Deutsche Literaturverfilmungen
Peter Schneider und Katja Bürkle in »Einsamkeit und Sex und Mitleid« (2017). © X-Verleih
Dass Weltbestseller wie »Cloud Atlas« oder »Der Medicus« unter deutscher Federführung verfilmt werden, kommt eher selten vor. Im Trend liegt bei uns aber die deutsche Gegenwartsliteratur – in diesem Monat etwa »In Zeiten des abnehmenden Lichts«. Ulrich Sonnenschein über Romane, Filme und wie sie zusammenfinden
Eine große Zahl der Filme, die in Deutschland zu sehen sind, beruht auf einer literarischen Vorlage. Das ist keine neue Entwicklung. Seit es das Kino gibt, hat es sich Anregungen und Stoffe aus der Literatur geholt. Bücher wurden Bilder, und die Geschichten wurden nicht mehr erzählt, sondern ausagiert und dargestellt. Von einer Unmittelbarkeit des Übergangs vom Buch zum Film allerdings konnte zu keiner Zeit die Rede sein. Film und Buch waren und bleiben zwei unterschiedliche Medien mit unterschiedlichen Gesetzen und unterschiedlichen Bewertungen. Wie es John Le Carré einmal ausdrückte: Ein Buch in einen Film zu verwandeln, ist so ähnlich, wie aus einer Kuh einen Brühwürfel zu machen. Dennoch war er mit den zahlreichen Verfilmungen seiner Werke meistens recht zufrieden. Schließlich verschafft der Film dem Buch noch einmal einen Popularitätsschub.
Der Film war gut, heißt es oft, aber das Buch war besser. Es ist unstrittig, dass der Film sich von dem ausführlichen Erzählgestus eines Romans lösen und die Handlung verdichten muss. Er muss dazu ganz eigene Interpretationen finden, muss Handlungsstränge verbinden, auswählen, was erzählt und was verschwiegen werden soll, und schließlich eine dem Medium angemessene Bildsprache entwickeln.
Das ist riskant. Und liegt quer zur Absicht vieler Literaturverfilmungen: Die besteht eben darin, Risiken zu minimieren. Der Film setzt auf die Vorauswahl von Verlagen und Publikum und schöpft den Ruhm des Buches ab. Schließlich gibt es ein Interesse daran zu sehen, wie das Buch, das einem als Leser gefallen hat, auf der Leinwand wirkt – die Amerikaner sprechen bei populären Vorlagen von einer »built-in audience«. Und diese Rechnung geht auf. Das Mehr an Zuschauern gleicht die Kosten für die Rechte in der Regel aus. Zwei Millionen Käufer von Timur Vermes »Er ist wieder da«, drei Millionen bei Hape Kerkelings »Ich bin dann mal weg« – über solche Zahlen kann man wohl nicht einfach hinweggehen.
Die Neigung, das »eingebaute Publikum« anzugraben, ist bei uns nirgends so ausgeprägt wie in der Sparte Kinderfilm, in der seit langem ein Mangel an Originaldrehbüchern beklagt wird. Im Spielfilmsektor ist das anders. Aber es scheint doch, wie der Sender 3sat anlässlich eines 24-stündigen Literaturmarathons annoncierte, einen Trend zur deutschen Literaturverfilmung zu geben. Das Fernsehen ist naturgemäß im Vorteil – es hat mehr Zeit. Dass die »Buddenbrooks«-Adaption von Heinrich Breloer hier zum Event wurde, ist dabei nicht einmal so überraschend wie der sagenhafte Erfolg von »Der Turm«: 7,5 Millionen Zuschauer sahen die zweiteilige TV-Verfilmung von Uwe Tellkamps voluminösem Buchpreisgewinner über den unaufhaltsamen Abstieg der DDR, mehr als ein parallel laufendes Champions-League-Spiel von Borussia Dortmund. Weit mehr übrigens auch als die Original-Leserschaft: Die Idee, dass man sich tausend Seiten Lektüre sparen und trotzdem mitreden kann, hat wohl vielen Zuschauern eingeleuchtet.
