Filmfestival von Venedig: Optimismus in Zeiten der Katastrophe
»Downsizing« (2017). © 2017 Paramount Pictures. All Rights Reserved.
Das Festival von Venedig beginnt mit Filmen, die auf originelle Weise die Klimakatastrophe thematisieren. Die deutsche Kultmusikerin Nico alias Christa Päffgen bekommt ein Biopic
Der Klimawandel und die damit verbundenen Katastrophen sind normalerweise der Stoff, der dem Special-Effects- und Blockbusterkino einen Vorwand liefert, lustvoll den Eiffelturm zu Fall zu bringen oder New York unter einem Gletscher zu begraben. Der Wettbewerb des diesjährigen Festivals in Venedig aber eröffnete mit zwei bemerkenswerten Filmen, die das Thema Umweltverschmutzung in anderem Format verhandeln – und dafür dessen menschengemachte Dimension herausstellen.
Im amerikanischen Beitrag »Downsizing«, dem Eröffnungsfilm der 74. Ausgabe der Mostra, ist das Herunterbrechen aufs menschliche Maß ganz wörtlich genommen. Die Sozialsatire von Alexander Payne zeigt eine Lösung für die künftigen Umweltprobleme an: Norwegische Wissenschaftler entdecken darin eine Methode, Menschen auf eine Größe von etwa 15 Zentimetern schrumpfen zu lassen. Im Experiment erweist sich, dass sich der Müllausstoß des Menschen damit ebenfalls erheblich verkleinert.
Die Idee macht Schule, wobei der Umweltaspekt sich bald als geschickte Tarnung für andere Motive herausstellt: Die Verkleinerung der Körper geht nämlich mit einer Vergrößerung des Vermögens einher. Nicht nur, dass Ersparnisse in den geschrumpften Stadtgemeinschaften, die es bald gibt, länger vorhalten, die dort gebauten Puppenstubenhäuser kosten nur ein Bruchteil ihres Preises der »Normalgrößen«-Welt. Gelockt von der Aussicht, in einem regelrechten Palast wohnen zu können, entschließt sich das vom ökonomischen Druck des amerikanischen Lebens gebeutelte Ehepaar Paul (Matt Damon) und Audrey (Kristen Wiig) Safranek zur Schrumpfung. Woraufhin vor allem Matt Damon als Paul entdecken muss, dass die Alltagsprobleme trotzdem nicht kleiner werden.
Paynes Film überrascht nicht nur mit den Wendungen seiner originellen Handlung, sondern auch mit seiner eigenen Perspektive auf die großen Menschheitsprobleme. Die Schrumpfgemeinde schildert er als satirischen Spiegel der realen Gesellschaft, die allzu schnell deren soziale Gegensätze wiederholt. Aber im humoristischen Ton und in der nuancierten Darstellung von Matt Damon gelingt ihm neben dem Appell für den Umweltschutz auch ein Film über Demut, das Schrumpfen der großen Erwartungen – und darüber, wie befreiend es sein kann, wenn man alles ein wenig herunterschraubt, nicht zuletzt auch die Angst vor den kommenden Katastrophen.
Der zweite Wettbewerbsfilm am Lido nimmt sich das zum Thema: Was, wenn die Verzweiflung über das, was kommt, zu groß wird? In Paul Schraders »First Reformed« spielt Ethan Hawke einen Pfarrer, der in seiner kleinen Gemeinde auch ein junges Paar engagierter Umweltaktivisten betreut. Auf den Wunsch der Frau (Amanda Seyfried) hin spricht er mit ihrem Ehemann Michael (Philip Ettinger) über die Frage, ob man noch Kinder in diese Welt setzen kann. Während er noch glaubt, auf seinen Schützling positiv einzuwirken, kehrt sich die Beeinflussung wie unmerklich um: Der Pfarrer in all seiner Empathie und seinem Verständnis findet die Argumente Michaels immer einleuchtender.
Drehbuchautor und Regisseur Paul Schrader ist mit 71 Jahren ein Hollywood-Veteran, dessen große Erfolge lang zurückliegen. In »First Reformed« entwirft er mit geradezu protestantisch bescheidenen Mitteln ein Gewissensdrama, das an keinen geringeren als Ingmar Bergman erinnert. Die großem Menschheitsfragen behandelt er in seinem »kleinen« Film mit einer Eindringlichkeit und einem Ernst, wie es im Kino nur noch selten der Fall ist. Paynes »Downsizing« mag man auf Anhieb die besseren Oscar-Chancen zurechnen, doch zumindest Ethan Hawke, den hier vielleicht seine erste »richtige« Erwachsenenrolle spielt, hätte unbedingt eine Schauspielernominierung verdient.
Für die deutsche Sängerin Nico gibt es derweil ein Biopic. Bevor der Begriff zur Floskel wurde, war sie eine Kultfigur: als Christa Päffgen 1938 in Köln geboren und von dort in die Kulturzentren der 60er Jahre aufgebrochen, wo sie zuerst als Modell und dann als Musikerin bekannt und zugleich verkannt wurde. Die Italienerin Susanna Nicchiarelli widmet ihr nun das Biopic, das in Venedig in der Reihe Orrizonti Premiere feierte.
Der Film »Nico, 1988« spielt die letzten Lebensjahre der schwer von Heroinsucht gezeichneten Frau nach. Als Zeitgeschichtsfilm uneben und im charmanten Sinn auch unbeholfen, ist es die herausragende Darstellung der Dänin Trine Dyrholm in der Hauptrolle, die aus »Nico, 1988« ein ergreifendes und konsternierendes Porträt einer ungefälligen Frau und deren Gratwanderung zwischen Eigensinn und Sucht, zwischen Kreativität und Fremdbestimmtheit macht.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns