Lustiger als Tosca
Die Idee mit der Dusche ist wirklich hübsch. Dort sind wir schließlich alle großartige Sänger. In »To Rome with love« gibt Woody Allen dieser weit verbreiteten Selbstüberschätzung einen fabelhaften Dreh. Sie erinnern sich: Er spielt einen abgehalfterten Opernimpresario, der im Verlauf einer Reise an den Tiber einen Bestatter entdeckt, der zu prachtvollstem Belcanto fähig ist – aber eben nur während der Körperpflege.
Dieses Handicap überwindet Allens Jerry, in dem er für seinen Schützling eine Duschkabine auf der Bühne installieren lässt. Sein einstiger Einfallsreichtum war bis dahin Gegenstand launiger Einzeiler. In den USA hat Jerry einmal eine »Tosca« auf die Bühne gebracht, die nur in einer Telefonzelle spielte und für »Rigoletto« sämtliche Sänger einmal als Mäuse verkleidet. Ob sie so gut bei Stimme waren wie sein römischer Duscher, werden wir nie erfahren. Woher Allens mokantes Interesse an der italienischen Oper rührt, lässt sich leichter nachvollziehen. Vor einigen Jahren nahm er, nachdem er sich lange geziert hatte, das Angebot Placido Domingos an, für das von ihm geleitete Opernhaus in Los Angeles zu arbeiten. Ganz so radikal wie bei Jerry aus »To Rome with Love« ging es bei seiner Produktion von Giacomo Puccinis »Gianni Schicchi« nicht zu. Einfallsreich hingegen schon.
Der Einwand, sie lieferten sehr traditionelle Interpretationen, wird ja gern und reflexhaft erhoben, wenn gestandene Filmemacher einen Ausflug auf die Opernbühne unternehmen. Er traf Benoit Jacquot und Terry Gilliam (siehe Eintrag Public Viewing vom 19.6.2014) ebenso wie unlängst Sofia Coppola; selbst Michael Haneke hob in seinen Mozart-Inszenierungen die Bühnenkonventionen nicht unwiderruflich aus den Angeln. Aufhorchen lässt diese Kollision von Kino und Musiktheater jedoch allemal. Ich bin jedenfalls gespannt, was Christoph Honoré wohl mit »Così fan tutte« anfangen wird, die arte am kommenden Freitagabend aus Aix-en-Provence überträgt.
Ohnehin ist es fraglich, ob sich die Opernhäuser von derlei Engagements tatsächlich neue, bahnbrechende Impulse erhoffen. Das behaupten sie natürlich; müssen sie ja. Aber insgeheim ist ihnen womöglich doch mehr an dem Zugewinn an Glamour gelegen, den berühmte Filmleute auf dem Roten Teppich gewährleisten. Dank des hohen Star-Aufkommens geht diese Rechnung in Los Angeles naturgemäß gut auf. Das dortige Opernhaus hat in seiner vergleichsweise kurzen Geschichte bereits David Cronenberg, William Friedkin und John Schlesinger als Gastregisseure verpflichtet. Mit Woody Allen ist ihm 2008 indes ein besonderer Coup gelungen. Im Vorfeld behauptete er zwar, er wisse überhaupt nicht, was er da tue. Aber diese verdrießlichen Selbstverleugnungen ist man aus seinem Munde ja gewohnt. Bei der damaligen Pressekonferenz stellte er immerhin eine lustige Inszenierung in Aussicht: wohlgemerkt im Vergleich zu »Tosca«, nicht aber den Marx Brothers. Davon kann man sich in der Mediathek von arte noch bis zum 13. August überzeugen.
Es handelt sich um eine Wiederaufnahme der Inszenierung aus dem letzten Herbst. Da Puccinis Einakter mit einer Stunde Laufzeit relativ kurz ausfällt (man hatte Angst, der vielbeschäftigte Regisseur habe keine Zeit für mehr), ist der Aufzeichnung ein Making-Of vorangestellt. Auch wenn die Beteiligten hauptsächlich davon schwärmen, wie wichtig und großartig ihre Arbeit ist (Allen ist indes nur einmal auf einem Probenfoto zu sehen), lässt sich dennoch Aufschlussreiches über die Konzeption der Inszenierung erfahren. Der Vorspann, den Allen für die Aufführung selbst inszeniert hat (eine »Prosciutto e Melone Production«; die Mitwirkenden tragen ulkige Namen wie Oriana Fellatio und Vitello Tonnato, dazu läuft der Gassenhauer »Funiculi, Funicula«), ist keine wirklich geistreiche Einstimmung, wurde vom Opernpublikum aber mit genügsamem Gelächter aufgenommen. Das Einheitsbühnenbild, das ihm sein langjähriger Production Designer Santo Loquasto entwarf, stellt dagegen einen wirklich effektiven Auftakt dar. Es ist ein wahrer Augenschmaus, zeigt einen malerisch heruntergekommenen, überaus verwinkelten Adelspalast in Florenz, der ganz in einem blaugrauen Monochrom gehalten ist. Die Inspiration dazu lieferte der italienische Neorealismus der Nachkriegszeit, beispielsweise Vittorio de Sicas »Fahrraddiebe«. Dass die Filme dieser Epoche vorwiegend Armut und Entbehrung in den Blick nehmen, verträgt sich zwar nicht ganz mit den erbitterten Erbstreitigkeiten, um die es in der Folge gehen wird. Aber der starke Eindruck, den die Szenerie hinterlässt, zerstreut solche Gedanken geflissentlich. Im letzten Jahr sah ich an der Komischen Oper in Berlin eine bombonbunte Inszenierung von Calixto Bieto, zu der Allens Version ein fulminantes Gegengift ist.
Mit »Gianni Schicchi« präsentiert sich Puccini gewissermaßen als ein lachender Komponist. Die Pointen sind nicht so fein gesetzt, wie wir es aus Allens Filmen gewohnt sind. Die Bühnengeschäftigkeit des Ensembles zielt bisweilen sehr auf die Galerie. Aber die Monstrosität der Erbschleicher und die listigen Manöver des Titelhelden, den Placido Domingo mit sichtbarem Vergnügen gibt, sind ein prächtiges Schauspiel. Gianni ist ein fixer, ein raffinierter Problemlöser wie Chazz Palmintieri in »Bullets over Broadway«. Mitunter kam mir auch die Amoralität von »Verbrechen und andere Kleinigkeiten« in den Sinn. Ansonsten vermute ich, dass Allen es als eine erholsame Abwechslung empfand, einmal Figuren in Szene setzen zu dürfen, die er nicht selbst erfunden hat. Um so überraschender ist das rabiate Finale, das er Puccinis Musikkomödie auferlegt. Dieser Seitensprung des Regisseurs besitzt einen gleichsam uneigentlichen Elan, der die Wartezeit bis zum Start von »Café Society« wunderbar verkürzt.
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