À l'écoute 2

»Araf - Somewhere in between« (2012). © One Filmverleih

Vor etwas mehr als einem Monat, im Eintrag vom 26.4., habe ich Ihnen den französischen Toningenieur Bruno Tarrière vorgestellt. Damals unterhielten wir uns über seine Arbeit an »Zärtlichkeit« von Marion Hänsel. Wir verabredeten, das Gespräch anlässlich des Kinostarts von »Araf« fortzusetzen. Nun ist der neue Film von Yesim Ustaoglu angelaufen (über den Silvia Hallensleben sehr schön geschrieben hat) und wir lösen unser Versprechen ein.

GM: Bruno, wir befinden uns in einer ähnlichen Ausgangssituation wie bei »Zärtlichkeit«: ein Winterfilm, der zu einem Gutteil in Fahrzeugen spielt. Dennoch scheint mir, bei »Araf« folgte Ihre Arbeit anderen Parametern. 

BT: »Zärtlichkeit« ist ja fast eine Komödie, während »Araf« ein eher atmosphärisch ausgerichteter Film ist. In ihm wird viel, viel weniger gesprochen. Die Geräusche spielen also eine größere Rolle. Yesim und ich wollten eine Tondramaturgie, die den Realismus hinter sich lässt, suchten eine poetischere Perspektive. Natürlich ist sie grundiert in der Realität: Es ist wichtig, dass der Ton die Härte und Tristesse des türkischen Winters widerspiegelt. In »Zärtlichkeit« dämpft der Schnee die Geräusche. Hier ist das Verhältnis von Innen und Außen ganz anders. Man hat nicht das Gefühl, dass es in den Innenräumen warm und behaglich ist. Bei den Szenen im Lastwagen beispielsweise, den eine der Hauptfiguren fährt, habe ich einerseits sehr viel Direktton in der Kabine aufgenommen. Das ist nicht einfach, weil es dort wenig Platz für die Ausrüstung gibt. Zugleich wollte ich bei der Mischung wechselweise auch auf die Straßengeräusche jenseits Windschutzscheibe zurückgreifen können.

GM: Der Blick durch Fensterscheiben zieht sich durch den gesamten Film. Es gibt eine Barriere zwischen dem Innen und Außen, die der Ton überwinden muss. Besonders deutlich wird das in einer Szene in der Raststätte, in der die Heldin Zehra arbeitet. Da ist zuerst das Geräusch des ankommenden Lastwagens zu hören, bevor er sich dann im Fenster spiegelt.

BT: Wenn ich mich richtig erinnere, ist sie vor Müdigkeit eingeschlafen und wird durch das Geräusch geweckt. Die Kamera bleibt auf ihrem Gesicht. Und das Geräusch der sich öffnenden Fahrerkabine ist wie ein Scharnier, das sie vom Traum in die Realität befördert.

GM: Ähnlich verfahren sie auch in »Le Passé – Das Vergangene«, wo Bérénice Bejo versunken in ihrer Küche sitzt - und dann bricht unversehens ein Geräusch aus der nächsten Szene in diesen Moment ein, das Öffnen der Türen einer Metro.

BT: Ja, in dieser Art von Film muss der Tonschnitt den Zuschauer zuweilen sanft aufschrecken, um ihn in eine andere Realitätsebene zu befördern. Er fungiert wie ein Satzzeichen. Beide Filme versenken sich in den Seelenzustand ihrer Heldinnen. Da arbeitet man zwar auch mit Korrespondenzen, akustischen Überleitungen, aber vor allem doch mit Brüchen, mit starken Kontrasten.

GM: War es von Anfang an klar, dass das Eindringen der Umgebung in die Innenräume ein dramaturgisches Leitmotiv sein würde?

BT: Das wurde rasch deutlich. Zehras Zimmer beispielsweise durfte kein behagliches Refugium sein. Sie lebt in einer Industriestadt. Für die Dynamik der Tonspur war es also wesentlich, ein Klima der Unruhe, der untergründigen Gewalt und Verschmutzung zu schaffen, dem sie nicht entrinnen kann. Der Lärm der Maschinen sollte als Rhythmus im Hintergrund immer präsent bleiben, wie ein Perkussionsinstrument. Ich vermute, den meisten Zuschauern fällt das gar nicht auf. Aber ich glaube, atmosphärisch teilt es sich mit.

GM: Bemerkenswert finde ich, wie oft die Töne aus dem Off kommen.

