Nicht kleckern ... Klötzchen!
© Warner Bros.
Im April kommt der erste Lego-Film ins Kino. Ist schon gut. Noch spannender aber ist, was Fans und Spezialisten auf Youtube und Vimeo mit den bunten Figuren und Bausteinen veranstalten. Annegret Richter über »Brick-Movies«
Irgendwie hat man sich daran gewöhnt: Dass erst der Film kommt und dann das Spielzeug. Die Superhelden-Actionfigur. Das Hobbit-Brettspiel. Das Fernlenkauto mit dem Minion, der Bogen von Katniss Everdeen aus den Panem-Filmen. So geht es nach der Merchandising-Logik der Blockbusterproduktion.
Aber natürlich war das nicht immer so. Generationen von Kindern sind mit Spielzeug aufgewachsen, bei dem die Geschichte nicht bereits mitgeliefert wurde. Die Bausteine des dänischen Spielzeugkonzerns Lego waren anfangs recht universell verwendbar. Das erste Aufbauen eines neuen Bausatzes, das verzweifelte Wühlen nach einem einzigen blauen Einer in den nach Farben sortierten Steinekisten, das Kinderzimmer, das sich ganz allmählich in eine einzige große Lego-Landschaft verwandelt: Das war kreatives Abenteuer und handwerkliche Herausforderung. Wohl kaum ein Spielzeughersteller hat die Kinderzimmer so geprägt wie Lego, kein Vater, der sich nicht heute noch darauf freute, dass sein Sohn endlich ins legofähige Alter kommt. Und sei es auch nur, um sich selbst mit dem Todesstern in Lego eine Freude zu machen.
Der kommt inzwischen freilich mit einer Bauanleitung daher, die umfangreicher ist als die zu einer kompletten Ikea-Küche. Wahre Kreativkräfte gehen deshalb weiter. Sie machen aus Lego noch etwas ganz anderes: Bausteinfilme – Brick-Movies.
Ganze Grundschulklassen sind heutzutage eifrig dabei, wenn es heißt, den bunten Klötzchen Leben einzuhauchen. Denn Filme mit Lego-Steinen funktionieren als Stopptrick–Animationsfilme. Das ist zwar zeitintensiv, denn man muss jede einzelne Bewegung, jedes einzelne Bild aufbauen und anschließend aufnehmen, um die Einzelbilder zu animieren. Je nach verwendetem Bildformat braucht man dazu 10 bis 25 Einzelbildaufnahmen für eine Sekunde Filmmaterial.
Gleichzeitig ist es aber dank der speziellen Voraussetzungen der Lego-Steine und -Figuren ein recht einfach umzusetzendes Prinzip. Als Kulissen können wiederum Lego-Städte dienen, oder man lässt die Figuren den realen Raum erobern, sie zum Beispiel über den Küchentisch wandern, die Regenrinne herunterklettern und vor der Hauskatze fliehen. Wichtig ist nur, dass die Bestandteile der einzelnen Aufnahmen gut fixiert sind, um ungewollte Veränderungen zu vermeiden. Da arbeiten Brick-Filmer dann »hinter den Kulissen« auch gerne mal mit Sekundenkleber, Schrauben oder anderen Hilfsmitteln. Viel mehr als einen großen Berg Lego-Steine, etwas Licht und eine Kamera braucht es also nicht, um sich als Lego-Filmer an sein erstes Projekt zu wagen, und dann stehen einem alle Möglichkeiten offen: Man kann jedes beliebige Genre nachstellen oder bekannte Filme nachspielen. Lego selbst bietet mit seinen Themenwelten immer wieder inhaltliche Verknüpfungen an, zum Beispiel mit seinen Star Wars-Figuren.
Aber natürlich lassen sich auch ganz eigene Geschichten mit den bunten Steinen erzählen. Gelegentlich werden Brick-Filme aber auch für professionelle Zwecke genutzt. Michel Gondry animierte zum Beispiel das Musikvideo »Fell in Love With A Girl« zum Song der White Stripes.
Weltweit gibt es mittlerweile eine feste Szene der Brick-Filmer, die sich seit den 80er Jahren kontinuierlich weiterentwickelt hat. Damals kamen die ersten Brick-Filme auf, die Pioniere waren Dave Lennie und Andy Boyer, zwei junge US-Amerikaner, die noch mit analoger Video- und Schnitttechnik arbeiteten. 1990 setzten zwei Australier mit der Star Wars-Parodie »StarLego« einen Trend, der bis heute anhält: lego-basierte Neuverfilmungen von Filmklassikern.
Die Firma Lego selbst griff das steigende Interesse an Lego-Filmen um die Jahrtausendwende ebenfalls auf und reagierte mit einem eigenen Produkt samt Software, dem »Lego Studios Steven Spielberg MovieMaker Set«. Damit konnte man ein Filmset im Stil von Blockbustern wie Jurassic Park aufbauen und mit einer Webkamera einen kleinen Film drehen. Mittlerweile ist dieses Produkt jedoch nicht mehr erhältlich, denn die Lego-Filmer waren mit dem vorgefertigten Inhalten nicht zufrieden.
Im Jahr 2000 wurde mit Brickfilms.com die erste eigene Brick-Film-Site ins Netz gestellt, die bis heute als Plattform für fertige Filme dient und auf der spezielle Themen rund um das Lego-Filmen diskutiert werden. Im Internet finden sich mittlerweile aber auch viele andere Foren für von Lego faszinierte Filmemacher und zahlreiche Anleitungen sowie fertige Filme, die als Inspirationsquellen für eigene Werke dienen können. Seit Februar 2014 gibt es auf dem deutschen Markt ein Buch zum Thema, der Titel lautet serviceorientiert: »Kreative Filme mit Lego-Figuren«. Darin findet man detaillierte Making-ofs mit Stills ebenso wie Behind-the-Scene-Fotos, um spezielle Problemlagen und dezidierte Lösungen aufzuzeigen.
