DVD-Tipp: Film Noir Box: »Mord, Geheimnisse und Intrigen«
Genau genommen handelt es sich beim Film noir um US-amerikanische Genrefilme semi-krimineller Thematik, die während eines bestimmt umrissenen Zeitraums – den 1940er und 1950er Jahren – entstanden und die Traumatisierungen sowie unterbewussten Stimmungen der Nachkriegsgesellschaft reflektierten. Distinktiv war eine pessimistische Weltsicht, die sich gern zynisch äußerte. Häufig gesehen auch der abgebrühte Detektiv, der hoffnungslose Loser, die Femme fatale. Menschen, die sich wider jede Chance abstrampeln.
Happy Ends sind im Film noir nicht vorgesehen, der sich nie der Schwarz-Weiß-Malerei schuldig machte, sondern erzählerisch wie formal dem Chiaroscuro huldigt. Dass das Genre einen Nerv traf, erkennt man daran, dass es nicht totzukriegen ist; es gleicht darin dem Western. Der Noir hat seine Motiv-, Themen- und Stiltentakel in die globale Laufbildproduktion hineingetrieben und immer wenn es heißt: Neo-Noir, hängt man die Latte höher. Die vorliegende Box versammelt neun Exempel aus vier Jahrzehnten, die dieses fruchtbare Erbe vielfältig bezeugen.
Jacques Derays »Brutale Schatten« (1972) führt einleuchtend den Nachweis der Verwandtschaft des französischen Polar- mit dem Noir-Genre. Gleich nachdem er seinen Auftrag erledigt hat, sieht sich der aus Frankreich angereiste Killer von den Strippenziehern in Los Angeles verraten. Seine Gegenwehr vollzieht sich nach Kräften mittels schmissiger Verfolgungsjagden inmitten von mächtig Lokalkolorit. Gleichermaßen nah dran am Puls der Zeit bewegt sich Jeremy Kagan, der in »Der große Trick« (1978) – in dem er einen ständig bekifften Privatdetektiv und Ex-Revoluzzer auf die Spur einer politischen Intrige kommen lässt – die Desillusionierung der 68er-Generation vor dem Hintergrund einer um sich greifenden Paranoia zum Thema macht. 1978 verlegt der Brite Michael Winner seine Adaption von Raymond Chandlers Roman »Tote schlafen fest« kurzerhand auf die Insel.
Das dortige spleenige Flair wirkt der Entwirrung der Handlungsverästelungen prächtig entgegen. Deutscher Verleihtitel-Volltreffer: »Tote schlafen besser«. Unterwegs als ikonischer Hardboiled-Detective Philip Marlowe ist Robert Mitchum. Apropos alte Recken und Genius Loci. Beides vermählt sich auf magische Weise in Louis Malles Atlantic City, USA (1980) zu einer Studie der Melancholie. Der große Burt Lancaster, dessen Karriere in dem klassischen Noir »The Killers« (Robert Siodmak, 1946) begonnen hatte, gibt hier gegen Ende seiner Laufbahn einen alternden Möchtegerngangster, der eine sich unverhofft bietende Gelegenheit zum kriminellen Treiben ergreift, um solcherart vielleicht doch noch berühmt-berüchtigt zu werden.
Bekanntermaßen hat der Noir einen Hang, sich in die Abgründe der menschlichen Psyche zu schrauben. Und wie in einem regelrechten Drehschwindel bohrt sich der titelgebende Detektiv »Das Auge« (1982, Claude Miller) in die wahnhafte Vorstellung, die von ihm verfolgte Serienmörderin sei in Wahrheit … das wird nicht verraten! Weniger Psycho- denn Psychosendrama ist dieses manieristische Noir-Exempel äußerst sehenswert. Wie auch, wenngleich eher unter dem Stichwort »Camp«, der letzte Kinofilm von Regie-Maverick Samuel Fuller, »Straße ohne Wiederkehr« (1989). Fuller hatte bereits 1953 mit Pick-up on South Street ein zentrales Werk zur klassischen Phase des Genres beigesteuert. Diesmal schlagen die gewaltigen Schatten an die Mauern Lissabons, wo die schaurige Mär eines Schnulzensängers gedreht wurde, der einer Verschwörung auf die Spur kommt.
Stichwort Verschwörung: Zu vertuschen gibt es für die Finsterlinge an der Macht ja immer etwas – nur sind jene, die sodann aufklärerisch tätig werden, nicht immer Lichtgestalten. Beispiel hierfür ist der prügelfreudige Cop-Vierer, der in Lee Tamahoris Retro-Noir »Mulholland Falls« (1996) den Geheimniskrämern vom Militär auf die Sprünge hilft. Stichwort Atom: Auch der Ex-Alki Dave Robicheaux – Protagonist der beiden Romanverfilmungen »Mississippi Delta« (1996, Phil Joanou) und »In the Electric Mist« (2009, Bertrand Tavernier) – ist keine Zierde seines Berufsstandes. In den Sümpfen Louisianas geht er einer Tätigkeit nach, die ihn oft genug in die Sümpfe der menschlichen Triebe führt. Womit der Kreis sich schließt und wir wieder bei den Abgründen der Psyche wären, bei der schwarzen Seele, die der Noir zu versöhnen versucht.
VÖ: 6. Februar 2025
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