BT: Yesim hat das Bedürfnis, mit jedem Film einen Schritt weiter zu gehen in der Erkundung der Möglichkeiten des Tons. In »Araf« gibt es ein ungeheure Verdichtung. Hier existiert die Außenwelt oft wirklich nur auf der Tonspur. Yesim hat viele Einstellungen gedreht, obwohl sie wusste, dass man sie später im Film gar nicht sehen wird, sondern nur Zehras Reaktion auf die Geschehnisse. Ich finde das dramaturgisch sehr gelungen, vor allem in den Passagen, nachdem sie ihr Kind abgetrieben hat. Als die Polizei an der Wohnungstür klingelt, bleibt die Kamera auf ihrem Gesicht. Erst später kommt die Mutter ins Bild. Und danach, in der Szene bei der Psychologin ist es ebenso, da verschwinden die Stimmen der Anderen immer mehr. Bei solch verinnerlichten Filmen ist es meine Aufgabe, eine Art akustischer Blase zu schaffen, in der die Figuren gefangen sind, diese aber auch immer wieder aufzubrechen.

GM: Sie sprachen anfangs davon, wie spärlich die Dialoge in diesem Film sind. Die Liebesgeschichte Zehras mit dem Fernfahrer wird praktisch ohne Worte erzählt. Er schweigt in jeder Szene, und sie spricht  erst nach der zweiten Liebesnacht.


BT: Der Darsteller sprach auch auf dem Set wenig. Ich glaube, er hatte ursprünglich ein, zwei Dialogsätze, die Yesim aber herausgeschnitten hat. Das war eine kluge Entscheidung, denn es passt zu seinem machistischen Gehabe, dass er wenig sagt, stumm bleibt.

GM: Dafür ist das Atmen der Beiden sehr präsent.

BT: Genau, darauf haben wir schon bei der Aufnahme des Originalton sehr genau geachtet. Ich hielt dann bei der Mischung daran fest, in dem ich die meisten anderen Geräusche herausfilterte. Ich habe ihrem Atmen noch mehr Gewicht gegeben, weil es die Intimität der Szenen verstärkt. Es korrespondiert auch mit seinem Atmen in der Kabine des Lastwagens. Das sind Dinge, in die man sehr viel Arbeit steckt, die der Zuschauer aber vermutlich nur in einem Kino mit wirklich guter Akustik mitbekommt.

GM: Die zweite Liebesnacht verbringen sie in einem Hotel am Meer, das praktisch nur durch Möwenschreie etabliert wird. Die haben Sie doch sicher nachträglich hinzugefügt?

BT: Stimmt. Allerdings hört man einmal auch im Hintergrund das Tuckern eine Fischerbootes, das hinaus aufs Meer fährt. Die Möwenschreie bringen einen anderen Appell, eine andere Farbe in die Szene. Ihr heller Klang unterstreicht, dass dies einer der wenigen Momente des Glückes ist, den sie in dieser ansonsten grauen Welt erlebt.

GM: Auch hier ist der Ton subjektiv: Er nimmt, stärker noch als die Inszenierung, ihre Perspektive ein.

BT: Ja, das gilt ebenso für die Szene, in der er sie verlässt. Sein Lastwagen verschwindet in der Ferne, wirkt fast wie eine Luftspiegelung in der Wüste, und dazu hört man kurz den Schrei eines Vogels.

GM: Auch im Stellenwert, den die Musik einnimmt, unterscheiden sich »Araf« und »Zärtlichkeit« sehr. Meist erfüllt sie eine eher atmosphärische als dramaturgische Funktion. Ich stelle mir vor, dass die Hochzeitsfeier, bei der Zehra und der Lastwagenfahrer sich kennenlernen, eine besondere Herausforderung für Sie darstellte.

BT: Richtig, ich habe enorm viel Zeit und Arbeit auf sie verwendet. Sie war ursprünglich viel,viel länger, man sah ausführlicher, wie er sie anmacht. Das war aber zunächst einmal eine Herausforderung für Sylvain Malbrant, der die Musik wunderbar geschnitten hat: Man merkt kaum, dass die Figuren zu unterschiedlichen Liedern tanzen. Bei der Mischung musste ich ein Gleichgewicht herstellen zwischen der Musik und der Fröhlichkeit der Gäste. Die Energie der Tonspur ist entscheidend: Ist sie zu laut, zu leise, lenkt irgendein Element ab) Ich habe mit mehreren Varianten experimentiert. Eine Möglichkeit war, die Musik nicht als etwas zu begreifen, das in der Szene gespielt wird, sondern über ihr liegt. Aber ich fand, das gab ihr einen zu objektiven Charakter. Es entfernte den Zuschauer zu sehr von diesem Moment. Das war falsch in einem Film, der so stark der Subjektivität des Blickwinkels verpflichtet ist.

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