29. Filmfest Hamburg
»Vortex« © Wild Bunch
Eingeschränktes Platzangebot durch die Sicherheitsbestimmungen und eindringliche Filme: das 29. Filmfest Hamburg
Wer nicht nach Cannes oder Venedig reist, darf sich auf die einheimischen Festivals in München und Hamburg freuen, die regelmäßig Filme von dort zeigen, von vielversprechenden Nachwuchstalenten, aber auch von arrivierten Filmemachern, die in den Festivalberichten oft untergegangen sind, eben weil dort noch bekanntere die Berichterstattung dominierten. Und da München in diesem Jahr zeitgleich zum verschobenen Cannes-Festival stattfand, hatte Hamburg die besseren Karten, zumal hier traditionell auch noch das Festival von Locarno gut vertreten ist.
Einer der Höhepunkte war für mich der neue Film von Sean Baker. »Red Rocket« erzählt von einem Pornodarsteller, der zu seiner (Ex-)Frau in die texanische Heimat zurückkehrt, aber große Träume von einem Comeback in Hollywood hat: Könnte die siebzehnjährige Bedienung im Donutshop jene Darstellerin sein, die er groß herausbringen will? Den passenden Namen, Strawberry, hat sie jedenfalls schon. Baker erhebt sich nie über diesen windigen Typen, der einem ans Herz wächst, trotz einiger katastrophaler Entscheidungen und patriotischer Züge. Bei der letzten Einstellung wünscht man ihm, dass sie real ist, aber wahrscheinlicher ist sie doch nur seine Fantasie. Die Rechte liegen bei einem Major, der allerdings in Deutschland keinen Kinostart plant.
Ungewöhnlich war der neue Film von Gaspar Noé, »Vortex«, der mehr mit Michael Hanekes Liebe zu tun hatte als mit Noés früheren Filmen. Konsequent in Splitscreen gefilmt, zeigt er über 142 Minuten den Alltag eines alten Ehepaars, verkörpert von Regisseur Dario Argento und Françoise Lebrun (vor 48 Jahren »die Hure« in Jean Eustaches »La maman et la putain«), das zunehmend mit Alter und Demenz kämpft.
Die Verbohrtheit der handelnden Figuren kennzeichnete auch Liebe Genossen!. Der Film von Andrei Konchalovsky schildert einen Arbeiteraufstand 1962 in der sowjetischen Provinz, der vom Geheimdienst blutig niedergeschlagen und vertuscht wird. Für die linientreue Kommunistin Lyudmila eine Zerreißprobe, da sie einerseits am liebsten Stalin zurückhaben würde und gleichzeitig befürchten muss, dass ihre Tochter bei den Protesten ums Leben gekommen ist und in einem Massengrab verscharrt wurde.
Wenig Hoffnung gibt es in Valentyn Vasyanovychs »Spiegelung«, in dem ein ukrainischer Arzt in russische Gefangenschaft gerät und Opfer und Zeuge schlimmster Grausamkeiten wird – gefilmt in eindringlichen Tableaus, die die Brutalität noch unterstreichen. Glücklicherweise gab es auch Filme von verhaltenem Optimismus, darunter Leyla Bouzids »Une histoire d’amour et de désir«, in dem ein 18-Jähriger seinen Platz sucht – zwischen dem Studium an der Sorbonne und seiner Freundesclique in der Banlieue, zwischen der Kultur Frankreichs und der arabischen Kultur seiner Vorfahren (die Sprache haben ihn seine Eltern nie gelehrt), zwischen seiner Schüchternheit und dem selbstbewussten Auftreten der tunesischen Kommilitonin, in die er sich verliebt.
Von Stars lassen sich die kühlen Norddeutschen bekanntlich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, doch der Applaus für Kenneth Branagh, der mit »Belfast« eine persönliche Erinnerung an seine Kindheit anno 1969 vorstellte, kam von Herzen, zumal Branagh das anschließende Gespräch ohne jegliche Allüren absolvierte. Leos Carax dagegen, der in diesem Jahr mit dem Douglas Sirk Preis ausgezeichnet wurde, mied den roten Teppich und ließ sich die Auszeichnung an seinem Platz überreichen – kam aber nach der Vorführung seines düsteren Musicals »Annette« nach vorn für ein Q+A, das allerdings eher zähflüssig verlief.
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