Kritik zu Yalda
Gnade vor dem Fernsehzuschauer: Der iranische Regisseur Massoud Bakshi erzählt eine archaische und zugleich hochmoderne Geschichte aus seinem Heimatland, es geht um Schuld, Vergebung und Einschaltquoten
So könnte die Versuchsanordnung eines zynischen Computerspiels aussehen: Eine wegen Mordes verurteilte Frau kann dem Henker entkommen, wenn sie in einer TV-Sendung die Tochter des Opfers und das Millionenpublikum mit ihrer Geschichte berührt und dazu bewegt, ihr zu verzeihen. Titel der Liveshow mit musikalischen Einlagen: »Freude der Vergebung«. Die Höhe des am Ende fließenden, von einem Sponsor gespendeten Blutgelds hängt vom Engagement der Zuschauer ab. Sie beteiligen sich per SMS.
Im Iran ist dieses Szenario TV-Wirklichkeit. In Anspielung auf eine beliebte Fernsehshow erzählt der Autor und Regisseur Massoud Bakhshi in seinem Film Yalda die Geschichte der jungen Maryam (Sadaf Asgari). Sie hat im Affekt ihren 40 Jahre älteren Mann getötet. Ihr bleibt eine Stunde, um ihr Leben zu retten und die abweisende, wie versteinert erscheinende Mona (Behnaz Jafari) zu erweichen. Und das am Yalda-Feiertag, der persischen Wintersonnenwende.
Bakhshi, der als Dokumentarfilmer begann und 2012 mit »Eine respektable Familie« sein Spielfilmdebüt gab, sieht sich in der Tradition von iranischen Filmemachern wie Asghar Farhadi, Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof. »Yalda« ist zwangsläufig eine internationale Produktion. »Meinen Film wollte kein Iraner finanzieren«, sagte Bakhshi. Er inszeniert sein neues Werk mit den Mitteln des Thrillers und mit Motiven und der Wucht einer griechischen Tragödie. Im Hi-Tech-Rahmen von TV-Sender und Showbühne entfaltet sich ein archaisches Drama um Gattenmord, Schuld und Sühne, Rache und Vergebung, Lügen und Betrug. Julian Atanassovs Kamera beobachtet ein Kammerspiel, das nicht zur Ruhe kommt. Die Hektik der Livesendung findet ihre Entsprechung im erratischen Verhalten der impulsiven Maryam. Ein schwärender Konflikt mit ihrer dominanten Mutter (Fereshte Sadre Orafaiy) trägt nicht zur Beruhigung der Nerven bei.
Bakhshi steigert die Spannung, indem er Szenen hinter geschlossenen Glastüren und ohne Ton aufnimmt. Immer wieder kommt der Hintergrund in den Fokus, der Regisseur schenkt einem Chor von Nebenfiguren Beachtung, der das Geschehen kommentiert: »Die verzeiht nie.« Wie in der Tragödie trägt eine komische Figur zu kurzzeitiger Entspannung bei. Hier ist es ein alter, kauziger Servicedienstleister mit Speis und Trank: »Tee?«
Umso intensiver wirkt dann die Konfrontation der beiden Frauen. Sie verleihen dem Film seine Energie. Sadaf Asgari als Maryam erscheint anfangs verunsichert und blass: pure Agonie und irrlichternde Emotion. Es ist der Beginn dramatischer Wandlungen und psychischer Grenzerfahrungen. Das Schicksal hält bis zuletzt viele Überraschungen für sie bereit.
Behnaz Jafaris Mona ist ein in Schwarz gekleideter Racheengel mit einer ganz persönlichen Agenda. Jafari drückt eine archaische Härte aus und ein ganz gegenwärtiges, materialistisches Kalkül. Beides ist im Iran zu Hause: einem Land zwischen religiös begründeter Tradition und durch Globalisierung beeinflusster Moderne.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns