Mehrwert in der Poverty Row

John Wayne mochte den Klang des Wortes Republik, aber vor allem, was in ihm mitschwingt: "It means people can live free, talk free, go or come, buy or sell, be drunk or sober, however they choose. Some words give you a feeling."

Diesen Mitklang beschwört er in »Alamo«, seiner ersten offiziellen Regiearbeit. Die hätte er gern schon in dem Studio gleichen Namens realisiert, dessen größter Star er war und in dem er anfing, seine Filme selbst zu produzieren. Dreißig drehte er bei Republic, nur diesen wollte ihm die Studioleitung aus Kostengründen nicht genehmigen. Freilich hätte er auf der patriotischen Linie des Studios gelegen, das schließlich das Wappentier der USA, den Adler, in ihrem Firmenlogo führte. Meist ruht er im Vorspann auf einem Felsen, zuweilen auf einem Gebäude; im Abspann geht er gelegentlich zum Angriff über. Der Gründer Herbert J. Yates war ein Geschäftsmann, der zuvor mit Tabak handelte und dann in einige kleinere Studios investierte, die er 1935 zusammenschloss. Zweifellos hielt er es mit dem Diktum des ehemaligen Präsidenten Calvin Coolidge: "The business of America is business." Es trifft sich, dass Yates der Sohn eines Bibelverkäufers war. Zwischen 1935 und 1959 brachte Republic 1081 Filme heraus, wie Hannes Brühwiler ausgerechnet hat. Er ist der Kurator der Filmreihe, die das Filmpodium Zürich dem Studio widmet. An den Rändern des Hollywoodgeschäfts zu forschen, ist eine glänzende Idee in Zeiten, in denen Feuilletons heuer banalere Firmenjubiläen wie das von MGM feiern. Grundlegende Pionierarbeit hat die Enthusiastin Gina Telaroli bereits 2018 geleistet, als sie eine Retro für das Museum of Modern Art konzipierte. Auf der Website (https://www.filmpodium.ch/reihen-uebersicht/58067/) ist ein Gespräch zu lesen, das Brühwiler mit ihr geführt hat-

Im Ökosystem der Filmmetropole gehörte Republic zur Poverty Row. Dort wurde am Fließband produziert. In einem Nachruf auf die unlängst im Alter von 102 Jahren verstorbene Schauspielerin Barbara Fuller erfuhr ich, dass sie während ihres Einjahresvertrags ab 1949 dort geschlagene 13 Filme drehte. Das Kerngeschäft des Studios waren überwiegend in Schwarzweiß gedrehte Western, Serials und Abenteuerfilme an exotischen Schauplätzen (aber nur, sofern diese sich in den Ateliers in Studio City oder der Ranch in Encino fingieren ließen. Für Dreharbeiten waren in der Regel nur wenige Tage festgesetzt, bestenfalls ein paar Wochen. Bei Prestige-Produktionen konnte auch mal ein Monat überschritten werden. Die Budgets rangierten zwischen 30000 und höchstens 300000 Dollar. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Yates offenbar so gut gewirtschaftet, dass er auch schon einmal ein Million für eine Premium-Produktion ausgeben konnte. Nun werden auch die Regisseure namhafter. Allan Dwan und Frank Borzage etwa, die bei den Major Studios nicht mehr so hoch im Kurs stehen, finden hier Obdach. Anthony Mann und andere aufstrebende Talente verbringen interessante Lehrjahre in Studio City. Es herrscht Aufbruchstimmung. Borzage dreht 1946 nach einem Drehbuch von Borden Chase den ersten Farbfilm des Studios, »I'll always love you«, in dessen Vorspann das traditionelle Firmenlogo dezent ersetzt wurde. Das Milieu, die Welt der klassischen Musik, ist hinreichend erlesen drapiert. Obwohl die Charaktere (ein selbstherrlicher Maestro und seine dann doch eigensinnige Schülerin) veritable Globetrotter sind, trägt sich der Film wesentlich in Interieurs zu. Mit Ernst Fegté verfügt das Studio über einen ausgezeichneten Szenenbildner. Auch Orson Welles' „Macbeth“ atmet ausschließlich Studioluft; viel Geld und Hoffnungen setzt Yates wohl nicht auf ihn. Bei John Ford, der bei Republic unter anderem 1952 sein langgehegtes Projekt »The Quiet Man« (Der Sieger) realisieren kann, sieht das schon anders aus.

