Kritik zu Totem
Vom Alleinsein zu fünft: Jessica Krummacher zeigt in ihrem Debütfilm die zwischen Starre und Mysterium schwankenden Rituale einer nicht wirklich heilen Familie und ihrer Haushaltshilfe
Der nicht gemachte Abwasch steht am Beginn des Films als ein Monument des Stillstands. Im nächsten Bild sieht man zwei Frauen, die zärtlich mit Babypuppen umgehen, bei denen man sich bis zum Ende des Films nicht sicher sein will, ob es sich wirklich um Puppen handelt. Die ältere Frau ist Claudia Bauer (kaum wiederzuerkennen: Natja Brunckhorst, als Christiane F. vor über 30 Jahren bekannt geworden), die jüngere ist Fiona (Marina Frenk), die über das Internet engagierte Haushaltshilfe. Für Claudia ist dieses Haus die Welt; im Zimmer der Babypuppen steht ein »Bronzarium«, in das sie sich legt, wenn sie die Sonne sehen will. Für Fiona ist die Familie eine Zuflucht – und dem Zuschauer dient sie als Wegweiser durch eine soziale Realität, die sich nie wirklich festlegen lässt.
Jessica Krummacher legt mit Totem ein Debüt vor, das hohen Respekt verdient. Bravourös gelingt es ihr, die Balance zu halten zwischen einer realistisch wirkenden Unmittelbarkeit und einer unscheinbaren poetischen Abstraktion. Totem ist ein Film, der eine Handschrift erkennen lässt, aus der man das Versprechen auf ein relevantes Werk ableiten müsste – wenn die deutsche Filmförderung nicht ein so unkalkulierbarer Faktor wäre, weil sie erste Filme viel häufiger ermöglicht als zweite oder gar dritte.
Der Zuschauer braucht eine Weile, um sich zu orientieren in den Verhältnissen der Familie Bauer. Ein Gefühl für Dysfunktionalität bekommt er schnell – die äußert sich, in versteckten Aggressionen, leeren Träumen, getrogenen Hoffnungen. Vater Wolfgang (Benno Ifland) trägt seine rotes Ferrari-T-Shirt als Ausdruck einer verloren gegangenen Identifikation mit der großen Welt ferner Idole, der kleine Sohn Jürgen (Cedric Koch) taucht bei seinen Schwimmbadgängen unter der Hermetik des Elternhauses weg, Tochter Nicole (Alissa Wilms) pubertiert einer Zukunft entgegen, bei der ungewiss ist, ob ihr viel älterer Freund Ulli (Fritz Fenne) nicht schon deren Grenze markiert.
Totem ist, bei aller Offenheit, auch konkret lesbar als Panoptikum einer abgehängten Gegend, wie sie sich in den Forderungen des Ruhrgebiets nach einer Neudefinition des Solidaritätsbeitrags zeigt. Für ein Sozialdrama ist Krummachers Film aber zu kunstvoll. Auch wenn der Schauplatz andeutungsweise als Wes-ten Deutschlands zu erkennen ist, so spielt Totem zuerst an einem Nicht- Ort. Wenn die Kamera (Moritz Schultheiß, Björn Siepmann) die statische Sicherheit des trutzig verschatteten Hauses verlässt, erblickt sie unwirtliche Tunnel und Gänge – Fluchtwege, die keine sind.
An zwei Stellen überschreibt Totem seine Handlungen mit einem inneren Monolog Fionas, mit Texten eigener Qualität, der das Abgehängtsein, das Sterben übersetzt in Fragen von Zeit und Raum. Es geht Krummacher um das Verhältnis von belebt und tot, das in zarten Motiven, vor allem aber den Babypuppen Ausdruck findet: das Neugeborene, das Anfang und Zukunft sein sollte, hat hier nie gelebt, ist nur ein fabriziertes Produkt von außen. »Ich wusste nie, was ich wollte, ich weiß es auch jetzt nicht.« Totem ist ein großer Film über das Verschwinden.
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