Was im Fernsehen und im Kino gut funktioniert, sind historische Erzählwerke, von Patrick Süskinds »Parfum« bis zu Bernhard Schlinks »Der Vorleser«. Detlev Bucks Verfilmung von Daniel Kehlmanns Erfolgsroman »Die Vermessung der Welt« ist ein aktuelleres Beispiel. Der Erfolg des Buches war nach dem Verlagswechsel Kehlmanns von Suhrkamp zu Rowohlt noch eine Überraschung. Der Film war als literarischer Blockbuster angelegt. Bereits in der ersten Woche verzeichnete er 189.740 Zuschauer und erreichte schließlich mit 625.501 Besuchern Platz 10 der meistgesehenen deutschen Kinoproduktionen des Jahres 2012. Dabei ist der Film inhaltlich nur vage am Buch orientiert. Daniel Kehlmann, der seinen Roman für unverfilmbar hielt, schrieb am Drehbuch mit und erzählte seine Geschichte um die verschrobenen Naturwissenschaftler Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt einfach neu. »Mit dem Witz und dem Charme der Buchvorlage« habe das aber rein gar nichts zu tun, hieß es. »Niemand kann sich zwei Stunden lang an Naturaufnahmen begeistern und dabei auch noch zwei Nachwuchsschauspielern zusehen, die sich ungelenk durch eine Geo-Reportage bewegen«, schrieb Thomas E. Schmidt in der »Zeit«.
Bei der Verfilmung seines früheren, was den Erfolg angeht wesentlich bescheideneren Gegenwartsromans »Ich und Kaminski« durch Wolfgang Becker hielt Daniel Kehlmann sich hingegen zurück. Der Film erzählt relativ nah an der Handlung des Romans von einem Journalisten, der vom Ruhm eines sterbenden Künstlers profitieren will und danach trachtet, dessen Biografie zu schreiben. Es ist ein Film, der zwischen zwei Schauspielern entsteht, zwischen Daniel Brühl als abgebrühtem Journalisten und Jesper Christensen als Kaminski. In den mal mehr, mal weniger slapstickhaften Handlungselementen steckt eine Satire auf den Kunst- und Kulturbetrieb, die nicht zu großen Gesten neigt, sondern nah an ihren Figuren bleibt.
Ein Glück, nicht nur für den Buchmarkt, sondern möglicherweise auch fürs Kino, ist die Erfindung des Genres »skandalumwitterter-junger-Autorinnenroman«. Helene Hegemanns überdrehter »Axolotl Overkill«, die Adaption ihres eigenen Romans »Axolotl Roadkill«, der sich gegen Plagiatsvorwürfe wehren musste, startet erst Ende des Monats, muss sich also noch bewähren. Überaus gelungen ist David Wnendts Verfilmung von Charlotte Roches »Feuchtgebiete«. Auch diese Adaption hatte mit knapp einer Million Zuschauer ungeheuren Erfolg an der Kinokasse, nimmt sich aber als Film ganz anders aus, als es der Roman vermuten lässt. Während das Buch von der Dressur des Sexus durch die gesellschaftliche Hygieneverschwörung redet, ist der Film eine kunterbunte Mädchenphantasie, die Moral und Sex gleichermaßen ironisiert und eine wilde Bildlichkeit entwickelt, die dem Gestus, nicht aber der Handlung des Buches entspricht. Dazu kommt eine hervorragende Hauptdarstellerin, die bis dahin kaum bekannte Schweizerin Carla Juri. Charlotte Roche selbst war zu Beginn der Entwicklung noch am Drehbuch beteiligt, zog sich dann aber, fast möchte man sagen: glücklicherweise, zurück. Nur selten ist es von Nutzen gewesen, wenn der Autor der Romanvorlage versucht, soviel wie möglich davon ins Drehbuch zu retten.
Auch preisgekrönte Bücher werden gern verfilmt, selbst wenn der Text dazu nicht unbedingt einlädt. Die Buchpreisgewinnerin Katharina Hacker beispielsweise hielt sich völlig aus der Drehbuchentwicklung ihres Romans »Die Habenichtse« heraus, unterstützte das Autorenregieduo Florian Hoffmeister und Mona Kino aber nach Kräften. Es war die reine Faszination, die zu einer Verfilmung führte, nicht die Sprache des Romans und deren wie auch immer offene Bildlichkeit. Der Film unterscheidet sich deutlich vom Buch, konzentriert sich auf das zentrale Paar, das unter dem Eindruck des Anschlags vom 11. September heiratet und von Berlin nach London zieht, und landet schließlich bei der Frau. In Schwarzweiß gedreht, nimmt der Film die gedrückte Stimmung des Buches auf und vollzieht eine plausible Wendung ins Kammerspiel.
