Kritik zu Feuerwerk am hellichten Tage

© Weltkino

2014
Original-Titel: 
Bai ri yan huo
Filmstart in Deutschland: 
24.07.2014
M: 
L: 
106 Min
FSK: 
16

Ging es mit rechten Dingen zu, als auf der diesjährigen Berlinale ein anderer Film als Boyhood den Goldenen Bären gewann? Unbedingt. Der chinesische Neo-Film-noir ist eine große Entdeckung

Bewertung: 4
Leserbewertung
3.666665
3.7 (Stimmen: 3)

Noch ein letztes Mal finden sie in der Hitze des Sommers von 1999 zusammen, schlafen miteinander in einem Hotelzimmer, inmitten von Spielkarten, die auf dem Bett verstreut sind. In ihre Leidenschaft sind Wut und Trauer eingekehrt. Von ihren Körpern sind nur Fragmente zu sehen. Auf dem Bahnsteig will sie sich dann endgültig von ihm trennen. Er will es nicht zulassen, klammert sich an ihr fest, wirft sie zu Boden. Aber die Entscheidung ist unwiderruflich gefallen.

Zum Abschied überreicht sie ihm ein Dokument, das man für einen Reisepass halten könnte: Es ist mit seinem Foto und amtlichen Stempeln versehen. Beginnt für Zhang (Liao Fan) nun ein neues Leben, erhält er eine andere Identität? Tatsächlich jedoch sind es seine Scheidungspapiere. Seine Exfrau entlässt ihn in eine Zukunft, die einsam und ungewiss sein wird. Kein einziges Mal ist Zhang in diesem Film in seinem Zuhause zu sehen. Soll dieser haltlose Mann, der seine Aggressionen nicht beherrschen kann, tatsächlich dessen Held sein? Mit diesem unsicheren Patron bürdet sich Feuerwerk am hellichten Tage eine spannungsvolle, vielversprechende Hypothek auf. Immerhin ist Zhang Polizist und wird vom Bahnsteig stracks zum Fundort einer Leiche gerufen. Genau gesagt sind es mehrere Leichenteile, die auf den Förderbändern eines Kohlebergwerks entdeckt wurden. Für einen Moment ist Zhang noch zu sehr gefangen in seinem Schmerz. Er stößt eine Glasflasche die Treppe hinunter, der enervierende Lärm, den sie auf jeder einzelnen Stufe macht, verrät, welch inneren Aufruhr er aushalten muss.

Regisseur Diao Yi'nan ist ein scharfer, hellsichtiger Beobachter. Er besitzt die Gabe, das Vertraute aus der Distanz zu betrachten und entlockt der Realität so Indizien, die andere Regisseure übersehen würden. Feuerwerk am hellichten Tage ist ein Film noir, der bewährte Elemente des Genres versammelt, sie aber so eigenwillig arrangiert, dass der Zuschauer den Eindruck gewinnt, dergleichen nie zuvor auf der Leinwand gesehen zu haben. Das Versprechen, das sein Titel ausgibt – der Realität eine andere, märchenhafte Färbung zu geben –, löst er mannigfach ein.

Die Mordserie, die im Mittelpunkt steht, gibt der Polizei makabre Rätsel auf. In der Mandschurei tauchen an unterschiedlichen Orten abgetrennte Gliedmaßen auf, die in blau-weiß-rote Plastikplanen eingepackt sind. Die Ermittlungen ergeben ein Puzzle, bei dem die entscheidenden Teile fehlen. Diao Yi'nan schildert sie mit grimmigem Humor als eine Folge bizarrer Begegnungen und sich unerwartet entladender Gewalt. Der Versuch, zwei Verdächtige festzunehmen, endet in einem Blutbad, dem die halbe Mordkommission zum Opfer fällt. Slapstick und Schrecken gehen in dieser Sequenz eine heikle Allianz ein. Zhang muss daraufhin seinen Dienst quittieren; der Fall bleibt unaufgeklärt.

An dieser Stelle setzt der Regisseur zu einem brillanten Zeitsprung an: Zhang und sein letzter überlebender Kollege fahren in einen Tunnel, an dessen Ende der Film im Winter 2004 ankommt und seinen Helden volltrunken neben seinem gestürzten Motorrad am Straßenrand wiederfindet. Ein Mopedfahrer will ihm zu Hilfe eilen, stiehlt dann aber doch lieber sein Motorrad. Zhang arbeitet nun als Wachmann in einer Fabrik. Als erneut verstreute Päckchen mit Leichenteilen gefunden werden, will er die Chance ergreifen, sich zu rehabilitieren. Sein ehemaliger Kollege lässt es zu. Ihre Ermittlungen konzentrieren sich auf Wu (Gwei Lun Mei), die Witwe eines damals Verdächtigten. Zhang sucht sie mehrmals in der chemischen Reinigung auf, in der sie arbeitet und beschattet sie nach Feierabend. Er entdeckt, dass sie außerdem von einem Fremden verfolgt wird, der einen Mord mithilfe seiner Schlittschuhe begeht. In welcher Verbindung stehen sie zueinander? Ist Wu tatsächlich eine Schwarze Witwe, die kaltblütig mordet oder morden lässt? Zhang gerät in den Bann der geheimnisvollen Frau. Zwar fordert sie ihn auf, sie nicht mehr zu verfolgen. Dennoch bahnt sich eine lakonische, ruppige Liebesgeschichte an. Sie schließen einen eigentümlichen Pakt.

Diese Konstellation erinnert an Yi'nans vorangegangenen Film Night Train aus dem Jahr 2007. Auch dort wird das Eindringen in ein fremdes Leben zu einem Grenzgang zwischen Gesetz und Verbrechen, zwischen Pflicht und Intimität. Die Genremuster des Kriminalfilms setzt der Regisseur wie ein Vergrößerungsglas ein, um eine Gesellschaft zu studieren, die beklemmende Verbrechen hervorbringt. Mithin schließt er sich einer Strömung an, die im letzten Jahr mit Jia Zhangkes A Touch of Sin und Cai Shangjuns People Mountain People Sea bereits eine Blüte erlebte.

Wie konzentriert und darin auch psychologisch ergiebig sein Blick ist, führt allein schon eine kurze Einstellung vor, in der Zhang in den Spind eines vermissten Kohlearbeiters schaut: Ein vergilbtes Foto, das ihn und seine Ehefrau vor einer kitschigen Palmenkulisse zeigt und daneben ein zersprungener Spiegel offenbaren ein Leben voller verblichener, falscher Träume. Die Zersplitterung, Fragmentierung ist ein Stilprinzip dieses sorgfältig konstruierten Films und zugleich eine verzweifelte gesellschaftliche Metapher.

Als eine seiner Inspirationsquellen nennt Yi'nan Raymond Chandlers »Der lange Abschied« (und als eine zweite, weit verblüffendere »Die Gasse der dunklen Läden«, Patrick Modianos Roman einer Selbstsuche). Tatsächlich greift er die Idee der (vorbehaltlichen) sozialen Mobilität auf, die Philip Marlowe Zugang zu sämtlichen Gesellschaftsschichten verschafft. Auch Zhang agiert als Privatdetektiv, wenn auch ohne Auftraggeber. Er ermittelt im eigenen Namen, ist nicht mehr weisungsgebunden wie die Vertreter der repressiven Staatsmacht, die stets einschüchternd im Rudel auftreten. Dass er seinen Dienst quittiert, geschah übrigens auf Wunsch der Zensoren: Es missfiel ihnen, dass ein chinesischer Polizist als Alkoholiker dargestellt wird und sich in eine Mordverdächtige verliebt.

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