Fernsehen

Er sei ein Fernsehkind, hat Dominik Graf einmal bekannt. Seit seine Eltern 1958 einen Fernseher kauften, den der damals Sechsjährige aber nie allein einschalten durfte, liebt er dieses Medium – auch und vor allem wegen des Ruchs des Verbotenen, das es umgab. Am Fernsehen liebt er das »Schmutzige«, die Genrefilme, kleine Szenen in ­Gebrauchsserien wie dem Alten, die »mehr im Verborgenen wachsende Schönheit des deutschen Fernsehfilms«, während ihm das sogenannte Qualitätsfernsehen stets suspekt blieb. Ganz besonders verachtet Graf die »absolut grauenerregenden Themenfilme«, die versuchen, dem Zuschauer wichtige Themen näherzubringen und zu denen es zuverlässig im Anschluss eine Diskussion mit Anne Will gibt.

»Was haben wir das Fernsehen einst geliebt« – mit diesem Bekenntnis beginnt Graf seinen Filmessay zum 50-jährigen Bestehen des Grimme-Preises. Der Titel Es werde Stadt! deutet bereits darauf hin, dass hier nicht das Fernsehen wichtigtuerisch im Mittelpunkt steht, sondern dass es ein Versuch ist, die städtebaulichen und gesellschaftlichen Utopien der 60er Jahre mit denen zu verknüpfen, die damals das Fernsehen als Medium der Aufklärung zum Mittelpunkt hatten.

Dominik Graf, der zehnfache Grimme-Preisträger und große Liebhaber des Fernsehens, schätzt an diesem Medium die Ambivalenz, die Möglichkeit, nichteindeutige Geschichten zu erzählen. Wie man im Fernsehen erzählen kann, zeigte der Regisseur bereits mit Der Fahnder, der Polizeiserie mit dem legendären Klaus Wennemann, die er sich in den 80ern ausdachte. Der Fahnder, Hans Faber, geht stets mitten rein ins Milieu, die Halbwelt ist ihm näher als die Bonzen – und das gilt auch für Graf. In seinem Fernsehepos Im Angesicht des Verbrechens, das 2010 lieblos von der ARD in der Nacht versendet wurde, setzte er die Russen-Mafia in Berlin in Szene: vital und grausam, mit einer fiebrigen, flirrenden Energie.

Vieldeutigkeit und Vitalität kennzeichnen Grafs Fernseharbeit bis heute. Man muss sich nur den Beginn seines jüngsten Tatort anschauen, Aus der Tiefe der Zeit: In den ersten Minuten kurvt Kommissar Franz Leitmayr mit seinem Auto durch München, eine Stadt, die durch Baustellen und Einbahnstraßen zu einem Labyrinth geworden ist, in dem sich selbst die Ureinwohner nicht mehr auskennen. In wenigen Minuten skizziert Graf hier einen Essay über Immobilienspekulation, Gentrifizierung und Heimatlosigkeit. Andere würden daraus einen 90-minütigen Film machen, für Graf ist es nur die Folie, vor der sich dann die eigentliche Geschichte entfaltet.

Kein anderer Fernsehregisseur erzählt so viele Geschichten pa­rallel auf der Ton- und Filmebene – und immer ist dies natürlich eine Überforderung des Zuschauers, der heutzutage ja kaum noch hinschauen und hinhören muss, weil ihm die Dinge auf der Ton- und der Bildebene ohnehin meist doppelt erzählt werden, und damit es auch der letzte kapiert, werden sie zur Sicherheit noch einmal wiederholt.   Kein Wunder, dass Graf, der Romantiker, der Perfektionist, den kalten Jargon der Branche verachtet. Wie soll da, wo ständig von  »Zuschauerakzeptanz« die Rede ist, noch Kunst entstehen? Die Quote, sagt er, ist ein »Sandkastenspiel für Erwachsene«, doch »ein guter Film bleibt für immer ein guter Film«. Es gehe vor allem darum, ihn dem System abgerungen zu haben, ihn durchgeschmuggelt zu haben – wie Hehlerware. Verbotenes Fernsehen wie das seiner Kindheit.

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Diemut Roether ist verantwortliche Redakteurin von epd medien und regelmäßiges Mitglied der Grimme-Jury.

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