Nahaufnahme von Gary Oldman
»Die dunkelste Stunde« (2017). © Universal Pictures
Gary Oldman gehört zu jener besonderen Sorte von Charakterdarstellern, die sich mehr durch Schurken- als durch Heldenrollen eingeprägt haben. Was auch ein Grund dafür sein mag, dass er bislang nur eine Oscarnominierung (für seinen Smiley in »Dame, König, As, Spion«) bekommen hat. Mit seinem Auftritt als Churchill in »Die dunkelste Stunde« soll sich das nun ändern
Oft heißt es, dass ein Oscar für Gary Oldman überfällig sei. Seine Bandbreite denkwürdiger Auftritte und seine Imitationen namhafter Figuren der Zeitgeschichte sind inzwischen vom Kaliber einer Meryl Streep. Doch wo diese meist als überlebensgroße Heldin eines pädagogisch wertvollen Dramas fungiert, war Gary Oldman von Anfang an ein Antistar und galt lange als Passepartout für gefährliche und verrückte »Misfits«. Lee Harvey Oswald (»JFK – Tatort Dallas«), Sid Vicious (»Sid & Nancy«) und Dracula (»Bram Stocker's Dracula«): Mit diesem Repertoire hinterlässt man als Schauspieler zwar eine durchdringende Duftmarke, ist aber kein Vorbild für die Jugend. Die Oscarstatue halten dann doch stets die »Guten« in den Händen – oder etwa jene Make-up-Künstler, die Oldman in seiner Blutsaugerrolle in »Bram Stocker's Dracula« zum uralten Mann schminkten. Sie schufen auch jene berüchtigte weißhaarige Hörnchenfrisur, die nur ein so elektrisierender Typ wie dieser Brite ohne die Gefahr der Lächerlichkeit tragen konnte. Oder vielmehr: Angesichts Oldmans Ausstrahlung eines angriffslustigen Terriers, selbst im Make-up eines mümmelnden Greises, bleibt einem das Lachen im Hals stecken.
Seine Filmkarriere war von Beginn an ziemlich haarig. Der 1958 geborene Londoner stammt, anders als viele heutige britische Stars, aus einem prekären Arbeitermilieu (in seinem Regiedebüt »Nil by Mouth« hat er 1997 seine Jugendzeit verarbeitet), schlug sich ab dem Alter von sechzehn Jahren in Handlangerjobs durch und schaffte es, obwohl ihm bei seiner erfolglosen Bewerbung an einer noblen Schauspielakademie dringend davon abgeraten wurde, doch auf die Bühne. Seinen Durchbruch feierte er 1986 mit seinem zweiten Film »Sid & Nancy«, einem Drama über ein Paar von Verdammten, Sex-Pistols-Bassist Sid Vicious und Groupie Nancy Spungen. Ihre von Drogen angeheizte Folie à deux ist quälend zu beobachten, doch man kann nicht wegschauen. Das Besondere daran ist nicht, dass der junge Oldman dem Musiker zum Verwechseln ähnlich sieht, sondern dass er ihm eine kindliche Unschuld und Getriebenheit verleiht, die diese Chronik einer Selbstzerstörung ziemlich anrührend macht. Und ob beim Sex, im Heroinexzess oder sonstigen Räuschen: Die Punkfrisur sitzt.
Wer weiß, was sonst aus Oldman, der diesen Film laut eigener Aussage überhaupt nicht mag, geworden wäre; vielleicht einer jener grandiosen Shakespeare-Mimen à la Mark Rylance, mit gelegentlichen Stippvisiten im großen Kino. Doch Oldmans filmische Visitenkarte »Sid & Nancy« legte ihn auf extreme Rollen fest.
