Kritik zu Come on, Come on
Nach dem Vater in »Beginners« und der Mutter in »Jahrhundertfrauen« widmet sich Mike Mills in seinem neuen Film einem Kind: Joaquin Phoenix nimmt als Radiojournalist seinen Neffen mit auf eine Arbeitsreise – der Beginn einer wundervollen Freundschaft
Kaum ein Regisseur erzählt von Eltern und Kindern mit solcher Feinfühligkeit wie Mike Mills. Sei es das Coming-of-Age eines Teenagers in »Thumbsucker«, das Coming-out eines alten Vaters in »Beginners« oder das Mutter-Sohn-Verhältnis in »Jahrhundertfrauen«. Wie diese weist auch sein neuer Film »C'mon C'mon« einen starken persönlichen Bezug auf: Die Story eines New Yorker Radioreporters, der sich um seinen Neffen kümmert, ist von Mills eigener Beziehung zu seinem Sohn inspiriert. Eine therapeutische Nabelschau muss man gleichwohl nicht fürchten. Wie immer gelingt es Mills mit einer wundersamen Mischung aus Präzision und Beiläufigkeit, das Universelle im Individuellen zu finden, im ganz persönlichen Erleben den Blick auf die Welt zu weiten.
Das beginnt schon mit der Ausgangssituation: Der Radiojournalist Johnny (Joaquin Phoenix) arbeitet an einem Projekt, für das er durch die USA reist, um Kinder und Jugendliche aller Schichten und Herkünfte über ihre Träume und Ängste zu befragen – die Oral History einer Altersgruppe, die in dieser Ernsthaftigkeit nur selten zu Wort kommt. Allein diese Idee macht Mills' Film besonders, umso mehr, weil die Interviews, die sich als Leitmotiv durch den Film ziehen, allesamt authentisch sind.
Sie bilden zugleich die Grundierung für die Geschichte von Johnny und seinem neunjährigen Neffen Jesse (Woody Norman), um den er sich nun für eine Weile kümmern soll, weil Jesses Mutter Viv (Gaby Hoffman) von L. A. nach San Francisco reisen muss, um ihrem psychisch labilen Ex zu helfen. Schließlich nimmt Johnny den Jungen aus Los Angeles mit nach New York – und mit auf seine Interviewreise.
Die Interviews bilden dabei einen feinen Kontrast zu den Gesprächen zwischen Johnny und Jesse, denn der Junge will nicht befragt werden, sondern löchert seinen Onkel mit teils extrem persönlichen Fragen. Man muss keine Neunjährigen kennen, um zu wissen, dass Kinder dieses Alters für gewöhnlich nicht so reden. Jesse ist ein typisches »Filmkind«, das normalerweise altklug und unsympathisch rüberkäme. Nicht so hier: die einnehmende Natürlichkeit des Newcomers Woody Norman und das Zusammenspiel mit dem wundervoll entspannten Phoenix verleihen Jesses Wesenszügen eine erstaunliche Wahrhaftigkeit. Er ist ein Junge, dessen Hochintelligenz zuweilen fürchterlich nervt, doch genau das ist beabsichtigt. Sogar seine Mutter erzählt, dass sie ihn manchmal kaum erträgt – »C'mon C'mon« verniedlicht Kinder nicht, sondern nimmt sie auch in ihren negativen Verhaltensweisen ernst. Die Erwachsenen wiederum sind bei Mills keine weiseren Persönlichkeiten, sondern werden durch die Kinder herausgefordert, sich ihren eigenen Sehnsüchten zu stellen. Letztlich ist »C'mon C'mon« auch ein Film über den Lernprozess der Elternschaft.
Die atmosphärischen Wechsel zwischen Johnny und Jesse, das Pendeln zwischen Melancholie und Heiterkeit, zwischen stiller Reflexion, Impulsivität und Zorn, das am Ende stets in Zärtlichkeit mündet, spiegelt diesen Prozess ebenso wider, wie die Schwarz-Weiß-Fotografie, die zwischen Dokumentarischem und Malerischem oszilliert; Städte und Orte werden zu einem integralen Bestandteil der Geschichte, während die meisterhafte Montage verschiedene Zeit- und Erinnerungsebenen zu einer sanften Struktur verwebt. In seiner unprätentiösen Art ist »C'mon C'mon« ein so sinnlicher wie intellektueller Film über die Suche nach dem eigenen Platz in dieser Welt. Dabei hat er keine Dramaturgie im herkömmlichen Sinne. Es passiert eigentlich gar nichts, und doch geht es um alles. »C'mon C'mon« berührt existenzielle Themen auf eine nahbare, unverstellte Weise. Es geht um das Erinnern und Vergessen, die schönen Momente, die irgendwann nur noch Fragmente sind. Mit seinen Aufnahmen, erzählt Johnny einmal, kann er das Alltägliche unvergänglich machen. Genau das gelingt auch Mills, in seinem zauberhaften Film.
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