Wendungen gibt es bei Matti Geschonnecks Filmversion von Eugen Ruges Buchpreisroman »In Zeiten des abnehmenden Lichts« so einige. Dabei ist die wohl wichtigste und einschneidendste die, dass Geschonneck die über viele Jahrzehnte angelegte Handlung auf einen einzigen Abend verdichtet und anlässlich des 90. Geburtstags des Patriarchen und Stalinisten Wilhelm Powileit dessen gesamte Familiengeschichte erzählt. Die realistische Erzählweise des Romans bleibt dabei auf der Strecke zugunsten einer Farce, die sich in einer künstlichen Kulisse entfaltet. Geschonneck ist ein versierter TV-Regisseur, und seine zweite Regiearbeit fürs Kino, »Boxhagener Platz« nach einem Roman von Torsten Schulz, war bereits eine Literaturverfilmung. Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, einer der bekanntesten Autoren der deutschen Filmgeschichte, hat Romane von Hermann Kant, Carl Zuckmayer und zuletzt Clemens Meyer für die Leinwand adaptiert.Beiden lag nun viel daran, Ruges Roman im Kern treu zu bleiben, doch in der Handlung größtmögliche Freiheit zu erhalten. Das ist bei einer derartigen Konzentration recht schwierig. Denn während im Roman alle Mühe darauf verwendet wird, die DDR weder zu verklären noch zu dämonisieren, muss der Film plakativer werden. Anstatt die DDR mit all ihren Widersprüchen aufleben zu lassen, wird hier ein skurriles Abziehbild präsentiert, eine Farce in der Kulisse eines fiktiven Damals. Die jungen Pioniere, die Wilhelm Powileit ihr Ständchen bringen, scheinen wie die Blumen aus dem Fundus schräger Beigaben zu sonst aussagelosen Filmsets zu kommen. Möbel, Haus und Grundstück sind so fugenlos zu einer Märchenbuchästhetik zusammengezimmert, dass Wahrhaftigkeit keinen Platz mehr darin findet. Konnte man vom Roman behaupten, dass er Geschichte als Familiengeschichte erlebbar machte, so ist der Film nur noch eine ironische Replik.
Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase hingegen hat mit der Adaption von Clemens Meyers sehr ungestümem DDR-Jugend-Roman »Als wir träumten« gezeigt, dass es anders geht. Auch hier mussten Autor und Regisseur – Andreas Dresen – stark in die Handlungsstruktur eingreifen, um weitestgehend chronologisch und dennoch getrieben und wild erzählen zu können. Dabei ist der Film wie das Buch ein Dokument der anderen DDR, der unangepassten und in jeder Hinsicht selbstzerstörerischen Jugend, das dem eigenen Erfahrungshorizont von Clemens Meyer entspringt. Meyer selbst hat übrigens einen kleinen Cameo-Auftritt im Film als Polizist. Die Entstehungsgeschichte war nicht einfach, vor allem die Finanzierung bereitete Probleme. Das bereits 2009 unter der Regie von Lars Kraume angekündigte Projekt setzten Produzent Peter Rommel und Andreas Dresen erst 2015 mit einem neuen Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase um. »Als wir träumten« stand »nur« auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis – ist aber ein Beleg für einen anderen Trend: Filme, die sich der jüngeren deutschen Geschichte widmen, die von Nazis handeln oder dem Leben in der DDR, werden immer gerne abgenommen. Das lässt sich auch an den wenigen deutschen Oscarkandidaten ablesen, selbst wenn sie keine literarische Vorlage haben wie »Sophie Scholl« oder »Das Leben der Anderen«.
Ein Ausreißer ist Helmut Kraussers Roman »Einsamkeit und Sex und Mitleid«: kein besonderer Erfolg, kein »brennendes« Thema – nur eine Reflexion über Beziehungsprobleme in der Großstadtmoderne von einem geschätzten Autor. Doch in seiner episodischen Struktur schien er besonders geeignet für eine Verfilmung. Regisseur Lars Montags aktuelle Adaption, ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Autor entstanden, gibt sich sehr literarisch. Kommentare aus dem Off, Vermischung von realem Bild und Animationen, sprunghafte Orts- und Handlungswechsel, so, als könne man problemlos zurückblättern, prägen diesen Film, der verschiedene Paare in mehr oder weniger verzweifelten Situationen zeigt. Sex ist hier kaum lustvoll, sondern eher eine Geschäftsbeziehung. Schräge Situationen verbindet der Film, so stellt zum Beispiel eine Figur ein spezifisches Ambiente her, das frustrierte Personen dann zerstören dürfen: Büros, Schlafzimmer, Kinderzimmer oder andere Räume privater Erinnerungen, die als Symbol für persönliche Niederlagen stehen. Schwebend irreal ist der Film und von einer poetischen Kraft, die noch überzeugender wirkt, weil sie nicht absichtsvoll daherkommt.