Über die meisten Filme hat sich längst gnädiges Vergessen gelegt. In einigen fristete Erich von Stroheim sein darstellerisches Gnadenbrot. Große Stars konnte Yates sich nur in Ausnahmefällen leisten (meist in der Abenddämmerung ihrer Karrieren), dafür baute er seine Entdeckung und spätere Ehefrau Vera Hruba Ralston, eine tschechische Eiskunstläuferin, zum viel belächelten Markenzeichen aus. In Zürich tritt sie, soweit ich es übersehe, nur einmal in Erscheinung. Die Filmauswahl lässt zwar einen gewissen Studiostil kenntlich werden, taucht aber eher nicht in die Niederungen ein, sondern präsentiert Beispiele, die in der einen oder anderen Weise herausragen. (die hier besprochenen Filme sind auch auf DVD, Blu-ray oder auf Youtube zugänglich). Wie Hitchcocks »Marnie« in diese Studiogeschichte passt, werden Elisabeth Bronfen und Thomas Binotto am 10. Juni erklären müssen. Fünf Tage davor macht Telaroli das Zürcher Publikum mit einigen der prägenden Regisseure vertraut.

John H. Auer gehört von der ersten Stunde an dazu. Jean-Pierre Coursodon und Bertrand Tavernier schreiben ihm in ihrer Geschichte des US-Kinos eine kuriose Mischung aus Konventionalität und Innovation zu. Sein Polizeifilm »City that never sleeps« (Chicago – 12 Uhr Mitternacht, 1953) birst vor Einfallsreichtum. Einige Passagen sind wunderbar detailverliebt inszeniert. Der inspirierte Routinier kann allerdings auf ein Drehbuch zurückgreifen, das Steve Fisher wahnwitzig raffiniert konstruiert hat. Die gesamte Handlung, in der sich eine Kaskade von Schicksalen entscheidet, spielt in einer einzigen Nacht. Ständig nehmen die Ereignisse eine neue Wendung, Pläne müssen jäh über den Haufen geworfen werden, unverhoffte Allianzen bilden sich (namentlich zwischen dem materialistischen Cop Gig Young und dem „Mechanical Man“ im Schaufenster eines Nachtclubs, die eigentlich um die Liebe der Sängerin Mala Powers rivalisieren. Die Erzählerstimme aus dem Off gehört der Stadt selbst, die darüber philosophiert, was aus ihren Einwohnern werden soll.

Die Lichtsetzung von John L. Russell ist ungemein atmosphärisch. Auch bei Borzages Spätwerk »Moonrise« (Erbe des Henkers, 1948) steht er hinter der Kamera, einem widerspenstig lyrischer Film Noir, der praktisch nie das Atelier verlässt. Drehbuch, Montage und Bildkomposition sind faszinierend brüchig, der Film ist so bi-polar wie sein tragischer Held (der von dem sonst mittelprächtigen Dane Clark gespielt wird, dessen Kindergesicht hier aber gut passt). Der beklemmenden Stimmung von Heimsuchung und Verhängnis entkommt er erst am Schluss. Borzages Mystizismus blitzt schon in »I'll always love you« heftig auf, wo er in parallel geführten Konzerten eine übersinnliche Verbindung zwischen den getrennten Protagonisten schafft und sie gleichsam telepathische Zwiesprache halten lässt.

