Kritik zu Nostalgia de la luz

© Real Fiction

2010
Original-Titel: 
Nostalgia de la luz
Filmstart in Deutschland: 
23.12.2010
L: 
90 Min
FSK: 
12

Von der Erhabenheit des Alls zur Niedertracht der ehemaligen Militärdiktatur: Patricio Guzmán forscht in der Atacama-Wüste nach der Vergangenheit Chiles

Bewertung: 4
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Unter all den auf Kassentauglichkeit getrimmten Dokumentationen der letzten Jahre ist »Nostalgia de la luz« eine echte Wohltat – belegt er doch, wie Dokumentarfilme auch sein können: kontemplativ und poetisch statt rasant und reißerisch, emphatisch, nicht populistisch; forschend, ohne auf schlichte Antworten abzuzielen. Der Regisseur Patricio Guzmán, Jahrgang 1941, zählt zu den Altmeistern des chilenischen Kinos. Unter Pinochet inhaftiert, ging er in den 70er Jahren ins französische Exil. Seither arbeitet er mit preisgekrönten Dokumentarfilmen wie »La batalla de Chile« oder »Salvador Allende« die jüngere Geschichte seines Heimatlandes auf. Das Bewahren der Erinnerung und der Kampf gegen das Vergessen gehören seit jeher zu den Triebfedern seines Schaffens. In dieser Hinsicht ist »Nostalgia de la luz« auch ein selbstreflexives Werk – geht es diesmal doch gleichermaßen um die Nachwirkungen der Pinochet-Dikatur und um den Akt des Erinnerns an sich.

Guzmáns Reflexionsraum bildet die chilenische Atacama-Wüste, die in mehrfacher Hinsicht symbolhaften Charakter für die Historie und die aktuelle Situation des Landes hat. Aufgrund ihrer extremen Trockenheit und der damit einhergehenden Reinheit des Lichts bietet sie seit jeher beste Voraussetzungen für Astronomen: Einige der weltweit wichtigsten Observatorien befinden sich hier. In den 17 Jahren der Pinochet-Diktatur aber wurde die Astronomie fast komplett eingestellt, die Wüste diente den Schlächtern des Regimes als Massengrab für Zehntausende »Verschwundener«. Eines der berüchtigtsten Konzentrationslager stand in der Atacama-Wüste. Und während die Astronomen den Himmel mit ihren gigantischen Gerätschaften nach Hinweisen auf die Herkunft des Menschen absuchen, graben Frauen von »Verschwundenen« mit bloßen Händen nach den Überresten ihrer Angehörigen. Aber auch als archäologische Fundstätte ist die Wüste von großer Bedeutung. Jahrtausendealte, von der Trockenheit des Bodens mumifizierte Leichen wurden hier entdeckt.

Mit bemerkenswerter Sensibilität und in Bildern von außerordentlicher Schönheit verdichtet Guzmán die scheinbar disparaten Motive zu einem dokumentarischen Essay über den Gedanken, dass eine Zukunft ohne ein Bewusstsein für die Vergangenheit nicht möglich ist. Er findet verblüffende Parallelen zwischen den Motivationen der Himmelsforscher und der Witwen, ohne die Grausamkeit der Pinochet-Diktatur zu trivialisieren oder die Ambitionen der Wissenschaftler, die sich, wenn man so will, auf einem gigantischen Friedhof niedergelassen haben, als profan abzutun. Im Gegenteil: Für ihn greifen beide Welten ineinander, wenn ein ehemaliger KZ-Häftling berichtet, welch Freiheitsgefühl ihm der allnächtliche Blick in den sternenklaren Wüstenhimmel gab, oder wenn ein Wissenschaftler erzählt, dass das Kalzium der Sterne identisch ist mit dem Kalzium in unseren Knochen. Immer wieder überblendet Guzmán einzelne Szenen mit Aufnahmen von glitzernden Staubkörnern. Man denkt an Sternenstaub, Wüstensand und den Staub, zu dem die Menschen verfallen – oder, wie im Boden der Atacama-Wüste, eben gerade nicht.

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