Unverhoffte Lebendigkeit
Es steckt noch ein ganz anderes Temperament in ihr. Wenn man genau hinschaut, kann man es schon in den Wehmutswelten entdecken, in die Michelangelo Antonioni sie stellte. Auf Monica Vittis Spiel lastet nicht nur Melancholie, für kurze Augenblicke kann sie auch ausgelassen und kapriziös sein. Ihre Sprunghaftigkeit markiert ein Zögern, ein Ausweichen vor der Hingabe. Aber für Sekundenbruchteile blitzen lebhaftere Impulse auf; fast meint man, bereits die Intuition der Komödiantin zu spüren.
Gewiss, in Filmen wie »L'avventura«, »Die Nacht« und »Liebe 1962« wirkt sie entrückt und unergründlich. Es sind Chroniken des Verschwindens. Vittis Blick bezeugt die Flüchtigkeit, Vergeblichkeit der Liebe. Sie droht, verloren zu gehen. Den Gefühlen fehlt der Antrieb, beinahe von Anfang an. Es werden nurmehr Spurenelemente von ihnen sichtbar, die den Zuschauer nicht zur Identifikation ermutigen. Aber ihre Charaktere sind auf der Suche, und auf die kann man nicht ohne Erwartungen gehen. Fast hätte ich "Hoffnungen" geschrieben.
In den frühen 60ern wurde die Schauspielerin in den Filmen ihres damaligen Lebensgefährten zu einer Ikone. Die Schönheit der Frau mit den vollen Lippen und den wachsamen Augen strahlte Intelligenz aus. Ihre Rollen erzählen von Entfremdung. Niemand konnte sich so furchtlos der existenziellen Leere stellen, den Verlust von Sinn und Perspektive so berückend aushalten wie sie. Antonioni muss schon sehr verliebt in sie gewesen sein, sonst hätte er sie so nicht filmen können. Muse zu sein, ist für eine Schauspielerin auch eine Hypothek. Es impliziert eine Hierarchie, über die Vittis Elan weit hinaus reicht. Das Berliner Arsenal widmet der Schauspielerin von heute an eine Filmreihe, die dem gerecht werden will. Wie schwierig das ist, verrät bereits ein Blick in das Programmheft, das sie zu »L'avventura« mit folgenden Worten zitiert: "Ich weiß nicht, ob ich eine gute Schauspielerin bin, ob ich gespielt habe, wie ich sollte, oder ob ich schlecht war. Ich weiß nur, dass ich für einen außergewöhnlichen Film alles gegeben habe, was ich konnte." Als Motto ist das ein wenig fatal, denn im Kern handelt Vittis Karriere von der Überwindung traditioneller Rollenbilder. Dazu müsste eigentlich auch die Lösung aus der Fixierung auf die Perspektive des Regisseurs gehören, die unseren Blick auf das Kino so oft verengt. Ich denke, es wäre vielmehr wichtiger darzustellen, dass Vitti sich nicht einfach in die Filme Antonionis fügt und ihre Leinwandpersona nahtlos in ihnen aufgeht, weshalb mein heutiger Eintrag auch so beginnt, wie er es tut. Sie ist nicht nur die "Diva der Stille"; ihre raue, brüchige Stimme konnte sie durchaus auch erheben.
Der Vergleich mit anderen Darstellerinnen ist vielleicht ohnehin hilfreicher. Vitti ist ein mächtiges Gegenbild zu Sophia Loren. Deren muntere, karnevaleske Sinnlichkeit dient zwar auch schon der weiblichen Selbstermächtigung, folgt aber doch einer eher bodenständigen, gleichsam bauernschlauen Strategie. Vitti hingegen arbeitet entschieden an einer zeitgemäßen Entfesselung. (Wann hat man sie je in Mutterrollen gesehen?) Sie verkörpert, nicht nur bei Antonioni, die Moderne. Diese Neugierde führt ihre Figuren bezeichnend oft nach England, ins Reich der Popkultur. Es mutet zwar reichlich verrückt an, eine Italienerin als Comic-Agentin Modesty Blaise zu besetzen. Aber andererseits war sie zuvor bereits für die Julie-Christie-Rolle in »Darling« im Gespräch. Joseph Loseys parodistische Eskapade kündigt an, wie viel freier und aggressiver Vittis Körperspiel in ihren Komödien werden wird. Die Spionage vollzieht sich in »Modesty Blaise« weniger als Kampf auf Leben und Tod, sondern als erotische Balgerei. Die Inszenierung ist sprunghaft. In einer Szene ändern sich ihre Frisur und Haarfarbe gleich mehrmals. Losey stellte fest, dass dies ein Film ist, den man wunderbar mit Kindern sehen kann. Das könnte auch heute noch funktionieren, immerhin steht gleich neben Modestys Bett ein Computer.
Zu diesem Zeitpunkt war ihre Liebesbeziehung zu Antonioni schon fast vorüber, er schrieb für sie zwar noch »Identifikation einer Frau«, der ihr erster gemeinsamer US-Film werden sollte. Aber der Damm war längst gebrochen. Ihre größten Publikumserfolge feierte Vitti in Komödienrollen. In »Mit Pistolen fängt man keine Männer« (Mario Monicelli, 1968) verschlägt es sie wieder ins Vereinigte Königreich. Wehrhaft zieht sie den Mann, der sie daheim in Sizilien verführt und entehrt hat, zur Rechenschaft. Der Originaltitel »La Ragazza con la Pistola« ist da noch eindeutiger. Sie lässt ihre Herkunft hinter sich, um sich in einer moderneren Welt zu behaupten. Eine tolle Wegmarke in diesem episodischen Kulturschock ist das arglos-freimütige Telefongespräch mit ihrem Widersacher, das für die Gäste einer steifen Cocktailparty simultan übersetzt werden muss. Auch diesmal vollzieht sich die Verwandlung von Vittis Figur durch einen flotten Wechsel der Frisuren, und ihre bunten Kostüme schöpfen den Fundus der Carnaby Street fulminant aus.
Ein weiterer Höhepunkt der Hommage ist »Eifersucht auf Italienisch«, wo sie 1969 unter der Regie von Ettore Scola eine rabiate Dreiecksgeschichte mit Marcello Mastroianni und Giancarlo Giannini erlebt. Scolas Film ist ein wunderbares Indiz für die Gabe der commedia all'italiana, das Politische und das Private mit größter Selbstverständlichkeit zu vermählen; der Morgen nach dem Fest der Kommunistischen Partei ist eine der romantischsten Szenen, die dieser Regisseur je gedreht hat. So brillant wie hier hat Vitti kaum je wieder das komische Register gezogen. Der boulevardeske Furor ihrer späteren Komödien kommt weitgehend ohne soziologische Handbremse aus. Vom Kino hat sie sich schon lange zurückgezogen. Seit einigen Jahren ist sie an Alzheimer erkrankt. Uns Zuschauern jedoch ist ihre Leinwandkarriere in lebhafter Erinnerung.
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