Die Linke im Film: Gespenster der Revolution
»Der junge Karl Marx« (2016) © Neue Visionen Filmverleih
Linke Helden könnte man im Moment brauchen. Wie den jungen Karl Marx im neuen Film von Raoul Peck. Aber das Kino, die Revolte und ihre Theoretiker haben nie so recht zueinandergefunden. Georg Seeßlen hat sich auf ein ikonografisches Schlachtfeld begeben
Seit es das Kino gibt, träumt die Linke von ihrem Film. Vergeblich. Es konnte nicht gelingen, das Kino in seiner dreifachen kulturellen Erbschaft zu überwinden: als Nachkomme des bürgerlichen Theaters mit seinen in Fatalität verkleideten Geschmackscodes, als Nachkomme des Gottesdienstes und des sanften Rauschs von Mythos und Maske und als »Text« der Überlieferung, als Retromaschine.
Es ließen sich Ketten der großen Revolutionsfilme bilden, nur zum Beispiel von »Panzerkreuzer Potemkin« über »Salz der Erde« bis zu »One Plus One«, oder von »Drei Lieder über Lenin« über »Land and Freedom« bis zu »Der junge Karl Marx«: vom revolutionären Geist über die franziskanische Sehnsucht nach Gerechtigkeit bis zur Rekonstruktion der unmöglichen Erneuerung. So vieles, was das Kino kann – und es muss an einer scheinbar simplen Aufgabe scheitern: der cineastischen Konstruktion des revolutionären Subjekts. Dsiga Wertow wusste besser als Sergej Eisenstein, dass es mindestens so sehr darauf ankommt, das Kino zu verändern, wie den Film. »Werft Eure Bücher weg und geht auf die Straße« hieß ein japanischer Film in der Zeit der Jugendrevolte; aber noch schwieriger als mit Büchern ist es, mit Filmen auf die Straße zu gehen. Der Legende nach begann der Pariser Mai 68 mit der Verteidigung der Cinémathèque und von Henri Langlois. Und darin steckte der Widerspruch nur zu deutlich (Bernardo Bertolucci hat in »Dreamers« Bilder dafür gefunden): dass man das Kino verlassen muss, um es zu bewahren.
»In der Kunst gibt es immer gleichzeitig Aktion und Reflexion«, behauptete Jean-Luc Godard und gab der wartenden Linken 1967 »La Chinoise«, auf dass sie sich endlos verirre zwischen Aktion und Reflexion. Und wenn etwas subversiv wirken mochte, dann weniger der mehr oder weniger revolutionäre Autorenfilm als vielmehr die schamlose Übernahme des Revolutionspathos durch Hollywoods Trash-Abteilung, die in der Geste von radical chic 1969 Omar Sharif zu Che! machte. Das ursprüngliche Skript zu diesem Film stammte von Michael Wilson, dem Autor von »Salz der Erde« und prominenten Opfer der McCarthy'schen Kommunistenjagd. In dem, was der Film unter Regie von Richard Fleischer daraus machte, konnte er nur »eine cineastische Ermordung des Revolutionärs« sehen. Zu schweigen von Jack Palance als Comic-Book-Variante von Fidel Castro. Der Film wurde ein Flop, unter anderem wohl auch deswegen, weil der »echte« Che zu dieser Zeit schon einen Popstar-Status hatte.
»Ein Gespenst geht um in Europa«, so beginnt das Kommunistische Manifest. Und nicht die Linke bekam in den siebziger Jahren ihren dialektisch-heroischen Film, sondern das Bürgertum bekam seine linken Gespensterfilme. In Bernardo Bertoluccis »Prima della rivoluzione« (Vor der Revolution, 1964) oder Jacques Rivettes »Paris nous appartient« (Paris gehört uns, 1961), bei Pier Paolo Pasolini oder Rainer Werner Fassbinder spukte es gewaltig. Aber das Gespenst fand keinen Körper. Und nebenan, im real existierenden Sozialismus, konnte man dem historischen Körper der Revolution beim Versteinern zusehen.
