Kritik zu Schloss aus Glas

© Studiocanal

Destin Daniel Cretton hat die bekannte Autobiografie von Jeannette Walls über eine Kindheit in einer Aussteigerfamilie verfilmt

Bewertung: 3
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Soll ich lieber ein Essen kochen, das in einer Stunde verdaut ist, oder ein Bild malen, das für immer existiert? Keine leichte Frage für ein kleines hungriges Mädchen. Jeannette wirft sich dann selber ein paar Wiener Würstchen in den Topf, dabei fängt unglücklicherweise ihr Kleid Feuer und hinterlässt schreckliche Brandwunden auf ihrem Bauch. Im Krankenhaus bekommt sie dann immerhin endlich mal genug zu essen. Bald gellt hohes Wolfsgeheul durch die Flure, der Erkennungsruf unter den Mitgliedern der Familie Walls. Mit der Rundumversorgung ist es dann bald wieder vorüber, denn um die Krankenhausrechnung nicht bezahlen zu müssen, entführt Vater Rex seine Tochter, mit Unterstützung ihres kleinen Bruders, der die Aufmerksamkeit mit einem simulierten epileptischen Anfall auf sich zieht, während Mutter Rose draußen im Auto mit laufendem Motor wartet.

Die Mitglieder der Familie Walls sind ein eingespieltes Team, ein Wanderzirkus, der von Ort zu Ort, von Haus zu Haus durchs Land zieht, bis der Druck der unbezahlten Rechnungen mal wieder zu groß wird und alle Habseligkeiten hastig im Combi verstaut werden müssen. Dann geht es bald wieder von der Straße ab und durch den Zaun, mitten hinein in die Landschaft unterm Sternenhimmel. Ein bisschen erinnern sie an die wilde Aussteigerfamilie von Viggo Mortensens »Captain Fantastic«, nur dass das paradiesische Abenteuer von Freiheit und Ungebundenheit hier eine dunkle Seite hat, weil Rex eine innere Leere mit Alkohol füllt. So wie Mortenson reichert auch Woody Harrelson diese Rolle mit seinem ganz eigenen authentischen »indie spirit« an, ein bisschen überdreht, ein bisschen schräg und sehr wahrhaftig, immer zugleich mitreißend und niederschmetternd. Und Naomi Watts lässt seine Frau in vielen Schattierungen zwischen verrückter Ausgelassenheit, exzentrischer Künstlerexistenz und schwachen Resten mütterlicher Fürsorge oszillieren.

Ganz schnell ist die Achterbahnfahrt dieses Lebens skizziert, zwischen paradiesischen Zuständen und besorgniserregender Verwahrlosung, zwischen tollem Abenteuer und himmelschreiender Zumutung. Kein Wunder, dass sich Jeannette nach Stabilität sehnt. Doch wenn man Jahre später die erwachsene, jetzt von Brie Larson gespielte Jeannette im strengen Kostümchen als erfolgreiche Klatschreporterin, mit einem zuverlässigen aber langweiligen Mann im weitläufig sterilen New Yorker Design-Appartement sieht, tut sich eine unüberbrückbare Kluft zwischen der wilden Kindheit auf und dieser eingezäunten Existenz, eine Kluft, die die echte Jeannette durch die Überwindung der Scham und das Schreiben ihrer Lebensgeschichte überwunden hat.

In deren Verfilmung findet Destin Daniel Cretton zusammen mit den drei Jeannette-Darstellerinnen als kleines Mädchen, Teenager und junge Frau eine feine Balance aus explosiver Anarchie und tief geerdeten Gefühlen. Man kann die ungehaltene Wut verstehen, die Jeannette fast zerreißt, irgendwann aber auch die Kraft, die aus dieser irren Vaterfigur und der Versöhnung mit ihr entsteht.

Meinung zum Thema

Kommentare

Habe den Film gesehen und komme aus solch einer IRREN Familie. Für meinen Geschmack ist das Thema Alkohol und die emotionale Verwahrlosung der Kinder viel zu SOFT rüber gekommen. Die Realität in solchen Familien sieht anders aus!

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt