Die Wüste lebt
Rasenflächen waren ihm ein Gräuel. Er fand, sie seien wider die Natur und der Feind jedes guten Gartens. Derek Jarman meinte gar, sie anzulegen sei ein Akt des Terrorismus. Also raus damit, um die Wildnis hereinzulassen!
Ich vermute, diese Abneigung ging nicht auf ein Kindheitstrauma zurück. Die Eltern ermutigten ihn früh zum Pflanzen von Blumen (das erste Buch für Erwachsene, das sie ihm schenkten, handelte davon) und so nahm er das samstägliche Ritual des Mähens wohl ohne Murren in Kauf. Nein, der Rasen symbolisierte für ihn eher die eingehegte Ordnung, die britischen Konventionen. Der eigene Garten, den der an HIV erkrankte Jarman in seinen letzten Lebensjahren in Dungeness in der Grafschaft Kent anlegte, kam mithin ohne Zäune aus und hatte nur natürliche Grenzen. Ein wenig blieb er dabei doch Brite: Der Teil, der vor seinem Haus liegt, ist durchaus formell gestaltet, hinter Prospect Cottage aber herrscht planvolle Anarchie. Mit seinem Film »The Garden« hat der Regisseur ihm 1990 ein Denkmal gesetzt. 1995, ein Jahr nach seinem Tod, brachte Thames & Hudson seine Tagebuchaufzeichnungen unter dem Titel »Derek Jarman's Garden« heraus; seit 1996 liegt auch eine deutsche Übersetzung vor, die bei Volk und Welt erschienen ist. Illustriert sind beide Ausgaben mit den wunderbaren Fotos, die der Fotograf Howard Sooley von dem Filmemacher und seinem letzten Reich gemacht hat.
Seinen Charakter hat der Garten sich bis heute erhalten, auch drei Jahre nach dem Tod von Jarmans Lebensgefährten Keith Collins. Der Erbe hatte noch zu Lebzeiten eine Stiftung gegründet, um ihn zu bewahren. Im letzten Jahr erbrachte eine zu diesem Zweck initiierte Crowdfunding-Kampagne, die Tilda Swinton, die Kostümbildnerin Sandy Powell und weitere WeggefährtInnen unterstützen, sagenhafte viel Millionen Dollar. Dieser eher kleine Garten ist nicht nur ein Kunstwerk eigenen Rangs, das erzählt, wie etwas wächst, sich entwickelt und fortdauert. Er ist auch ein Faszinosum: Es kristallisiert sich ungeheuer viel in ihm. Er gibt viele Antworten. Nun hat er das Silent Green in Berlin zu einem Ausstellungsprojekt inspiriert, das bis zum 22. August mit einem vielfältigen Rahmenprogramm läuft (www.silentgreen.net). Die Schau ist sehr eindrucksvoll; einige Tage nach dem Besuch gewinne ich allmählich auch eine Vorstellung davon, was ihr Untertitel »Cinematics of the Soil« (Kinematographien der Erde) bedeuten soll.
Mit soil hat es in Jarmans Fall indes eine besondere Bewandtnis. Er hat einen Stein-, einen Kieselgarten errichtet. Davor wird ja heutzutage dringend gewarnt, zumal angesichts des heillos versiegelten urbanen Grundes. Der Boden spielt bei Jarman eine untergründige Rolle: Um hier zu gedeihen, brauchen Pflanzen tiefe Wurzeln. Im Buch nennt er Dungeness eine Wüste (erst recht, nachdem er begeistert von einer letzten Reise zu Monets Landsitz in Giverny zurückkehrt). Umso erstaunlicher, was er im Geröll vorgefunden und kultiviert hat! Nicht nur Buschwerk, Ginster, Meerkohl und Mohn, auch Heckenrosen, Hagebutten, Kornblumen und vieles mehr. Die farbige Pracht ist an der sonnigen Südostspitze Englands, wo zwei Meere aufeinander treffen und scharfe Winde wehen (besonders den aus östlicher Richtung muss die Flora fürchten), ohnehin kühn den Elementen abgetrotzt. Das Prospect Cottage liegt in unmittelbarer Küstennähe und im Schatten eines Atomkraftwerks. Dessen Anwesenheit beunruhigte Jarman aber wohl nicht sonderlich. Vielmehr faszinierte ihn die Lichtglocke, die nachts über ihm schwebte. Die Gartenarbeit als Akt des Widerstands: gegen das Sterben und auch das Klima der Thatcher-Ära und Folgejahre. „England had become a neglected garden“ heißt es im Film, was man wahlweise mit "vernachlässigt" oder "verwahrlost" übersetzen kann. Im Film ist, wenn ich es recht erinnere, für ihn noch unentschieden, ob sein Garten nun Eden oder Gethsemane ist. Im Buch steht er für beides.
Die Ausstellung nähert sich diesem Kristallisationspunkt aus verschiedenen Richtung. Eines der ersten Videos handelt von vergifteter Erde, vom Uranabbau der Wismut AG im Erzgebirge und zwei weitere von der Einlagerung nuklearer Abfälle im Westjordanland. Eine der ersten Installationen setzt sich mit DNCB, einer chemischen Substanz auseinander, die in der HIV-Prävention eingesetzt wurde. Etliche von Howard Sooleys stimmungsvollen, klarsichtigen Impressionen sind zu sehen sowie einige Skulpturen aus dem Garten. Es sind ready-mades, die Jarman aus Vorgefundenem, vor allem aus Strandgut, gestaltete. Die Materialien, Steine, rostiges Metall, Knochen und verwittertes Holz, künden von Vergänglichkeit. Unweigerlich spielt der Ort in die Konzeption der Ausstellung hinein: Das Silent Green hat das ehemalige Krematorium im Wedding in Besitz genommen. In der großen Betonhalle dominieren Ausschnitte aus Jarmans Film, im präzis choreographierten Wechsel zwischen großen Bildschirmen, die Atmosphäre. "Hier läuft alles auf Verderben und Tod hinaus", sagte meine Begleiterin niedergeschlagen. Nein, erwiderte ich, denn danach lief eine Montage aktueller Aufnahmen vom Prospect Cottage und seiner Umgebung: ein lebendiges Vermächtnis.
Obwohl die Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft in den Filmszenen und entsprechend auch der Schau sehr präsent sind, spielt der Garten in ihr eine eher untergeordnete Rolle. In der Tiefe der Halle ist der Grundriss des schwarzgeteerten Hauses mit seinen leuchtend gelben Fenstern auf dem Boden markiert. Fenster und Türen hängen darüber als ein minimalistisches Bühnenbild, das von Imagination und Erinnerung bespielt werden will. "These years have been the most extraordinary", schreibt Jarman im letzten Drittel seines Buches, "blessed with with little pain and full of intimacy." Diese Intimität ist zu spüren im Silent Green. Beim Herausgehen betrachteten wir die Scheinwerfer, die die Decke mit blauem Licht bestrahlen. Seinen letzten Film hat er in diese Farbe getaucht, nachdem seine Krankheit ihn erblinden ließ. Nennen wir es das Jarman-Blau.
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