Kritik zu Perfect Days

© DCM

2023
Original-Titel: 
Perfect Days
Filmstart in Deutschland: 
21.12.2023
V: 
L: 
123 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Alltagsrituale und andere Kleinigkeiten: Mit seinem neuen Film verneigt sich Wim Wenders einmal mehr vor dem japanischen Kino und erzählt vom scheinbar einfachen Leben eines Mannes, der in Tokio Toiletten reinigt

Bewertung: 5
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 1)

Manchmal ist es ganz simpel, scheinbar banal, wie Dinge beginnen. Der Ursprung von »Perfect Days«, der neue und seit Langem schönste Spielfilm von Wim Wenders, ist so ein Fall. Wenders hatte eine Einladung nach Japan erhalten, um sich die zu den Olympischen Spielen 2020 neu erbauten öffentlichen Toiletten anzusehen. Architektonische Kleinode menschlicher Bedürfnisse, entworfen von bekannten Baumeistern, über die er womöglich eine Dokumentation drehen könnte. Wenders schlug stattdessen vor, eine Geschichte über das Allgemeinwohl zu erzählen und wie es als menschliches Gut praktiziert wird, denn dafür sind diese Orte ja entstanden. 

»The Tokyo Toilet« steht dann auch auf dem taubenblauen Overall, in den Hirayama (Kôji Yakusho) allmorgendlich schlüpft, um zur Arbeit zu fahren. Noch hängen die Reste der Nacht über der Stadt, wenn der Mittsechziger in aller Frühe aufsteht, seinen Futon zusammenrollt, sich wäscht, anzieht und frühstückt, bevor er am Brett im Flur, wo sauber aufgereiht Schlüssel, Armbanduhr, Münzgeld liegen, diese nacheinander nimmt, bevor er aus der kleinen Wohnung tritt und die Tür hinter sich schließt. Hirayama verrichtet dieses Ritual schweigsam und in aller Ruhe, die Kamera wohnt ihm auf Augenhöhe bei. Vorm Haus steigt er dann wie an jedem Morgen in seinen Kleintransporter und fährt durch noch fast menschenleere Straßen. Als er eine seiner Musikkassetten einlegt und »House the Rising Sun« der britischen Sixtiesrockband The Animals ertönt, ist es die erste sachte Disruption in diesem zen-artigen Fluss leiser Bewegungen. 

Und schon ist man mittendrin in dieser Welt, die Wenders und sein Kameramann Franz Lustig kreieren, in der ein Blick für Alltägliches seinen ganz eigenen Zauber entwickelt. Und man sich gar nicht groß wundert, als Hirayama sein Tagwerk beginnt als Reiniger öffentlicher Toiletten im Ortsteil Shibuya. Dem geht er, ebenso wie seinem Privatleben, hingebungsvoll präzise und mit großer Würde nach. Wirklich schmutzig sind diese Anlagen ohnehin nie; sie wirken in ihren eklektischen Baustilen fast wie Kunstpavillons. In den Pausen setzt er sich unter einen Baum, isst sein mitgebrachtes Sandwich, und fotografiert das Schattenspiel der Sonne in den Blättern. Und abends, wieder zu Hause auf dem Futon, liest er alte Taschenbuchausgaben amerikanischer Schriftsteller, am liebsten Faulkner. 

Mit seinem einfachen, zurückgezogenen Leben in seiner eigenen analogen Welt und den stets gleichen Abläufen scheint er zufrieden zu sein, selbst der hibbelige neue Kollege Takashi (Tokio Emoto), der gern zu spät kommt, bringt ihn kaum aus der Ruhe. Und Kôji Yakusho verkörpert diesen Meister der Gelassenheit mit kleinsten Nuancen, die ihm zurecht in Cannes die Silberne Palme als bester Darsteller einbrachte. 

Es sind dann kleine, unerwartete Begegnungen, die ganz langsam und sanft eine Vergangenheit freilegen, die der Mann in seinem aufgeräumten und exakt ablaufenden Leben hinter sich gelassen hatte. Und die womöglich nicht so leicht ins Reine zu bringen ist. Doch auf diese Erzähllogik lässt sich Wenders gar nicht so ganz ein, lieber hält er noch mal inne und lässt uns fast meditativ staunen über die Schönheit der unscheinbaren Dinge. Da ist seine tiefe Liebe zu Japan zu spüren, das er seit vielen Jahren kennt, zum japanischen Kino und vor allem seine Verehrung für Ozu, über den er 1985 den Dokumentarfilm Tokyo-Ga drehte und dessen humanistische Filmsprache er hier wiederbelebt bis hin zum klassischen 1:1,33 Bildformat. 

Wenders Zuneigung zum japanischen Kino ist gegenseitig: »Perfect Days« wird nun als Japans Beitrag ins Rennen um den Auslands-Oscar geschickt. Gegen Ende des Films singt jemand nochmal »House of the Rising Sun«. Ganz zart und zurückgenommen in einer Bar, und auf Japanisch. Es treibt einem die Tränen in die Augen, so melancholisch schön ist das.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ein absolut schöner Film in seiner Farbigkeit und Klarheit des Lichts völlig musikalisch die Schönheit der technischen und der lebendigen Welt in Themen aufgreift, fortführt, sich umspielen läßt, fallen läßt und wieder aufgreift: einfach fabelhaft.

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