Kritik zu Stadt der Blinden
Eine namenlose Metropole wird von einer mysteriösen epidemie heimgesucht, die Menschen erblinden lässt: Fernando Meirelles hat nach einem Drehbuch von Don McKellar den Erfolgsroman des portugiesischen Nobelpreisträgers José Saramago verfilmt
Lange hat sich José Saramago dagegen gewehrt, dass sich das Kino seines Romans »Die Stadt der Blinden« aus dem Jahr 1995 bemächtigt. »Es ist ein gewalttätiges Buch über das Ende der Gesellschaft«, hat Saramago gesagt. »Ich wollte nicht, dass der Stoff in die falschen Hände fällt.« Kino, glaubt er, zerstöre die Einbildungskraft. Am Ende fiel der Stoff mit Saramagos ausdrücklicher Zustimmung in die Hände des Drehbuchautors Don McKellar und des Regisseurs Fernando Meirelles. Er genießt dank seiner Filme »City of God« (2002) und »Der ewige Gärtner« (2006) Weltruhm. Seine »Stadt der Blinden«-Adaption stellte Meirelles in diesem Jahr in Cannes vor. Es war der ungeliebte Eröffnungsfilm des Festivals.
Saramagos Roman ist eine finstere Endzeitparabel. Eine namenlose Metropole wird von einer mysteriösen Epidemie heimgesucht, Menschen erblinden. Auch der Augenarzt (Mark Ruffalo), der die erste völlige Erblindung diagnostiziert, erkrankt. Der Staat zeigt sein unmenschliches Gesicht, er spielt den Bad Big Brother und verurteilt die Kranken zu einem unwürdigen Dasein in einem Quarantänegefängnis. Als Opfer staatlicher Käfighaltung wird der Mensch zwangsläufig des Menschen Wolf, es kommt zu Machtspielen, Gewalt und Gier, Vergewaltigung und Verwahrlosung, Plünderung und Mord. Julianne Moore spielt die Frau des Arztes. Sie hat ihn in die Isolation begleitet, obwohl sie nicht erblindet ist. Allein ihre Augen können einen Ausweg aus dem Chaos finden.
Meirelles' Auge, der Kameramann César Charlone, nimmt taumelnde Bilder auf und das kranke, milchige Weiß, in dem Saramagos Figuren gefangen sind. Das Leben scheint aus den Farben gewichen, die sich auf Charlones Palette befinden. Das Drama, das hier abläuft, hat ein natürliches Handicap. Blinde können nicht über Blicke miteinander kommunizieren, diese Dimension fehlt. Stattdessen sieht man Schauspielern wie Danny Glover und Gael García Bernal dabei zu, wie sie durch eine aus den Fugen geratene Welt tottern.
Meirelles' Film krankt jedoch vor allem daran, dass er viel Endzeit zeigt, aber wenig Parabel. Mag Saramagos literarische Vorlage mit ihren philosophischen Reflexionen und dem moralisierenden Grundton die Lektüre zu einem quälenden Erlebnis machen – sein Buch besitzt Substanz jenseits der Story. Meirelles' »Stadt der Blinden« erzählt die Geschichte von Menschen in einer Extremsituation katastrophengenretypisch: plakativ und vorhersehbar. Die Grenzerfahrung wird nur äußerlich vermittelt, der doppelte Boden fehlt. Dafür gibt es ein Happy End mit Glovers warmer Erzählerstimme und reinigendem Regen. Ein lieber Hund tritt auch auf.
Es sind Momentaufnahmen, die in Erinnerung bleiben. Wenn die Menschen wie Gestrandete durch die verwüstete Großstadt taumeln; wenn sie Trost in der Musik finden; wenn sie auf ganz elementare Grundbedürfnisse reduziert sind. Gael García Bernal hat als selbst ernannter »König von Block 3« den schauspielerisch stärksten Auftritt. In seinen erstorbenen Augen erblickt der Zuschauer das Böse. Bernal zeigt, wie tief der Mensch sinken kann.
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