Bei Republic konnte mitunter Exzentrik aufblühen. Es war kein Freistaat, aber die Genres dienen als Gefäß für Schmuggelware. Das ist das Spannende an Republic-Filmen: Man weiß vorher nie so genau, was einen erwartet. Auf jeden Fall aber findet das Übersinnliche, Transzendente eine Heimstatt. Selbst der trockene Film Noir »City that never sleeps« weist eine überirdische Schlusspointe auf. Liebespaare dürfen nach dem Tod vereinigt werden. »Wake of the Red Witch« (Im Banne der roten Hexe, 1958) ist in dieser Hinsicht womöglich das Opus Magnum des Studios - ein Südseeabenteuer, das wie Londons »Der Seewolf« beginnt und sodann in einem Labyrinth der Rückblenden einen tollkühnen romantischen Überschuss entfaltet. Noch ein Film, der ebenso brüsk wie sein Held die Stimmung wechselt. John Wayne hat darin eine ganz außerordentliche Rolle, die seine damals schon einigermaßen gefestigte Persona in ungewohntem Ambiente entwurzelt und vor ungekannte Erfahrungen stellt. Eine schöne Rede darf er auch hier halten, er beschwört sein Schiff als lebendige Heimat freiheitsliebender Männer.

Einen Wayne-Film vermisse ich schmerzlich in der Filmauswahl. Nein, nicht »Sands of Iwo Jima« (Er war unser Kamerad, Regie: Dwan), der ihm und dem Studio einen Strauß von Oscar-Nominierungen einbrachte, sondern »Angel and the Badman« (Der Schwarze Reiter, 1947). Das ist das Regiedebüt seines späteren Stammautors James Edward Grant, dem man anmerkt, dass er zum Glück nicht immer wusste, was man eigentlich nicht machen kann. Die wundersam heitere Westernkomödie handelt von einem gefeierten (auch gefürchteten), überdies ziemlich lebenslustigen Revolverhelden, der bei einer Quäkerfamilie Zuflucht findet, nachdem er angeschossen wurde. Während seiner Rekonvaleszenz entspinnt sich eine Liebesgeschichte mit der trefflichen Gail Russell, vor allem lernt er jedoch eine andere Lebensweise kennen, in der sich Konflikte auf friedliche Weise lösen lassen. Der Gesetzeshüter, der ihn mit unerbittlichem Wohlwollen verfolgt (Harry Carey), sagt einen der schönsten Western-Sätze überhaupt, der leider folgenlos (im Genre, in der US-Geschichte) blieb: "Only a man who carries a gun ever needs one."

»Angel and the Badman« wäre ein prächtiges Pendant gewesen zu einem der Glanzstücke der Filmreihe, »Stranger at my Door« (Der Schwarze Mustang) von 1956. Dessen Regisseur William Witney, man kommt nicht drumherum, das zu erwähnen, schätzt Tarantino angeblich mehr als John Ford. Im Kern ist sein Western ein ruppiges Remake von »Angel and the Badman«. Beide fangen jäh mit einer Actionszene an und beide handeln von der Bekehrung eines Outlaws. Ein berüchtigter Bankräuber (Skip Homeier) findet Zuflucht auf der Ranch eines Pastors (MacDonald Carey), mit dessen Sohn der Gesetzlose rasch Freundschaft schließt und dessen Frau (Patricia Medina) er offensiv nachstellt. Der Pastor will ihn um jeden Preis auf den richtigen Weg zurückführen. Daraus wird ein Duell willensstarker Gegenspieler. Dem Film ist eine metaphorische Ebene eingezogen, die den Charakteren durchaus bewusst ist. Der Pastor kauft einen wilden Mustang, den er zähmen will. Er dürfte das böswilligste Pferd der Filmgeschichte sein. (Der deutsche Verleihtitel ist gar nicht so dumm.) Die Sequenz, in der er erbarmungslos die Bewohner der Ranch attackiert, ist schier unfassbar. Der Pastor, der auf der Ranch eine Kirche bauen will (eine Reverenz an Fords zivilisierten »My Darling Clementine«?) lässt nicht locker: ein Menschenfischer ohne Gnade.. In der Katharsis im Zeichen des Kreuzes kulminiert der Erzählimpuls der Läuterung, der sich durch so viele Republic-Filme zieht. Der Sohn des Bibelverkäufers wusste genau, was er produzierte.

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