Kritik zu 45 Minuten bis Ramallah
Der im Iran geborene deutsche Regisseur Ali Samadi Ahadi dreht nach seinem erfolgreichen »Salami Aleikum« erneut eine jenseits politischer Korrektheiten angelegte Komödie
26.11.2013
Bewertung: 4
Leserbewertung
(Stimmen: 4)
Von Ostjerusalem bis Ramallah braucht man mit dem Auto eigentlich nur knapp eine Dreiviertelstunde. Für die zerstrittenen Brüder Rafik und Jamal gerät der vermeintliche Kurztrip zur Odyssee, in der sich einer der Kernkonflikte der Weltpolitik brennpunktartig widerspiegelt. Die Stationen dieser Irrfahrt beleuchtet Ali Samadi Ahadi in seiner neuen Komödie aus der Sicht des älteren Bruders Rafik (Karim Saleh), der vor der Verlogenheit seines Vaters nach Deutschland geflohen ist. Zur Hochzeit des kleinen Bruders kehrt er nur widerwillig nach Hause zurück, weil er genau das befürchtet, was tatsächlich eintritt: Als typisches Opfer einer arrangierten Ehe ging der Vater jahrzehntelang heimlich fremd – hat aber nun nichts Eiligeres zu tun als seinem Ältesten diesen unseligen Brauch anzudienen, um ihn mit einer korpulenten Jungfrau zu verkuppeln. Rafik will von dieser Doppelmoral nichts wissen, worauf der Vater vor Ärger tot umfällt. Damit beginnen erst die eigentlichen Probleme.
Julie Engelbrecht (3.v.l.), Karim Saleh (4.v.l.), Navid Akhavan (rechts)
Der im Zeitraffer erzählte Prolog enthält die Matrix des Films, denn das Ableben des Alten ist ein moralisches Selbstmordattentat. Als Palästinenser mit israelischen Pässen leben Rafik und Jamal in einer der westlichen Zivilisation zugehörigen Welt. Durch den letzten Willen des toten Vaters, der in seinem Geburtsort Ramallah bestattet werden will, werden die Söhne gezwungen, sich mit ihrer fremd gewordenen Tradition auseinanderzusetzen. Dass die Rückkehr zu ihren kulturellen Wurzeln alles andere als versöhnlich ist, zeigt Ahadis rabenschwarze Komödie mit erfrischender Respektlosigkeit.
Der Regisseur nutzt das abgedroschene Motiv der Irrfahrt mit Leiche, um die chaotische Gemengelage im Nahen Osten ein Stückweit transparent zu machen. So wird den Brüdern ihr Kleinbus geklaut, worauf sie zunächst in die Mühlen der israelischen Polizei sowie deren kafkaesker Bürokratie gelangen. Bei diversen Grenzübergängen verliert man zuweilen den Überblick, doch da geht es dem Zuschauer wie Rafik und Jamal, die mit den verwirrenden politischen Zielen ihrer Landsleute und Glaubensgenossen nicht viel am Hut haben. Wenn beide nacheinander in die Hände rivalisierender Dschihadisten fallen, dann fühlt man sich an Monthy Python’s Life of Brian erinnert, wo die »Judäische Volksfront« der größte Feind der »Volksfront von Judäa« ist.
Navid Akhavan, Karim Saleh (v.l.n.r.)
Karim Saleh als gockelhafter Womanizer und Navid Akavan als Einfaltspinsel verkörpern zwei liebenswürdige Charaktere, die man in diesem Roadmovie nach einen Drehbuch des in Israel geborenen Gabriel Bornstein gerne begleitet. Cartoon-Einlagen und slapstickartiger Handgranatenhumor am Rande des Klamauks verbreiten eine grimmige Form von Kurzweil. Und wenn ein Selbstmordattentäter vergisst, den Zeitzünder auf die Sommerzeit umzustellen, dann touchiert der Humor bewusst die Grenze zum Kalauer, um im nächsten Moment beim rituellen Abschiedsvideo in kollektives Männerweinen umzukippen. Durch all diese explosiven Späße hindurch schimmert aber, dass Rafik und Jamal in einer Welt leben, die so schnell nicht befriedet werden wird.
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