Die Darstellung von historischen Vertretern der Linken im Kino gerät gleichsam zwangsläufig in eine Repräsentationsfalle, denn sie erfolgt, den Regeln des Mediums Spielfilm gemäß – das zwischen Wertow und Godard einige revolutionäre Attacken in immer neuen Wellen der Restauration überstand –, in den Codes des bürgerlichen, psychologischen Realismus. Eine Kamera sieht nicht Politik, eine Kamera sieht immer nur Menschen.
Aber dieser Mensch soll ja nicht sein, sondern er muss etwas repräsentieren, das Volk, die Klasse, die Zeit oder die Idee. Auf die Revolutionsfilme in der UdSSR, die sich diesem Widerspruch tapfer gestellt hatten und ihn in eine ästhetische Bewegung umsetzten (und die oft theoretisch besser unterfüttert als praktisch wirksam waren), folgte ein »sozialistischer Realismus«, der schon blind dafür war, dass sich allein im Begriff der Widerspruch zementierte, und auf diesen wiederum ein sozialistischer Monumentalismus, der nicht mehr Menschen und nicht Geschichte, sondern nur noch Denkmäler verfilmte. Ein Klassiker dieser Art der politischen Heldenverehrung ist Kurt Maetzigs zweiteiliger Thälmann-Film (»Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse/Führer seiner Klasse«, 1954/55), der im Stil des sozialistischen Monumentalismus gehalten war, der zu dieser Zeit auch das sowjetische Kino prägte. Maetzig selbst distanzierte sich später: »Ich habe den Film gemacht, und der erste Teil ist meiner Meinung nach in Grenzen ansehbar und hat auch künstlerische Qualitäten, während der zweite Teil mehr und mehr abfällt wegen der Überfülle des Stoffes und der Idealisierung der Gestalt. In vielen Punkten ist er mir einfach peinlich.«
Etliche der sozialistischen Denkmalfilme überlebten die Entstalinisierung auf eine Weise, die man vom Stalinismus selbst übernommen hatte: Szenen, die Josef Stalin zeigten, wurden einfach herausgeschnitten, und es bildeten sich die blinden Stellen, die sich in der Filmgeschichte fortpflanzen. Ein typisches Beispiel des sowjetischen Monumentalismus wurde auf diese Weise behandelt: »Wichri Wraschdebnyje« (Feindlicher Wirbelwind, 1953, Michail Kalatosow), der Felix Dserschinski, dem Gründer und Führer der berüchtigten sowjetrussischen Staatssicherheit, der Tscheka, gewidmet ist. Nachdem alle Szenen mit Josef Stalin geschnitten wurden, scheint sich Dserschinski noch mehr als zuvor in allem, was er tut, auf ein Gespenst zu beziehen. Die Retusche führt zu einer zweiten Form der Gegenwart.
Kein Wunder, dass man in der folgenden Zeit andere, fülligere Formen der Übermalung wählte. Dreißig Jahre nach Maetzigs Pflichtfilm versuchte man zum Beispiel, für das Fernsehen der DDR ein empathischeres, weniger pathetisches Bild von Thälmann zu entwerfen. Der Zweiteiler (»Ernst Thälmann«, 1984, Ursula Bonhoff, Georg Schiemann) weitet den Blick auf die politischen Weggefährten und reflektiert das Wirken von Propaganda in den Auftritten der Agitprop-Gruppe »Das Rote Sprachrohr«. Wir begreifen, wie wichtig in diesen Jahren die Nähe des politischen Helden ist. Seine Nähe ist, um genau zu sein, wichtiger als seine Größe – im Gegensatz zum sozialistischen Monumentalismus.
Immer beginnt das groß, rein und einfach. Wer dem Revolutionär beim Werden zusieht, ist auf der sicheren Seite. Das Pathos ist noch nicht verbraucht, die Sünden sind noch nicht begangen, die Zweifel noch nicht formuliert. »Young Mr. Lincoln« (1939) von John Ford ist ein lakonisches Meisterwerk dieses Geburt-des-Helden-Genres: Mensch und Politiker, Wesen und Strategie sind noch vollkommen eins. Aber in die einfachen Handlungen scheint schon der Glanz der historischen Größe. Erst im Sterben ist der revolutionäre Held (und betrachten wir Abraham Lincoln durchaus als einen solchen) wieder so sehr eins mit sich wie zu Beginn. Daher kann Steven Spielberg, John Fords später Sohn, gar nichts anderes, als dem jungen Lincoln, der noch alles vor sich hat, jenen späten gegenüberzustellen, der schon vor seiner Ermordung alles verlor.
