Kritik zu À la carte! – Freiheit geht durch den Magen

© Neue Visionen Filmverleih

Der märchenhafte Historienfilm verquickt die Erfindung von Restaurants mit dem Untergang des Ancien Régime und feiert sie als demokratische Errungenschaft

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Pierre Manceron ist Koch mit Leib und Seele, und für die Etikette jenseits seiner Küche hat der brummige Mann kein Gefühl. So entschuldigt er sich auch nicht, als er die mit seinem Herrn, dem Herzog von Chamfort, verabredete Menüfolge für ein Diner eigenverantwortlich erweitert und ein Amuse-Gueule serviert, das von einem Mitesser prompt giftig kritisiert wird. Diese Pastetchen, gefüllt mit Kartoffeln – »Sind wir etwa Deutsche?« – und reichlich Trüffeln – »Ein Fressen für Schweine!« – werden zum Leitmotiv des gefälligen Filmdramas. Wir befinden uns in den letzten Monaten des Ancien Régime, und noch verlangt der Adel totale Servilität, gilt individuelles Streben der unteren Stände als Angriff auf die gottgewollte Ordnung.

Der geschasste Manceron kehrt mit seinem Sohn in seine Heimat zurück. In der ländlichen Abgeschiedenheit kann er mit seinen Kochkünsten vermeintlich nichts anfangen. Doch dann taucht eine geheimnisvolle Frau auf, die unbedingt bei ihm in die Lehre gehen will. Und Chamfort, der auf Manceron nicht verzichten mag, macht Anstalten, ihn gnädig wieder aufzunehmen.

Der kommende Epochenbruch wird in diesem märchenhaften Historienfilm ungewohnt handfest und aus einer originellen Perspektive veranschaulicht. Dabei ist der gedrechselte Plot glaubwürdig genug, um – synchron mit der Werbung für die französische Küche und dem Drehort, der idyllischen Cantal-Region – die vielen Botschaften unterzubringen, die bei einer weltbewegenden Revolution nun mal anfallen. Da alles von diesem Ende her gedacht ist, fallen Dialoge oft etwas zeigefingerhaft aus. Pierres Sohn zitiert Rousseau und andere rebellische Schriftsteller, schwärmt von ­Montgolfier, und schimpft, ein Vegetarier vor seiner Zeit, über Fleischesser. Mancerons Vorliebe für eine einfache, auf lokale Produkte setzende Küche verweist auf Bocuse und die Nouvelle Cuisine, seine Verachtung für »mittelalterliche« Geschmacksverstärker wie Zimt, Sa­fran und Ingwer lässt aufhorchen.

Trotz plakativ didaktischer Momente macht es Spaß mitzuerleben, wie Louise und Pierre die Idee einer bürgerlichen Gaststube entwickeln: als einen Ort, in dem sich Leute ungeachtet ihrer Herkunft treffen und ihre Speisen von einer Karte wählen können, mit weißen Tischdecken, Blumen und freundlicher Bedienung, die nach Art des »Service à la russe« die Gerichte nacheinander auf Tellern serviert. Mit verführerischen Bildern von Tischen im Grünen, wo fröhliche Menschen zusammensitzen, werden Restaurants und das Recht auf Genuss nicht nur als Errungenschaften verdeutlicht, sondern bekommen demokratische Weihen verliehen. Freude macht auch die Besetzung mit Isabelle Carré als mysteriöser Fee, Grégory Gadebois als sturem Koch und Benjamin Lavernhe (Das Leben ist ein Fest) als schneidend arrogantem Adeligen, an dem die zwei sich auf raffinierte Art rächen. Trotz der oft schwerfälligen Inszenierung eine appetitanregende kulturgeschichtliche Lektion, die ganz der französischen Filmtradition des Essens und Redens verhaftet ist.

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