Kritik zu Thule Tuvalu

© Barnsteiner

Der Schweizer Regisseur Matthias von Gunten reist in seinem Dokumentarfilm einmal quer durch die Welt, um an zwei entgegengesetzten Orten auf den desaströsen Effekt des Klimawandels aufmerksam zu machen

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Thule ist der nördlichste bewohnte Ort der Erde. Hier, an der oberen Eisgrenze Grönlands leben Wal- und Robbenjäger im permanenten Winter. Das Eis ist ihre Lebensgrundlage, Hundeschlitten sind ihr wichtigstes Mittel zur Fortbewegung. Ihr karges Leben ist insofern glücklich, als die Gesellschaft dort oben homogen und durchweg frei von Konkurrenz scheint. 

Tuvalu ist ein winziger Inselstaat circa 20 000 km von Thule entfernt im südlichen Pazifik. Dort ist es fast immer warm und damit auch sehr trocken. Die Menschen leben vom Fischfang, von den Kokosnüssen, die auf dem schmalen Atoll wachsen, und von den Gemüsesorten, die die Trockenheit überstehen. Süßwasserquellen gibt es nicht, für den täglichen Bedarf sorgen Zisternen. Auch diese Gesellschaft ist arm und homogen. Man hilft sich und überlebt gemeinsam von dem, was Land und Meer bieten.

Beide Orte aber leiden immens unter dem Klimawandel. Denn die globale Erwärmung, die inzwischen zwar stagniert, aber im Jahresmittel dennoch signifikant höher liegt als noch vor zehn Jahren, führt zweifelsfrei zum Abschmelzen der Eismassen am Nordpol. Und wenn das Eis im Norden verschwindet, steigt der Meeresspiegel im Süden. Beides ist gleichermaßen fatal für die Überlebenschancen dieser Menschen. Der Boden in Tuvalu versalzt, das Wasser nimmt den Menschen ihr Land und das bei gleichzeitigem Rückgang der Fischbestände. Im Norden hingegen verschwindet das Eis. Robbenfang wird unmöglich, dafür tauchen hier plötzlich ganze Schwärme von Fischen auf, die einst in Südgrönland haltgemacht hatten. Während in Thule aus Jägern zwangsweise Fischer werden, ungelernt und überfordert, müssen die Menschen in Tuvalu über ein Exil nachdenken.

 

So weit, so überzeugend. Die Erosion der Dinge beginnt immer an den Rändern. Die Industrienationen, die am Ende den Klimawandel zu verantworten haben, sind von dem, was sie Natur nennen, so unabhängig, dass sie sich kaum um den Effekt dort kümmern müssen. Auf der letzten Klimakonferenz ernteten die Gesandten aus Tuvalu nur schwaches Mitleid. Der Klimavertrag ging über sie hinweg wie die Wellen des Meeres, das um sie herum unerbittlich steigt. Da allerdings liegt auch die Schwäche des Films. Matthias von Gunten hält sich schweizerisch zurück, wenn es darum geht, Verantwortlichkeiten zu benennen, und so produziert sein Film ein Mitleid mit den Menschen am Rand der Welt, das im Grunde der umfassenden Ignoranz nahekommt. Man zuckt die Schultern in eingestandener Machtlosigkeit und wendet sich anderen Dingen zu. Zu klein sind die beschriebenen Gesellschaften, zu weit weg und ihre Sorgen zu wenig existenziell. Die kommen schon klar. Und wir ohnehin. Es fehlt die Dringlichkeit. Zwischen den vielen schönen Bildern der malerischen Südsee und der klaren weißen Eislandschaft entsteht keine Beklemmung, keine Wut auf die Verursacher und schon gar keine Selbsterkenntnis. Es bleibt ein schöner, in jeder Hinsicht stimmiger, aber angesichts dessen, was nötig wäre, um die Lebenssituation der beschriebenen Menschen noch zu retten, viel zu harmloser Film.

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