In mehreren Filmen folgen wir dem jungen Ernesto Guevara; Walter Salles begleitet ihn in »Diarios de Motocicleta« (Die Reise des jungen Che, 2004) durch den südamerikanischen Kontinent und beim Entstehen des Bewusstseins: Niemand wird als Revolutionär geboren. Salles' Kunst besteht darin, dass der Blick Ernestos (Gael García Bernal) und der Blick der Kamera zunächst in aller »Naivität« miteinander verschmolzen sind. Aber das Sehen mit Guevaras Augen kommt an eine Grenze. Bewusstsein heißt im Kino das Brechen des Blicks.
Auch »Der junge Karl Marx« von Raoul Peck entsteht durch einen solchen Bruch, was sich hier besonders anbietet, weil der Held in Friedrich Engels gleichsam eine zweite Variante enthält. Der junge Marx entsteht recht eigentlich durch den Blick von Friedrich Engels und seiner Frau Jenny, bezeichnenderweise beide Dissidenten der attackierten Klasse der Bourgeoisie. In Engels und Marx treffen sich Anschauung und Theorie. Aus dem Revolutionär wird freilich dann der Wissenschaftler; die Entstehung von »Das Kapital« dürfte schwerlich dramatischen Filmstoff ergeben.
Das Urbild des jugendlichen Revolutionärs in der deutschen Geschichte ist wohl Georg Büchner, geboren 1813, gestorben 1837, Dichter, Wissenschaftler, aktiv im Widerstand. Aber zugleich auch Muster für eine Revolution ohne Subjekt: Als Antwort auf seine Flugschrift, den »Hessischen Landboten«, erheben sich die Bauern nicht etwa, sondern liefern ihn der Obrigkeit aus. Und die wenigen, die es nicht tun, werden Opfer gnadenloser Gewalt. Büchner muss ins Ausland fliehen, sein Mitstreiter Pfarrer Weidig wird gefangen und kommt unter ungeklärten Umständen ums Leben. Helmut Herbst geht in »Eine deutsche Revolution« (1981) zu diesen Wurzeln der »verpassten Revolution« in Deutschland zurück. Er wählt dafür eine Collage, eine offene Komposition politischer Bilder, eine Erzählweise, die kein Porträt im Sinne des Biopics hergibt, sondern betont, dass diese Geschichte noch nicht zu Ende ist.
Das Gegenstück entstand bereits 1978 in der DDR: »Addio, piccola mia« von Lothar Warneke versucht sich in einer vergleichsweise traditionellen Inszenierung, um die Geschichte Büchners in eine Kontinuität einzubinden, so als gehörten die »Gesellschaft für Menschenrechte« und der »Hessische Landbote« zur eigenen Gründungslegende. »Friede den Hütten, Krieg den Palästen«, das Ur-Motto der Revolution, ist Programm und Bild, bleibt poetische Geste, wo der Adressat sich dem Klassenbewusstsein verweigert. Zwei Porträts des jugendlichen Rebellen als einsamer Held, wie sie unterschiedlicher nicht ausfallen können.
Doch dokumentieren beide die Unmöglichkeit, dem historischen Gegenstand und dem Individuum gleichermaßen gerecht zu werden. Man muss offensichtlich das eine zum Verschwinden bringen, um das andere zu zeigen. Am Ende spiegeln beide Filme die Lücke zwischen Theorie und Praxis, die durch Ästhetik nicht zu überwinden scheint. Im Fall Warnekes gibt es überdies eine problematische Lesart, nämlich die vom Revolutionär, der seiner Zeit und seinem Volk so weit voraus ist, dass er scheitern muss – dahinter steht der Primat der Parteiführung über die Menschen. Die Lesart des bundesdeutschen Films dagegen scheint auf die Unmöglichkeit der Verwirklichung, die Tragik der Theorie zu verweisen.
Vielleicht gibt es so etwas wie einen retromanischen Furor. Leichter als die Hoffnung auf ein glückliches Gelingen vermag das Kino den Zorn über das Scheitern der Revolte zu vermitteln. Schon Stanley Kubricks »Spartacus« ist dafür ein Muster.
Steven Soderbergh erzählt 2008 noch einmal die Geschichte des Comandante: »Che – Revolución« handelt von der Revolution auf Kuba, die gelingen muss, obwohl sie aus ungleichem Kräfteverhältnis und noch ohne ausgeprägte revolutionäre Theorie entsteht, und »Che – Guerilla« handelt von Ches Versuch, die Revolution weiterzutragen, der scheitern muss, obwohl sie, wie man so sagt, auf der Agenda der Weltgeschichte stand.
Die Ermattung der Helden, ihre Verzweiflung angesichts des Scheiterns, das, von Lincoln zu Che Guevara, eben nicht nur eine persönliche Tragödie ist, ist die melodramatische Anklage. Während im pompösen Begräbnis des Diktators schon das Aufatmen des Neubeginns zu spüren ist, vermittelt das Sterben des Revolutionärs eine Verpflichtung. Spartacus ist nicht wie der »Nationalheld« in Anthony Manns El Cid am Ende sein eigenes Denkmal (der Tote, im Sattel festgebunden, führt den Angriff gegen die »Eindringlinge«), sondern er löst sich auf; alle sollen, wie in einer berühmten Szene in Kubricks Film, »Spartacus« sein. Oder Che Guevara. Oder der gegen ein faschistisches Regime kämpfende »Superheld« in der Comicadaption »V for Vendetta« (James McTeigue, 2005), der seinen Auftrag am Ende an die vielen, ans Volk, weitergab, und dessen Maske flugs auf den Occupy-Demos auftauchte.
Vom gewaltsamen Tod der Revolutionäre müssen auch die Filme ausgehen, die über Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gedreht wurden, über zwei Menschen mithin, die, nach allem, was sie getan und geschrieben haben, als Protagonisten eines humanistischen Sozialismus gelten müssen. Im Gegensatz zu anderen ermordeten Revolutionären ist ihr Tod nur schwer zu deuten als verpflichtendes Opfer, zu eindeutig verweist er auf das Ende der politischen Hoffnungen.
Der erste Liebknecht-Film der DEFA stand noch im Schatten des sozialistischen Monumentalismus: »Solange Leben in mir ist« (1965, Günter Reisch). Doch schon in der Fortsetzung »Trotz alledem« (1972) hatte sich der Ton entschieden gewandelt, und man versuchte nun, das Denkmalhafte zu überwinden und der menschlichen Seite des Helden näherzukommen. Noch einmal ein Jahrzehnt später, in Margarethe von Trottas Rosa Luxemburg-Film (1986), steht diese dann, in Form einer persönlichen Emanzipationsgeschichte, im Vordergrund. Cora Stephan schrieb damals im »Spiegel«: »Rosa Luxemburg passt auf keine Briefmarke und sprengt wohl auch jeden Versuch, sie mit filmischen Mitteln zu fassen. Das liegt keineswegs nur an ihrer sich in keinen Rahmen fügenden Persönlichkeit. Das liegt am deutschen Trauma der verpassten Revolution.«
So haben wir ein zweites Gespenst, das mit dem ersten merkwürdige Bildtänze aufführt: Neben dem Gespenst Stalins im Besonderen und all der Gewalt und Unterdrückung, die mit jeder Form der Revolution verbunden sind, im Allgemeinen, das gerade Gegenteil, das Gespenst der verpassten Revolution. Der zweite blinde Fleck. Denn so schuldhaft die Revolution und die Revolutionäre, so schuldhaft sind auch das Ausbleiben der Revolution und das Scheitern der Revolutionäre.