Und Youtube und Vimeo eignen sich hervorragend als Distributionsorte, um die größtmögliche Öffentlichkeit für die eigenen Filme herzustellen.
In Sachen Genre gilt dasselbe wie für die Kombination einzelner Lego-Steine: Die Möglichkeiten gehen gegen unendlich. Dass viele Lego-Filme Parodien von Blockbustern sind oder einzelne berühmte Filmszenen nachstellen, ist nicht erstaunlich, ist die Szene doch überwiegend von Laien geprägt, die ihre eigenen Vorlieben hier in Bausteinen modellieren. So finden sich im Internet Remakes der berühmten Duschszene aus Psycho ebenso wie Parodien auf 2001– Odyssee im Weltraum.
Vor allem die Star Wars-Saga hat es den Brick-Filmern angetan; Sehr beliebt sind außerdem Parodien auf Martial-Arts-Filme, Pornos oder Horrorfilme, man denke nur an das »Lego Chainsaw Massacre«. Daran anknüpfend eine These, die sich aber nicht belegen lässt: Die überwiegende Zahl der Brick-Filmer is männlich.
Aber nicht nur Stoffe aus Film, Fernsehen und Literatur greifen die Macher auf, selbst ein Computerspiel-Klassiker wie »Pong« existiert als Teil eines Brick-Filmsets. Und der Original-Radiokommentar von Herbert Zimmermann zur Fussball-WM 1954 wurde 2002 zu einem der mittlerweile wohl bekanntesten deutschen animierten Lego-Dokumentarfilme. In ihrem zehnminütigen Film »Die Helden von Bern« animierten drei Studenten der Hochschule Offenburg sehr detailliert das Wunder von Bern mit Lego-Figuren im Stil einer Fußballübertragung. Unterschiedliche Kameraperspektiven, Schnitte aufs Publikum und nicht zuletzt die Wiederholung der Tore in Slow Motion bieten dem Zuschauer einen aktions- und emotionsgeladenen Eindruck vom Geschehen. Vor allem die Liebe zum Detail ist es, die viele der Lego-Animationen so besonders macht. Seit 2005 gibt es in Deutschland sogar ein eigenes Brick-Film-Festival, »Die Steinerei«, dessen Macher es als das »wahrscheinlich weltweit einzige seiner Art« bezeichnen. Es wird jedes Jahr in einer anderen Stadt durchgeführt und bietet neben der Möglichkeit, Brick-Filme auf der großen Leinwand zu zeigen, mit einem Publikumspreis auch Wettbewerbsmöglichkeiten für die zahlreichen Macher, die zum Austausch aus ganz Deutschland anreisen.
Es gibt viele Gruppen von Lego-Filmern, die regelmäßig Filme für das Festival einreichen. Dazu gehört auch die Gruppe »nichtgedreht« (www.nichtgedreht.de). Sie begann als Schul-AG, und mittlerweile realisiert man nicht nur Hommagen und Adaptionen von Filmen, sondern versucht auch, das Medium Lego selbst in den Geschichten zu hinterfragen. In dem 2009 entstandenen Film »Alles ist die Noppe« zum Beispiel nutzen die Regisseure die Uniformität der Lego-Figuren, um ein düsteres Setting der Beklommenheit zu schaffen und in Brick-Film-Manier die Frage zu beantworten, wie man sich aus so einer Orwell’schen Utopie befreien kann.
Natürlich ist Lego nicht das einzige Spielzeug, mit dem Filme produziert werden. Puppen oder Actionfiguren generell, Barbie und Ken und vor allem Playmobil-Figuren bieten sich an, um Geschichten, die man im Kinderzimmer spielt, auch visuell zu konservieren. Aber Lego hat eine eigene Ästhetik. Allen Brick-Filmen gemein ist somit nicht zuletzt ihr hoher Wiedererkennungswert. Er übt neben der einfachen Art, mit der sich auch für Laien erste Brick-Film-Projekte umsetzen lassen, sicherlich einen ebenso großen Reiz auf die Macher aus wie die Möglichkeit, die Lego-Figuren aus ihrer Spielzeugwelt herauszuholen. Man durchbricht das geschlossene System der Spielzeugmarke, indem man nicht nur aus den Steinen neue Welten abseits der vorhandenen Bauanleitungen erschafft, sondern zum Beispiel auch die Figuren selbst verändert. Sei es nun ganz klassisch, indem man den kugeligen gelben Lego-Gesichtern nachträglich noch einen Bart malt, oder hochmodern, indem man sogar Mittel der digitalen Bildbearbeitung nutzt. Das gilt für die Kulissen und Sets natürlich gleichermaßen.
Aber Lego-Bausteine lassen sich auch als bunte Display-Oberfläche verwenden, auf der dann durch die unterschiedliche Anordnung der Steine Bilder entstehen können. Wie spannend dies sein kann, beweisen die Kurzfilme von Annette Jung vom Studio Talking Animals in Berlin. Sie hat 2013 sowohl den legendären Moonwalk als auch den Anfang des Musikvideos »Thriller« in ihrer sehr eigenen Kreativiät mit Lego-Steinen umgesetzt. Michael Jackson lebt. Zumindest in Lego.
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