Kritik zu Die Kordillere der Träume
Im dritten Film der Trilogie über Chile, seine Geographie und die Militärdiktatur – nach »Nostalgie des Lichts« und »Der Perlmuttknopf« –, widmet sich Patricio Guzmán der Bergkette, die Chile vom Rest des Kontinents abschottet
1973 musste der junge Filmemacher Patricio Guzmán vor dem blutig an die Macht geputschten Militär aus Chile fliehen. Er emigrierte erst nach Kuba, dann nach Madrid und Paris, wo Guzmán auch heute noch lebt und arbeitet. Stoff seiner Arbeit aber blieb die ganze Zeit das ferne Heimatland, dessen Schicksal er nicht erst seit seiner großen Trilogie »La batalla de Chile« (1975-79) bis heute in mehr als einem Dutzend Dokumentarfilmen empathisch begleitete. Nun beendete er seine zweite Trilogie zu den wesentlichen Landschaften des Landes, die aus einer filmischen Reflexion der Verbindungslininien zwischen der Atacama-Wüste, chilenischer Geschichte und dem Universum entstand (»Nostalgie des Lichts«, 2010). Nach den Meeres-Kanälen des Südens und dem Wasser (»Der Perlmuttknopf«, 2015) kommen nun die Berge in den Blick, die dem Land zugleich Sicherung nach außen wie Abschottung bedeuten.
Diese Kordilleren werden von Kamermann Samuel Lahu in großartigen Totalen in Szene gesetzt, wobei der Blick immer wieder auch aus den Lüften über Guzmáns zwischen zwei dieser Bergketten liegende Geburtsstadt Santiago de Chile schweift. Dazu erzählt der Filmemacher von seiner eigenen Geschichte dort und der des Landes. Es gibt aber auch den Nahblick auf die Pflastersteine unten am Boden. Und andere Personen, die das Wort bekommen und neben der Poesie und Geologie des uralten Gesteins auch die blutige Unterdrückung der Pinochet-Jahre in den Fokus bringen: Die Bildhauer Vicente Gajardo und Francisco Gazitúa, der Autor Jorge Baradit oder der Vulkanologe Alvaro Amigo. Als einzige Frau erzählt die 1968 geborene Sängerin Xaviera Parra (Enkelin der großen Violeta) davon, wie sie die Ängste und Heimlichkeiten der Erwachsenen um das gewaltsame Geschehen des Putsches als Kind erlebte.
Ins Kraftzentrum des Films gerät aber bald der Kameramann und Filmemacher Pablo Salas, der seit 1982 die Repression der Macht und den Widerstand dagegen auf Video festhält und dabei wundersamerweise selbst nie in die Gewalt des Militärs geriet. Oft wurden seine Bilder von anderen für TV-Dokus und Filme genutzt, jetzt bietet Guzmán – zwischen ausführlichen Ausschnitten aus und Einblicken in Salas riesige Filmsammlung – dem Mann, dessen Archiv bewegter Bilder eine bedeutende Grundlage für die Erinnerung und das Verständnis der chilenischen Zeitgeschichte ist, selbst Präsenz vor der Kamera.
Es sei eine Geschichte, die bis in die Gegenwart reicht, sagt Salas. Denn die von Pinochet begründete radikale neoliberale Wende wirke mit ihren Folgen krasser sozialer Ungleichheit und Vereinzelung bis heute fatal. Neben solch verbalen Erklärungen findet der Filmemacher und Kameramann Patricio Guzmán immer wieder starke visuelle Metaphern, die die Berge und ihre ökonomische Ausbeutung mit der chilenischen Geschichte und der Kraft der eigenen Erinnerung verknüpfen. Mit solch dichten motivischen Verknüpfungen und einem starken persönlichen Akzent gibt dieser letzte Teil der Trilogie Guzmáns Projekt einen stimmigen Abschluss. 2019 wurde er in Cannes als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet.
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