Bleibt der mörderische Akt der Tilgung. »Die Ermordung Trotzkis« zeichnet Joseph Losey in seinem Film aus dem Jahr 1971 als Abgesang, als extreme Ernüchterung, als das endgültigste Ende der lebendigen Revolution. Erstaunlicherweise ist darin das Kino so gut, wie es in der Vermittlung von revolutionärer Energie schlecht ist: im Bild des Scheiterns.
Nur auf den ersten Blick erscheint es als ein Leichtes, die Repräsentationsfalle für einen rhetorischen Gegenangriff zu nutzen: Die Repräsentation ist nur Maske, nimm sie fort, und wie bei den kommunistischen Delegierten in Ernst Lubitschs »Ninotschka« (1939) kommen gewöhnliche Menschen mit Dummheit, Gier und Lust zum Vorschein. Oder lass den glühenden jungen Sozialisten, wie in Billy Wilders »Eins, Zwei, Drei« (1961), nur der Liebe begegnen, und schon lässt er sich umbauen in einen cleveren jungen Coca-Cola-Manager. Und doch: Gerade in diesen Filmen der Meister des Komischen ist die wahre Pointe die Trauer um die Korrumpierbarkeit. Man schlägt sich auf die Seite der Gewinner, des kapitalistischen Realismus, gewiss. Aber irgendetwas in uns denkt auch mit Schwermut daran, was aus Greta Garbo oder Horst Buchholz wird, wenn sie den Verlockungen nachgegeben haben. Die Filme funktionieren nämlich nur, weil wir ihre (Anti-)Helden liebgewonnen haben, nicht nur als Menschen hinter der Propagandamaske, sondern auch als solche, die noch an etwas glauben.
Eine Generation später ist ohnehin alles nur noch Märchentraum. In der Verfilmung des Musicals »Evita« (1996) von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice spielt Antonio Banderas als Che Guevara den Widerpart zu Madonnas Eva Perón: Während diese von sich das Bild einer Volksheldin entwirft und in Wahrheit die Früchte von Gewalt und Korruption genießt, ist dieser Che der aufrechte, hart arbeitende Revolutionär, der von den Massen im Stich gelassen wird, deren Interessen er vertritt. Dass der Glamour die Politik überstrahlt, ist zugleich Thema und Stil des Films, und einmal mehr ist die Sehnsucht nach einer verlorenen Ganzheit des Helden zu spüren. Aber die war nicht einmal mehr im südlichen Freilichtkino der siebziger und achtziger Jahre zu erhalten gewesen, als Tomas Milian komplett mit Baskenmütze im Italowestern die Transformation des Pistoleros in den mexikanischen Revolutionär oder die Che-Guevara-Parodie erprobte. Aus dem kaputten Westerner konnte auch wieder nur ein kaputter Revolutionär werden. Einer, dessen revolutionärste Tat es war, beim Essen laut zu rülpsen. Böse Karikaturen, natürlich, waren die Revolutionäre auch in den Agentenfilmen der Zeit des Kalten Krieges. Rüpelhaft und misstrauisch waren die kubanischen Bart- und Uniformträger noch in Alfred Hitchcocks »Topas« (1969), regelrechte Menschenmonster die ostdeutschen Agenten in »Torn Curtain« (Der zerrissene Vorhang, 1966). Etwas ernsthafter musste man schon hinsehen, wenn es um Stalin und den Terror seines Regimes ging. Die Linie des »bolschewistischen Schreckens« geht von »Doktor Schiwago« bis zum »Archipel Gulag«. Stalin ist auch hier am ehesten das Gespenst, eine Verweisfigur. Wie nahe kann man auch einem Monster kommen? So nahe wie in »Der innere Kreis« (1991, Andrei Kontschalowski) vielleicht. Es ist die Geschichte von Iwan (Tom Hulce), der im Jahr 1939 persönlicher Filmvorführer Stalins wird. Seine glühende Verehrung für den großen Führer der Sowjetunion lässt sich nicht einmal dadurch beirren, dass der Terror auf die eigene Familie übergreift und er selbst nur wegen seiner alltäglichen Nützlichkeit überlebt. Es sind Täter und Opfer in einer Diktatur, gewiss, aber es sind auch die Menschen, die sozusagen blind im Licht des Kinoauges agieren. Iwan hieß eigentlich Alexander Ganshin, war Stalins Filmvorführer bis zu dessen Tod 1953 und erzählte seine Geschichte dem Regisseur, der eine Metapher der Kunst unter den Bedingungen der Diktatur daraus formte: »Ich mache einen Film über etwas, das ich kannte.«