Nachdem er zu Beginn der Neunziger nach Hollywood übergesiedelt war, wurde er seinem Ruf als »Crazy Gary« besonders in seinem zehnminütigen Auftritt in Tony Scotts »True Romance« (1993) gerecht, wo er, mit voluminöser Rastamähne, in Slang und Auftreten einen schwarzen Zuhälter imitiert. Oldman ist berühmt für sein Imitationstalent, doch über das bloße Nachäffen hinaus haben seine Auftritte eine Intensität, die einen, egal um welche Figur es geht, in den Bann zieht. In Oliver Stones Politthriller »JFK« erzeugt er als sich harmlos gebender Lee Harvey Oswald Gänsehaut, im romantischen Epos »Ludwig van B.« (1994, Regie: Bernard Rose) allerdings vorwiegend Befremden. Als Beethoven zurechtfrisiert, wirkt er mit dämonisch tiefliegenden Augen wie die Pulp-Karikatur des Genies.
Im Grunde konnte und können amerikanische Regisseure mit der kribbelnden Zwielichtigkeit dieses hageren, in manchen Beleuchtungen seltsam weiblichen Charakterkopfs mit dem lauernden Blick wenig anfangen. Weltklasseniveau als Bösewicht entwickelte Oldman erst dank des unbefangenen Bilderstürmers Luc Besson. Er gab ihm in »Léon – Der Profi« (1994) als faszinierend manischem Killer endlich wieder Raum zum Toben. In »Das fünfte Element« (1998) überschritt er als Waffenhändler Zorg mit Hitlerbärtchen und im Gaultier-Kostüm endgültig die Grenze zur Parodie: seine einzige große clowneske Rolle.
Danach allerdings war er ziemlich weg vom Fenster, sieht man von Ridley Scotts »Hannibal«-Verfilmung von 2001 ab, in der er, entsetzlich entstellt, als generischer Psychopath auftrat. Erst ab 2004 kam Oldman mit den »Harry-Potter«-Verfilmungen, die, als Neid erregende Leistungsschau britischer Mimen, auch andere große Namen einer jüngeren Generation zu Bewusstsein brachten, wieder ins Blickfeld: typischerweise in der Rolle des (nach Lehrer Snape) zweitzwielichtigsten Helden des »Potter«-Universums, Sirius Black. Ab da begann seine bis heute anhaltende »klassische« Phase, in der Oldman, erstmals gegen den Strich als Held besetzt, unverhofft zum Dauergast in den kassenträchtigsten Blockbustern des letzten Jahrzehnts wurde. So stahl er in den von Christopher Nolan inszenierten Batman-Spektakeln (»Batman Begins«, »The Dark Knight«, »The Dark Knight Rises«) als Commissioner Gordon, mit Hornbrille und Schnauzer unscheinbar gemacht, gerade durch seinen Minimalismus den theatralischen Hauptdarstellern die Show. »Du musst so tun, als ob du ein Langweiler wärst, aber nicht langweilig spielen«, lautete auch die Anweisung für Gary Oldmans bisher besten Film »Dame, König, As, Spion« (2011), ein Remake von John Le Carrés berühmtem Agentenroman. Oldman trat als Smiley in die respekteinflößenden Fußstapfen von Sir Alec Guinness. Und er erschuf seine ureigene Version eines in sich verkapselten großen Einsamen, der einst ein skrupelloser Killer war und nun im bürokratischen Labyrinth des Geheimdienstes auf die Jagd nach einem Maulwurf geht. Sein stechender Blick wird auch hier durch eine spiegelnde Brille verdeckt. Doch als still lauernde Präsenz im Hintergrund, »wie ein Leopard im Dschungel«, so Regisseur Tomas Alfredson, bringt er wie gehabt die Luft zum Prickeln. Der Thriller, der eher ein atmosphärisches Kammerspiel ist, war wohl auch aufgrund seines inszenatorischen Understatements beim großen Publikum ein Flop. Doch Oldman bekam endlich eine Oscarnominierung.
Die Wandlung vom Unruhestifter zum stabilisierenden Element und Ordnungshüter findet nun ihre Apotheose in seiner Churchill-Verkörperung in »Die dunkelste Stunde«, die erneut auch ein Fest der Maskenbildner ist. Der spillerige Gary Oldman ist als beleibter Churchill eine zunächst wenig eingängige Wahl. Doch wer könnte diesen Politiker, der unter seinen Zeitgenossen als schräger Vogel galt, besser als der für seine irrlichternden Auftritte bekannte Oldman verkörpern?
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