Wenn ein Popstar ein Buch schreibt, dann ist der Film nicht weit. In Bremen beginnt die Geschichte eines Erwachsenwerdens, die Sven Regener, Frontmann der Band Element of Crime, einem gewissen Herrn Lehmann zuschreibt – in einer Prosatrilogie, die starke autobiografische Züge aufweist. Obwohl das Zentrum des ersten Romans »Herr Lehmann« eindeutig Berlin ist, bleibt die Bremer Herkunft des Protagonisten bestimmend. Und so spielt »Neue Vahr Süd« folgerichtig in Bremen und der dritte Teil »Der kleine Bruder« nach einer Übersiedlung wieder in Berlin. Die Geschichte wird also quasi im Zickzack erzählt, chronologisch wären das Teil 2, Teil 3 und dann Teil 1. Was es Regisseur Leander Haußmann nicht leicht machen wird, wenn es um die Besetzung geht. Hatte er den ersten Teil 2003 mit Christian Ulmen inszeniert, so wird das im dritten, der für 2018 angekündigt ist, sicher schwierig. »Neue Vahr Süd« war 2010 bereits als ARD-Produktion von Hermine Huntgeburth realisiert worden. Beide Filme sind dem trockenen Humor von Sven Regener verpflichtet, versuchen die obskuren Situationen, in die er seinen Herrn Lehmann stolpern lässt, auszuloten und daraus eine Art Psychogramm einer Generation zu machen, die sich von den 68ern abgehängt fühlte.
Eine Liga für sich ist sicher Volker Schlöndorff, der Meister der Literaturverfilmungen in Deutschland. Musil hat er verfilmt, Brecht, Kleist, Böll, Marguerite Yourcenar, Günter Grass, Nicolas Born, Marcel Proust, Margaret Atwood, Michel Tournier und seinen Freund Max Frisch. Nach »Homo Faber« hat Schlöndorff nun Frischs autobiografische Erzählung »Montauk« zum Träger seiner eigenen Biografie gemacht und in geschickten Winkelzügen Literatur, Leben und Film verzahnt. Die Transferleistung, die »Rückkehr nach Montauk« gelingt, könnte ein Vorbild sein für Literaturverfilmungen überhaupt. Die Basis des Texts und seine Rezeptionsgeschichte werden für den Film genutzt und mit eigenen, in diesem Fall biografischen Einzelheiten angereichert. Beide profitieren in einer ästhetischen Wechselwirkung voneinander, und je nach Abfolge der Rezeption wird das eine Kunstprodukt am anderen gemessen. Schlöndorffs Literaturverfilmungen sind bestes Unterhaltungskino, und oft scheint es, als träten sie freiwillig einen Schritt zurück. Vielleicht weil der Film, die siebte Kunst, sich immer noch strecken muss, die Literatur nach wie vor als das höhere Kulturgut gilt? Filme werden jedenfalls selten zu Romanen. Auf dem Theater sind sie allerdings angekommen – seit den Neunzigern werden Filme gern zu Dramen umgeschmiedet, von Fassbinder bis »Wir sind die Neuen«.
Wolfgang Herrndorfs Jugendroman für Erwachsene, »Tschick«, ist erst für die Bühne und dann als Film adaptiert worden. »Tschick« wurde von den meisten Kritikern hochgelobt, Regisseur Fatih Akin sei hier ein perfektes Roadmovie gelungen, »rasant, lustig und klug« (»Der Spiegel«); der Film behalte »stilsicher seinen Drive« (NZZ) und treffe das »Lebensgefühl, das die literarische Vorlage vermittelte« (FR). Selbst die wenigen kritischen Stimmen konnten den Erfolg dieser Literaturverfilmung nicht schmälern. Der furios-witzige Roman des sterbenskranken Wolfgang Herrndorf – als die Verfilmung in Gang kam, hatte er sich bereits aus Verzweiflung erschossen – hat mehrere, einander überlagernde emotionale Komponenten. Erzählt wird von zwei Außenseitern – einer aus gesellschaftlichen, einer aus ethnischen Gründen – und träumt von der großen Freiheit der Straße. Die Universalität dieses Bildes füllen Buch und Film mit kleinen, skurrilen Erlebnissen. Tschick ist ein Film, der seiner Romanvorlage genau dadurch nutzt, dass er sie vergessen macht. Er entwickelt seinen eigenen Sog in erstaunlicher Nähe, bei aller Unabhängigkeit.
Sieht man den Erfolg von Literaturverfilmungen und das Interesse der Zuschauer an dem Medienwechsel, so sind es doch Originaldrehbücher, die das Rennen an den Kinokassen machen. Wer einen Roman verfilmt, kauft literarischen, sprich kulturellen Wert ein und setzt seine Produktion von der Massenware, dem »Popcornkino« ab. Doch an den Erfolg von Schweigers »Keinohrhasen«, Schweighöfers »Schlussmacher«, Simon Verhoevens »Willkommen bei den Hartmanns« oder gar »Fack ju Göhte« kommt keine Literaturverfilmung heran.
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