Kritik zu Rückkehr ans Meer

© Arsenal Filmverleih

Ein Rückzug als Neuanfang: François Ozon bringt in seinem neuen Film eine schwangere ehemalige Drogenabhängige mit dem schwulen Bruder ihres verstorbenen Freundes in einem Haus am Meer zusammen

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Louis (Melvil Poupaud), ein junger Mann aus gutem Hause, setzt sich den goldenen Schuss und damit der Vorgeschichte des Films ein abruptes Ende. Die neben ihm bewusstlos aufgefundene Mousse (Isabelle Carré) findet nach sechs Wochen aus dem Koma ins Leben zurück. Schwanger. Sie zieht aufs Land in ein neues »Versteck« (Originaltitel: »Le Refuge«), wo sie bald Besuch von Louis' jüngerem Bruder Paul (Louis-Ronan Choisy) bekommt. Keine Romanvorlage hat – wie schon so oft – Regisseur François Ozon zu seinem neuen Film verführt, sondern das pralle Leben selbst. Es war ein langgehegter Traum, wiederbelebt von einer schwangeren Freundin, die sich selbst nicht vor die Kamera traute. Dennoch musste blitzschnell ein Plot entwickelt werden, weil die bald gefundene Isabelle Carré bereits im sechsten Monat war. Der Film zeigt eine »Sommergeschichte« am Meer, ganz im Stil eines Eric Rohmer, der allerdings vor einem hoch gewölbten Bauch zurückgeschreckt wäre. Ozons Leidenschaft für schöne Frauen hat mit dieser Ode an die Schwangerschaft einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, was zu allerlei Spekulationen verführt.

Ob der aus Stimmungsbildern zusammengesetzte Film nun überhaupt einen Plot hat, sei dahingestellt. Er ist ganz auf seine Hauptdarstellerin zugeschnitten, deren Körperzustand in aller Offenheit dargeboten wird, Verzicht auf Schminke inbegriffen. Die Zeit scheint aufgehoben. Der Film lässt sich treiben, folgt dem Müßiggang und den schweifenden Blicken der ungewollt Schwangeren mit ambivalenten Gefühlen, die sich bald von einem jungverliebten Paar – Paul und Serge – umzingelt sieht und unversehens in eine Welt zurückgeworfen wird, aus der sie als Junkie lange ausgeschlossen war. Ozon zeigt die Erneuerung des Lebens schlechthin, meidet die Vorstellung vom klassischen »Erben«, macht hingegen auf indirekte Art Angebote an die Mütter (und Väter), in dieser Zeit der Transformation neue Entscheidungen zu treffen und neue Wege einschlagen zu können.

Ganz enfant terrible, stellt François Ozon nicht nur das Klischee von der »angeborenen Mütterlichkeit« auf den Kopf, sondern stellt die Frage nach der Geschlechteridentität schlechthin. Festgelegte Geschlechterrollen gibt es hier nicht. Dabei scheinen den schwulen Regisseur vor allem zwei Motive umzutreiben: die Sehnsucht nach der Rückkehr in die Urhöhle (des Mutterbauchs) sowie – mit sexualpolitischer Relevanz – der Wunsch nach und das Recht auf Reproduktion. Letzteres hat er im Interview allerdings energisch verneint.

»Rückkehr ans Meer« bleibt so nah an der Realität wie Filmvorläufer »Ricky«, stellt aber erneut ein altbekanntes Thema des Regisseurs zur Diskussion: Leben und Tod. Das Verschwinden des geliebten Menschen und die Trauer, die erst langsam hochkriecht, wiegen mehr als das Kind, das unbeschriebene Blatt. Die starken Lichtkontraste des Films – wie geblendet schaut man auf die schönen Porträtbilder des Paars, das dann für immer getrennt sein wird – unterstreichen den Erinnerungswert und das, was bleibt: den Schmerz. Bewundernswert, wie es Ozon doch wieder mit leichter Hand geschafft hat, die größten existenziellen Fragen aufzutischen.

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