren "Black Box" erscheinen soll. Im Herbst werden die zehn Thesen zum deutschen Film, die sie formuliert, möglicherweise in epd Film publiziert.
Mithin schreibe ich heute über eine Etappe, die nicht vorläufig, sondern belastbar ist (die Grundaussagen bleiben gewiss unberührt von den Metamorphosen, die der Text durchläuft) - ein Werk, das im Entstehen begriffen ist, sich entschlossen weiter voran tastet. Seine Struktur ist mitnichten sprunghaft, aber die Ideen sind auf dem Sprung. Denn natürlich setzt sich Brückner nicht nur mit den Fährnissen der Filmförderung auseinander, sondern nimmt in den Blick, was generell im deutschen Kino möglich ist oder eben nicht. Dazu passt ihr Bedauern, dass die in dieser Gemengelage entstehenden Film oft nur ein einziges Thema haben (dürfen) und nicht ein ganzes, kühnes Bündel. Jedoch ist das Bild, das sie von der Filmförderung zeichnet, verheerend. Sie weiht in kafkaeske Zustände ein. Die Institutionen sind Festungen, die sich selbst schützen, Ausbünde einer Bürokratie, die ausbremst, was die Maschinerie ins Stocken bringt. Sie ist vollends zufrieden, wenn ihre Regeln eingehalten werden. Was für Filme sie gebiert, ist ihr nachrangig. Den gefällten Entscheidungen gebricht es an Transparenz; Brückner sieht ein vor-demokratisches Herrschaftswissen wirken. Glück, Schicksal oder Gnade bilden eine Trias, mit der sie sich nicht abfinden mag. Werden Entscheidungen ausnahmsweise doch namhaft gemacht, kommen zuweilen haarsträubend anmaßende Erklärungen wie diese hinaus: Ihr aktuelles Projekt befinde sich nicht auf „dem aktuellen Stand des Feminismus“, wurde Brückner bescheinigt. Eine Autorität, die über ein so vollumfängliches Wissen verfügt, würde man gern mal kennenlernen. Aber vielleicht doch lieber nicht, denn die Regisseurin musste zudem eine "pädagogische" Fassung schreiben, in der deutlich werden sollte, ob eine Szene nun gerade Erinnerung, Traum oder Projektion ist. Sie war mit einer Diktatur der Buchstäblichkeit konfrontiert, die offenkundig über keine nennenswerte visuelle Vorstellungskraft verfügt und deshalb strikt nach Papierform urteilt.
Brückner hat ihren Kafka gelesen, sie kennt aber auch ihre Hannah Arendt (die "Niemandsherrschaft") und ihre Irmgard Keun ("das alte deutsche Mixgetränk"). Ihre Befunde wären bestimmt ganz nach dem Gusto meines Kollegen Matthias Dell, der als Filmredakteur des "Freitag" nicht müde wurde, die Geltungssucht und Ahnungslosigkeit der Filmförderer zu geißeln. Ganz so simpel ist es aus Brückners Warte nicht. Zu ihrer Erfahrung gehört eben auch, dass sie auf kluge, mutige Köpfe traf, die sich einem Klima lähmenden Mittelmaßes widersetzten. Von einem Genie des Systems mag man mitnichten reden; großartige Filme entstehen wider den Normalzustand. Wenn Brückner von einer „naiven Zensur“ schreibt, begreife ich augenblicklich, was sie meint. Wie ein befristetes Intendanzmodell aussehen könnte, für das sie plädiert, würde ich gern ausführlicher erfahren.
Für Anekdotisches ist ihr die Redezeit zu kostbar; abgesehen mal von jenem Bonmot eines Kollegen, dem dieser Eintrag seine Überschrift verdankt. Ihre Argumentation schöpft aus 50jähriger Erfahrung. Dazu gehört, dass in den 1980er Jahren ein Kino der Frauen aufblühte, eine reiche Avantgarde, die rasch an die Ränder abgedrängt wurde. "Diesen Filmarbeiterinnen hat man kein Lebenswerk erlaubt" sagt sie knapp und ohne Selbstmitleid. Sie schlägt Schneisen durch ein verwalterisches Dickicht, das nicht nur Energie und Kräfte verschleißt, sondern auch die Phantasie. Letzteres liegt mir besonders schwer im Magen, denn von Filmemacherinnen und Filmemachern erwarte ich, als sei dies selbstverständlich, Elan. Ich persönlich wäre nicht geschaffen für diesen Parcours der Auszehrung und Ungewissheiten. Brückner schaut nach Österreich und die Schweiz, wo die Filmförderung neue Wege beschreitet, die künstlerisches Potenzial offenbar weniger bürokratisch aufschließen. (Ich hätte automatisch zuerst nach Frankreich geblickt, aber der Vortrag treibt womöglich ja auch mir Reflexreaktionen aus.) Das Nichtsdestotrotz ist machtvoll in ihrer Rede. Geld allein ist machtlos, schreibt sie, ohne die Kreativität der Filmschaffenden. So klar kann man die Verhältnisse stellen.
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