Kritik zu Rosie
Marcel Gisler (»Schlaflose Nächte«, »Fögi ist ein Sauhund«) hat nach 15 Jahren wieder einen Film gedreht – über eine alte Mutter auf dem Weg zum Pflegefall und ihre zwei erwachsenen Kinder
Eine sture Mutter, die zum Pflegefall zu werden droht, eine verhärmte Tochter, die sich in einer glücklosen Ehe abstrampelt, und ein schwuler Sohn, der es im fernen Berlin zum Schriftsteller gebracht hat. Die Elemente, die der Schweizer Regisseur Marcel Gisler in seinem neuen Film zusammenbringt, sind so durchschnittlich und lebensecht, dass sie fast schon Klischees sein könnten. In der Auftaktszene sieht man eine alte, ungepflegte Frau ihre Katze füttern. Schließlich setzt sie sich selbst vor den Fernseher, wo gerade die Sendung »Kulturzeit« läuft. Dort wird vom neuen Roman eines in Berlin lebenden Schweizers erzählt, der ein weiteres Mal in der schwulen Subkultur angesiedelt ist. Und gerade als der Autor selbst ins Bild kommt, erleidet die Frau vor dem Bildschirm einen Schlaganfall.
Die Knallchargenkomik dieser ersten Szene findet im Film selbst keine Fortsetzung – worüber man als Zuschauer zuerst etwas irritiert und dann zunehmend froh ist. Denn Gisler erzählt von einer ganz normalen Familie, wenn man so will, und dass er dabei ohne Überzeichnungen und Zuspitzungen auskommt, das bereichert seinen Film um vielerlei Nuancen. Keine der Figuren lässt sich hier auf ein einziges Adjektiv reduzieren: Ja, die Mutter, Rosie (Sibylle Brunner), ist stur. Sie möchte nicht ins Pflegeheim abgeschoben werden. Sie will weiter rauchen und trinken, so viel es ihr passt. Sie redet böse über die Tochter und spricht den Sohn hämisch auf die schlechten Kritiken zu seinem jüngsten Roman an. Aber in anderen Momenten geht sie froh und offen auf die verschiedensten Menschen ihrer Umgebung zu und scheint das Leben aus vollen Zügen zu genießen. Und dann gibt es wieder Phasen heftigster Verbitterung.
Ähnliche Schwankungen gestattet der Film auch seinen anderen Charakteren. Da ist die Tochter Sophie (Judith Hofmann), die plötzlich sieht, dass sie dabei ist, die gleichen Fehler wie ihre Mutter zu begehen. Und da ist der Sohn Lorenz (Fabian Krüger), in dessen Perspektive auf die Mutter man die autobiografische Erfahrung des Regisseurs und Koautors Gisler erahnt. Sein Hin und Her zwischen Berlin und der Heimatstadt in der Ostschweiz strukturiert den Film. Auch in ihm lässt sich mehr entdecken, als der erste Blick hergibt. Sowohl in der Pflege der Mutter, die er widerwillig für kurze Zeit übernimmt, als auch in einer neuen Beziehung zu einem jungen Mann sieht man ihn erst mal scheitern. Dann aber beginnt er in den abgebrochenen Gesprächen und unguten Situationen eine Spur aufzunehmen – die ihn schließlich seinem lange verstorbenen Vater näherbringen wird.
Marcel Gisler ist bereits in den 80er Jahren als großes Talent des Schweizer Films entdeckt worden. Mittlerweile hat er 15 Jahre keinen Film mehr gemacht. Ein bisschen wirkt sein »Rosie« wie aus der Zeit gefallen: ein kleiner Film, sparsam an Originalschauplätzen inszeniert, den Blick weder auf Effekt noch Pointe, sondern ganz aufs Alltäglich-Psychologische konzentriert. Gerade darum stellt er eine echte Bereicherung dar.
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