Kritik zu Der Sommer mit Mamã

© Pandora

Die brasilianische Autorenfilmerin Anna Muylaert erzählt von einer Hausangestellten, die durch den Besuch der Tochter einen neuen Blick auf ihr Leben wirft

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Seit vielen Jahren lebt und arbeitet Val (Regina Casé) als Haushälterin bei einer großbürgerlichen Familie in São Paulo. Klaglos und mit kaum nachvollziehbarer Hingabe erträgt die etwa 50-Jährige die Launen der zickigen Hausherrin Bárbara (Karine Teles), für deren verwöhnten 17-jährigen Sohn sie eine Ersatzmutter und für deren schwermütigen Mann Carlos eine Pflegekraft ist. Das klingt nicht gerade spannend. Warum sollte man sich diese Geschichte einer Dienerin antun, die mit 110 Minuten noch einige Überlänge hat?

In »Der Sommer mit Mamã« geht es nicht wie üblich um Ausbeutung und Klassengegensätze. Wie der thematisch ähnliche chilenische Film »La Nana – Die Perle« von 2010 erzählt auch die brasilianische Regisseurin Anna Muylaert von einer zum Teil selbstverschuldeten Unmündigkeit. Entsprechend sind die ersten zwanzig Minuten ganz aus dem Tunnelblick der umtriebigen Val erzählt. Sie ist der gute Geist in diesem gut situierten Haushalt, in dem alle missmutig aneinander vorbeileben und beim Essen apathisch auf ihren Smartphones rumwischen.

Dennoch baut sich eine prickelnde Spannung auf. Man spürt allmählich, dass Val in ihrem Job so sehr aufgeht, weil sie mit einer Lebenslüge kämpft. Seit über zehn Jahren hat sie ihre Tochter nicht mehr gesehen, die sie nach einem Streit mit ihrem Mann bei einer Freundin im Norden Brasiliens zurückließ. Doch nun bezieht Jéssica (Camila Márdila) überraschend Quartier bei ihrer Mutter, um sich an einer Elite-Uni einzuschreiben. Ganz selbstverständlich erwartet Val von ihrer Tochter, dass sie sich gegenüber den Gastgebern so unterwürfig verhält wie sie. Doch Jéssica verweigert sich diesem Spiel und löst so eine vergnüglich inszenierte Kettenreaktion aus. Während der Hausherr und dessen Sohn sich in Jéssica verlieben, beginnt die Hausherrin einen Zickenkrieg gegen die selbstbewusste Konkurrentin. 

Existenzielle Krisen und großes Geschrei gibt es hier nicht. Trotzdem ist der Zuschauer gebannt, weil das unterschwellige Drama seine Figuren nuanciert durchschattiert. Camila Márdila spielt eine aufstrebende, junge Architektin, die aus ihrem Leben etwas machen will und sich für ihre Mutter schämt – dieser aber so die Augen öffnet. Regina Casé, brasilianischer TV- und Kinostar, glänzt als vitale Haushälterin, die die Kinder ihrer Arbeitgeber verhätschelt, in die Rolle als Mutter ihrer leiblichen Tochter aber erst hineinwachsen muss. Die Autorenfilmerin Muylaert hat als Kritikerin gearbeitet und schon einige Filme inszeniert, die aber nicht in deutschen Kinos liefen. »Der Sommer mit Mamã« verblüfft durch eine klare handwerkliche Linie. Jedes Bild ist mit erstaunlicher Präzision gestaltet. Nur wenige Szenen sind außerhalb dieses Kosmos’ einer modernistisch gestylten, nicht zu protzigen Villa angesiedelt. Dennoch wirkt das zuweilen slapstickhafte Kammerspiel nie dialoglastig oder theaterhaft, weil die bemerkenswerte Kamera viel Gespür für Räume und Stimmungen beweist. Ein Film für Zuschauer, die Geschichten mögen, die sich ganz allmählich aus Detailbeobachtungen entwickeln.

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