Ein »befreiendes« Lachen über jemanden wie Josef Stalin will sich nicht so recht einstellen, auch wenn es an parodistischen Auftritten (wie unlängst in Leander Haußmanns »Hotel Lux«, 2011) nicht gefehlt hat. Aber ist es möglich, jemanden wie ihn mit den Mitteln des Films zu »verstehen«? Oder scheitert es bereits daran, dass man nicht unterscheiden kann zwischen dem Schöpfer und dem Repräsentanten eines Systems – wäre Stalinismus auch ohne Stalin vorstellbar? Ivan Passer versucht sich in »Stalin« (1992) für den Sender HBO an einer kritischen Filmbiografie und präsentiert Robert Duvall als eine denkwürdig technische Ausgeburt des Bösen. Der Film entstand aus einer Geste der gemeinsamen Nachdenklichkeit in der Zeit von Glasnost und Perestroika und durfte im Kreml selbst gedreht werden. Der Preis dafür war die radikale Individualisierung des Bösen: Stalin war an allem schuld.
Die Einzigartigkeit, die sich in der Konstruktion des revolutionären Helden zeigen muss, setzt sich im Gegenbild des sozialistischen Schurken fort. Dieser monströsen Entkontextualisierung kann man sich wohl nur durch eine gewisse Bereitschaft zum Bizarren und Widersinnigen, eben: zum Gespenstischen, entziehen. So etwa die Machtspiele, wie sie »The Death of Stalin« (2017, Armando Iannucci) als Satire aufzeigt (mit Steve Buscemi als Chruschtschow), die stete Wiederkehr der Macht- und Gewaltverhältnisse in Emir Kusturicas Underground oder auch, rückblickend, Jerzy Skolimowskis zeitweilig verbotener »Rede do gory« (Hände hoch, 1981), der anhand der Irrfahrt einiger Studenten Verstrickung und Korruption durch die stalinistische Macht behandelt.
Ein großer Film über Mao steht noch aus; wir sehen ihn nicht ohne Bangen im Weltbildersalat kommen. Unterdessen begnügen wir uns mit einer Komödie wie »Mao Ce Dun« (2007, Besnik Bisha), wo in einer rumänischen Roma-Gemeinde in den siebziger Jahren ein Junge mit diesem Namen geboren wird, von dem prophezeit ist, dass er nicht nur sein eigenes Volk, sondern die ganze Welt befreien wird.
Im Kino war, wie es scheint, die Revolte der 68er schon gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Der Überdruss, der Ekel – Repulsion von Roman Polanski erschien im Jahr 1966 auf den deutschen Leinwänden – gegenüber den Verhältnissen setzte sich auf der Straße in Aktion um, im Film dagegen vor allem in grandiose oder heftige Bilder vom Untergang der Hoffnungen. In der Realität endeten sie mit dem Terror der Brigate Rosse und der Roten Armee Fraktion und der Reaktion der Regierungen darauf. Die Filmbilder dieser verlorenen Töchter und Söhne, wie sie melancholisch genannt wurden, vom »Baader Meinhof Komplex« (2008, Uli Edel) bis zu »Die Stille nach dem Schuss« (2000, Volker Schlöndorff), Erklärungs- und Distanzierungsversuche in einem, schwankend zwischen Nähe und Flucht, konnten nicht anders, als die beiden Gespenster zu vereinen in einer Traumatologie, in der Kino und Straße wieder wild durcheinanderwirbelten, das Gespenst von Gewalt und Schuld und das Gespenst von Scheitern und Verschwinden. Und das Kino? In den Multiplexen mauerte es sich ein, als gälte es, jede Verbindung zu Straße und Revolte unmöglich zu machen. Gespenster allerdings lassen sich nicht einmal von den Betonmauern der Unterhaltungsbunker abhalten.
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