Kritik zu Das Pferd auf dem Balkon
Ein Junge mit Asperger-Syndrom und ein Pferd, das ihn versteht: Hüseyin Tabak hat das Kinderbuch von Milo Dor aus dem Jahr 1971 verfilmt
Ein klassischer Hinterhof in Wien, eingerahmt von allen vier Seiten mit Häusern. Das ist der Mikrokosmos, in dem sich Mikas Alltag abspielt. Zum Glück ist das Leben hier überschaubar, denn der 10-jährige Mika hat das Asperger-Syndrom, eine Variante des Autismus. Er kann es nicht leiden, von Menschen angefasst zu werden, und schaut seinen Gesprächspartnern auch meistens nicht in die Augen. Der Tag muss nach festen Zeiten geregelt werden, sonst bekommt Mika einen Tobsuchtsanfall. Freunde hat er nicht, aber das Nachbarsmädchen Dana wird in der Geschichte zunehmend eine wichtige Rolle spielen, da sie ihn so akzeptiert, wie er ist, und ihn unterstützt. Mikas geordnetes Leben wird durcheinandergewirbelt, als er eines Nachts ein Pferd wiehern hört, es steht auf dem Balkon im ersten Stock gegenüber.
Hüseyin Tabak hat sich für die Verfilmung des gleichnamigen Buches von Milo Dor aus dem Jahr 1971 einer Visualisierung bedient, die sich dem Thema Autismus anzunähern versucht, um das Symptom Asperger für die jungen Zuschauer nachvollziehbar zu machen. Das ist nicht mit dem Zeigefinger inszeniert, sondern witzig und anschaulich. Manchmal verschwimmen die Bilder, wenn es Mika mal wieder in einer Menschenmenge zu viel wird, oder eine Grafik verdeutlicht, was er im Augenblick berechnet, zum Beispiel den Schusswinkel zum Tor. Dass Mika in einigen anderen Dingen – zum Beispiel in Mathe – ein echtes Genie ist, begeistert Sascha, den Besitzer des Pferdes, der in dem Jungen das sieht, was er ist, ein Kind mit besonderen Fähigkeiten und Bedürfnissen. Wenn Mika das erste Mal auf dem Rücken von Bucephalus sitzt, ist klar, das Pferd wird sein Leben verändern. Dazu muss es aber aus der Wohnung raus, wo es schließlich nur aus Ermangelung einer Pferdebox gelandet ist. Sascha, dem sympathischen und hoch verschuldeten Spieler, ist sein Pferd sowieso nur ein Ärgernis, da es ihm die Haare vom Kopf frisst. Noch dazu sitzen ihm zwei Ganoven wegen seiner Schulden im Nacken. Aber für alles gibt es eine Lösung, und Mika kämpft gemeinsam mit Dana darum, dass Bucephalus nicht zum Schlachter muss.
Im Genre einer Krimikomödie ist Tabak ein leichter Kinderfilm mit hintergründigem Humor gelungen. Wir sind von dem Hauptdarsteller sofort eingenommen und können uns in sein Innerstes – soweit überhaupt möglich – hineinversetzen. Und als Mika eine wirklich wichtige Situation verbockt mit der Behauptung, die Zahl sechs sei unzuverlässig, weil man sie auch andersherum lesen kann, können wir ihm überhaupt nicht böse sein, denn diese Ansicht ist in seinem Denksystem absolut logisch. Wer um Punkt 14:17 Uhr sein Mittagessen braucht, der kann eine Ziffer, die auch umgedreht lesbar ist, einfach nicht akzeptieren.
Aus Österreich kommen nicht viele Kinderfilme, aber die, die produziert wurden (übrigens alle von Mini Film/Tara Film), können sich sehen lassen: »Die kleinen Bankräuber« (2009), »Karo und der liebe Gott« (2006), »Villa Henriette« (2004). »Das Pferd auf dem Balkon« (Mini Film) reiht sich da ganz hervorragend ein.
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