Netflix: »Der Leopard«
© Lucia Iuorio/Netflix
»Wir sind Leoparden«, sagt der sterbende Fürst zu seiner Tochter. »Nach uns kommen Hyänen und Schakale.« Diese Epochenschwelle ist das Thema in Giuseppe Tomasi di Lampedusas Sittengemälde über die italienische Einheitsbewegung des 19. Jahrhunderts. Mit »Der Leopard« legt Netflix nach Hundert Jahre Einsamkeit gleich die nächste Neuinterpretation eines Romanklassikers vor.
Der aufwendig inszenierte Sechsteiler erzählt die Geschichte des Aristokraten Don Fabrizio, dessen Adelsgeschlecht seit Generationen in Sizilien herrscht. Zu Beginn maßregelt er noch einen seiner Knechte. Doch auch seine Macht wird mit dem Vereinigungsprojekt Garibaldis, der mit seinen Truppen im April 1860 auf Sizilien landet, zumindest eingeschränkt werden. Der Fürst versucht, sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Sein Neffe Tancredi schlägt sich gleich auf die Seite von Garibaldis Rothemden.
In der Serienversion soll der junge Draufgänger zuerst an der Seite einiger Garibaldisten exekutiert werden. Um ihn freizukaufen, trennt Don Fabrizio sich vom fruchtbarsten Teil seiner Ländereien. Doch die Motivation für dieses Opfer vermittelt sich nicht so ganz. Warum eigentlich der Fürst diesen Tancredi mehr liebt als die eigenen Söhne, wird nicht so recht deutlich. Aufschlussreich ist hier der Blick zurück auf Luchino Viscontis Adaption aus dem Jahr 1963. Gewiss, Kim Rossi Stuart in der Rolle des Leoparden erinnert stark an die gravitätische Eleganz von Burt Lancaster. Im Gegensatz aber zu dem blass bleibenden Saul Nanni lässt Alain Delons Tancredi eher erahnen, warum der Fürst so fasziniert von ihm ist, steht er doch für den gesellschaftlichen Wandel und den Anpassungswillen der aufstrebenden Generation. Visconti verlieh dem Stoff so eine Doppelbödigkeit, die man in der Neuinterpretation vermisst.
Nicht verwundert ist man, dass Drehbuchautor Richard Warlow und Regisseur Tom Shankland die Frauenfiguren dem Zeitgeist anpassten. Neben einer für das 19. Jahrhundert doch etwas zu selbstbewussten Prostituierten wird vor allem Don Fabrizios Tochter Conchetta aufgewertet, die sich am Ende als Leopardin emanzipiert. Auch die visuelle Gestaltung unterscheidet sich. Das Bildnis des Fürsten von Salina, das Visconti mit einander gleichenden Festen, Bällen und Empfängen malte, fügte sich zu einem Ornament der Prachtentfaltung. Nur bei genauem Hinsehen werden der Zerfall und das Morbide der aristokratischen Welt sichtbar.
Diese schwermütige Melancholie vermittelt sich in der Serienadaption kaum. Im Gegensatz zu Viscontis kunstvollen Fresken gelingt dem Sechsteiler allenfalls ein kalkuliertes Design. Die neue Version hat aber durchaus ihre Momente. So symbolisiert Giuseppe Verdis Chor »Va, pensiero« aus der Oper Nabucco, bekannt als »Der Gefangenenchor«, die Themen des Verlusts und der Nostalgie, die auch im Roman zentral sind. Wenn der Fürst diesem Gesang bei einer Operninszenierung lauscht, erzeugen Bilder und Klänge Gänsehaut.
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