Interview: Byron Howard, Jared Bush und Charise Castro über »Encanto«
»Encanto« (2021). © Walt Disney
Mr. Bush, Mr. Howard, Sie haben zuletzt bei »Vaiana« zusammengearbeitet...
Howard: Da entwickelten wir die Idee, dass unser nächster Film ein Musical sein sollte und er sollte von einer Familie handeln. Von Linn-Manuel Miranda kam der Vorschlag, es in Lateinamerika anzusiedeln. Wir sind befreundet mit zwei Dokumentarfilmemachern, die eine Doku über »Zoomania« gemacht hatten. Sie stammen aus Lateinamerika und rieten uns, uns doch einmal in ihrem Heimatland Kolumbien umzusehen. Dort verliebten wir uns sofort in die Vielfalt des Landes, etwa in der Musik und in der Flora.
Wie verlief die Zusammenarbeit mit Linn-Manuel Miranda? Hat er Vorschläge gemacht, an welchen Stellen ein Song passen würde?
Castro: Er war von Anfang an dabei, das ist in der Tat ungewöhnlich, normalerweise kommen die Songschreiber erst später hinzu. Er war der Überzeugung, dass es gut sei, die einzelnen Mitglieder dieser großen Familie jeweils mit einem eigenen Song vorzustellen. Die Vielfalt seiner Kompositionen fanden wir höchst beeindruckend.
Familie, Magie und Gesang sind vertraute Elemente vieler Disney-Filme. Was waren die besonderen Herausforderungen bei »Encanto«?
Bush: Das stimmt, das sind vertraute Elemente – und dies ist immerhin der sechzigste abendfüllende Animationsfilm von Disney. Wir haben es hier mit einer sehr großen Familie zu tun, in der jeder spezifische magische Fähigkeiten besitzt. Wir waren dabei inspiriert vom magischen Realismus, wie er sich in den Büchern von Gabriel Garcia Marquez und anderen kolumbianischen Autoren findet. Der vermittelte uns, dass Magie verbunden sein muss mit Gefühlen und der wahren Welt. Ich denke schon, dass die Magie in diesem Film anders ist und wirklich einen Schlüssel liefert zum Verständnis der einzelnen Charaktere.
Bei der Familie konnten sie auch auf Erfahrungen mit Ihren eigenen Geschwistern zurückgreifen?
Howard: Wir stammen alle aus perfekten Familien mit Geschwistern (lacht). Eines der ersten Gespräche war eins mit meiner älteren Schwester, die einen sehr anderen Eindruck davon hatte, wie unsere Eltern uns erzogen haben. Als ich von der Ostküste an die Westküste zog, um meine Karriere zu verfolgen, bekam ich dafür viel Unterstützung von meinen Eltern, sie dagegen gründete eine eigene Familie und stand dabei auf eigenen Füßen. Viele ihrer Entscheidungen, die mir damals seltsam vorkamen, habe ich erst im Nachhinein verstanden. In die Filmfiguren floss in der Tat viel Persönliches ein, aber sie haben auch einen universellen Charakter: ich verstehe meine Familie nicht und meine Familie versteht mich nicht – das Gefühl kennt fast jeder.
Viele der Disney-Filme aus den letzten Jahren, wie »Raya und der letzte Drache« oder »Vaiana« hatten exotische Settings. Gibt es dabei eine bestimmte Methode, sich einer fremden Kultur und ihren spezifischen Gebräuchen anzunähern und dabei zu gewährleisten, dass sie im Film auf authentische Weise abgebildet werden? Oder müssen Sie jedes Mal bei Null anfangen?
Castro: Es ist schon erstaunlich, wie viel Recherche am Beginn jedes Film steht, von der ersten Reise nach Kolumbien über den Aufbau eines »cultural trusts« aus Experten, der darüber wacht, dass alles authentisch ist. Mit dem treffen wir uns zum Teil jede Woche, damit das alles stimmt.
Wird dieser cultural trust für jeden Film neu gebildet oder gibt es Personen, die schon einmal beim cultural trust eines früheren Disney-Films beteiligt waren?
Bush: Das hängt immer davon ab, wo der Film angesiedelt ist. Hier hatten wir Menschen aus Kolumbien, die nicht nur unsere Lehrer waren, sondern auch Freunde. Sie luden uns in ihre Häuser ein und ließen uns an ihrem Leben teilhaben. Es heißt auch nie »das kann man nicht machen«, sondern »habt Ihr das in Erwägung gezogen?« oder »kennt Ihr schon dies?«. Dabei gibt es keine Recherchephase, sondern das erstreckt sich über die Arbeit am gesamten Film.
Auf der Blu-ray von »Raya und der letzte Drache« gab es ein informatives Feature darüber, wie die Pandemie die Arbeit am Film verändert hat: plötzlich saßen nicht mehr alle zusammen in einem Gebäude, sondern alleine zu Hause und kommunizierten in Zoom-Konferenzen. Haben Sie mit diesen Kollegen darüber gesprochen, wie das am besten zu bewältigen ist?
Castro: Als die Disney-Mitarbeiter im März 2020 aus dem Studio nach Hause gingen, nahmen wir an, das würde nur ein paar Wochen dauern. Es ist eine Umstellung, denn es passiert einfach so viel im Studio, wenn man sich auf dem Flur begegnet.
Howard: Ein nicht geringer Teil der Arbeit an diesen beiden Filmen überlappte sich, manche Mitarbeiter kamen von »Raya« zu uns. Wir gingen im März 2020 alle nach Hause und sahen uns während der ganzen Dreharbeiten nicht von Angesicht zu Angesicht. Auf eine gewisse Weise haben uns diese Zoom-Konferenzen aber auch einander näher gebracht: wir sahen die Häuser der anderen und ihre Familien. Groß war dann die Freude, sie bei der Premiere in Person zu sehen, das gab dann durchaus auch Überraschungen, wenn man sah, wie groß jemand ist. Mitarbeiter, die hier zum ersten Mal an einem Disney-Film arbeiteten, haben das Studiogelände bis heute nicht betreten.
Das wird auch bei den nächsten Filmen so bleiben?
Bush: Ja, aber Animation ist nun einmal stark auf Zusammenarbeit angewiesen. Wir werden sehen, wie wir für die Zukunft eine Verbindung von Studio- und Heimarbeit entwickeln können.
Ich sehe die Figuren aus »Zoomania«, Ihrer ersten Zusammenarbeit, bei Ihnen im Hintergrund stehen. Werden wir sie wiedersehen?
Howard: Ja, schon bald in einer Serie für unseren Streamingdienst – freuen Sie Sich auf viele coole Stories.
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