Kritik zu Maikäfer, flieg!
Mirjam Unger hat das berühmte Kinderbuch von Christine Nöstlinger verfilmt, in dem ein junges Mädchen das Kriegsende 1945 in Wien erlebt
Ein Mädchen singt eine alte Kinderweise: »Maikäfer, flieg. / Der Vater ist im Krieg. /Die Mutter ist in Pommerland, /Pommerland ist abgebrannt. /Maikäfer, flieg.« Nichts passt in diesem Lied zusammen. Die sanfte Wiegenliedmelodie steht in einem nicht auflösbaren Gegensatz zum Grauen, von dem die Maikäferweise erzählt. Mirjam Ungers Film »Maikäfer, flieg!« lebt von diesem Kontrast. Die junge Christl (Zita Gaier) betrachtet eine Welt, die im April 1945 in Wien in Schutt und Asche liegt, wie einen großen Abenteuerspielplatz.
Christl ist das Alter Ego der Schriftstellerin Christine Nöstlinger, auf deren 1973 erschienenem autobiografischem Roman »Maikäfer, flieg! Mein Vater, das Kriegsende, Cohn und ich« der Film basiert. Die 1936 geborene Autorin beschrieb rückblickend die Wochen zwischen April und Sommer 1945 als »die aufregendsten und spannendsten und vielleicht sogar schönsten Wochen meiner Kindheit«.
Christl sieht die Welt in Wien mit anderen Augen als die Erwachsenen um sie herum, die ihren Alltag mit Pragmatismus oder Opportunismus bewältigen. Das illustriert die österreichische Filmemacherin Mirjam Unger, die gemeinsam mit Sandra Bohle das Drehbuch erarbeitet hat, mit einem leitmotivisch anmutenden Bild. Immer wieder blickt Christl durch eine Glaskugel und entdeckt einen durch die Struktur des Glases verfremdeten Ausschnitt der Wirklichkeit. Immer wieder nimmt auch Eva Testors Kamera die Augen des Mädchens auf, die alle Eindrücke festhalten.
Nur ganz zum Schluss, als sie mit ihrer Familie die Villa in Neuwaldegg verlässt, in der sie Zuflucht gefunden hatten, und ihre Mutter ihr zuruft, »Schau dir alles ganz genau an«, schließt Christl die Augen. Da hat sie schon alle Ereignisse abgespeichert, kann sie in ihrem Kopf ablaufen lassen wie einen Film.
Maikäfer flieg! schildert eine entbehrungsreiche und ungewisse Zeit. Die Villa der Frau von Braun (Bettina Mittendorfer) in Neuwaldegg wird von russischen Soldaten besetzt, mit denen die Witwe und ihr Sohn (Lino Gaier) sowie Christls Familie koexistieren müssen. Der Vater ist verletzt aus dem Krieg zurückgekehrt und versteckt sich im Haus. Die Welt der Erwachsenen mit dem Gefühl des Ausgeliefertseins und der berechtigten Furcht der Frauen vor Vergeltung und Vergewaltigung kontrastiert der Film mit den Empfindungen und Erfahrungen des Mädchens. Es scheint einem ganz eigenen Kompass zu folgen. Wagemutig nimmt sich dieser Wildfang, der reflektierter ist, als seine neun Jahre nahelegen, die Freiheit, sich mit dem russischen Feldkoch Cohn (Konstantin Khabenskiy) anzufreunden. Cohn stammt aus Leningrad: ein sensibler Außenseiter, dem sich Christl innerlich verwandt fühlt.
Ungers Romanadaption übersetzt Nöstlingers Prosa in eine traditionelle Filmsprache. Der Film rekonstruiert so schlüssig eine Vergangenheit, die sich speziell einem jungen Publikum barrierefrei erschließt. Das Ensemble ist stark. Ursula Strauss als Mutter, die ihre private Welt vor dem Zusammenbruch rettet, und Zita Gaier als Christl, die sich ihr eigenes Universum erschafft, haben unvergessliche Momente.
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