Kritik zu Freie Räume – Eine Geschichte der Jugendzentrumsbewegung

© Drop-Out Cinema

2019
Original-Titel: 
Freie Räume – Eine Geschichte der Jugendzentrumsbewegung
Filmstart in Deutschland: 
24.09.2020
L: 
102 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Tobias Frindt vermittelt dank spannendem Archivmaterial erhellende und verblüffende Einsichten in ein unterbelichtetes soziokulturelles Phänomen

Bewertung: 4
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Die Bewegung für selbstverwaltete Jugendzentren, die Anfang der 1970er Jahre im Nachklang der 68er vor allem in den Mittel- und Kleinstädten explodierte, war ein Motor kultureller Umwälzungen in der westdeutschen Provinz. Für viele damalige Jugendliche war sie erster Ort der politischen Sozialisation. Entstanden war die Bewegung aus dem Überdruss an autoritären Vorgaben und Vereinsmief, der das damalige gesellschaftliche Leben bestimmte und dem Konsumzwang in Diskotheken (so hießen Clubs damals) und der Gastronomie. Das jugendliche Unbehagen an diesem Mangel an autonom gestalteten  Freizeitmöglichkeiten mündete erst in den politischen Kampf mit den Behörden um solche Freiräume und dann bei eventuellem Erfolg in einer eigenen Szenekultur mit Musik, Straßentheater, Fahrradwerkstätten, Medienarbeit, Super-8-Film und Videowerkstätten.

Tobias Frindt war damals in Mannheim Teil der Szene. Sein engagierter, breit aufgestellter und facettenreicher Dokumentarfilm entfaltet – ausgehend vom JUZ Mannheim – mit vielen Berichten damals Beteiligter und dem Soziologen und Jugendzentrumsforscher David Templin von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg ein Kontinuum von den damaligen Kämpfen bis ins Heute, wo noch bestehende Jugendzentren in West und Ost gegen die zunehmenden Angriffe rechter Gruppen durch Gewalt oder die Verleumdung als »Brutstätten« des Linksextremismus kämpfen müssen. Oder – schöne Ironie! – etwa im dörflichen Saarland in selbstverwalteten Strukturen genau die Art »integrierender« Aktivitäten betreiben, gegen die der Kampf damals ging.

Lebendig wird der Film durch die beachtlichen  Fülle von Filmdokumenten (und auch anderer Archivalien), die mitten in das bewegte Geschehen führen und die Atmosphäre der damaligen Zeit fast immersiv vergegenwärtigen. Ein Teil dieser Videos entstand aus den damaligen kulturellen und propagandistischen Aktivitäten der Initiativen. Andere sind der Tatsache geschuldet, dass – interessanter Exkurs in die deutsche Mediengeschichte – die ARD-Jugendsendungen »Jour fix« und »Diskuss« die Bewegung unterstützen und auch (in Zeiten vor Internet und Handy) Kommunikation zwischen den einzelnen Gruppen vermittelten.

Auch die Konflikte der erfolgreichen Jugendzentren mit Drogen und Gewalt und die daran angeschlossenen Debatten um den Einsatz von Sozialarbeit werden thematisiert. Ein wenig kurz kommt (vermutlich wegen der Fokussierung auf Mannheim) nur die Infiltration durch die Jugendorganisationen diverser Parteien mancherorts, deren sachfremdes Gezerre irgendwann die Lust am Weiterkämpfen nahm. Das wäre aber die einzige Kritik an diesem Dokumentarfilm, der weit über die Jugendzentren hinaus Einsichten und ein lebendiges Gefühl für den subkulturellen politischen Kosmos der 1970er vermittelt. Die Reaktionen beim Zuschauen dürften zwischen Erheiterung und Nostalgie liegen. Und heutige Jugendliche könnten einiges über den zeitgeschichtlichen Hintergrund ihrer Baby-Boomer-Eltern erfahren.

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