Kritik zu Driveways
Geschichte eines Sommers: Andrew Ahns Film handelt von den Lebenslektionen, die man lernen kann, wenn drei Generationen sich begegnen
Cody ist erst acht Jahre alt, wird bald neun, er geht noch zur Grundschule, aber seine Mutter nennt ihn Professor. Diesen Kosenamen hat er sich nicht etwa verdient, weil er altklug wäre. Er ist ein stilles Kind, meist mit seinem Tablet beschäftigt. Ansonsten schaut er wachsam auf die Dinge und lauscht den Worten der Erwachsenen, die er demnächst einmal begreifen wird.
Darüber hinaus bedarf der Kosename keiner Erklärung. Kathy (Hong Chau) wird ihn Cody (Lucas Jaye) gegeben haben, weil sie ahnt, was in ihrem Sohn steckt: Das Demnächst wird in absehbarer Zeit sein, vielleicht schon am Ende dieses Sommers. Kathy nutzt die Schulferien, um das Haus ihrer verstorbenen Schwester Alice auszuräumen und zu verkaufen. Sie steht vor einem Titanenwerk. Alice scheint alles aufbewahrt zu haben, was sie je besessen hat. Das Haus ist eine einzige Abstellkammer, in der man sich kaum bewegen kann. Cody geht seiner Mutter zwar zur Hand, wenn es nötig ist. Aber meist lässt er sie in Ruhe. Der Junge entwickelt auch keine Neugier, was sich unter all dem Müll an möglichen Schätzen verbergen könnte. Er spürt, dass das Haus ihre Aufgabe ist. Die Geschwister hatten sich aus den Augen verloren, keine tragische Entfremdung, es war einfach nur der Lauf der Dinge, dass Kathy die Ältere nie wirklich als Erwachsene kennengelernt hat.
Eine Nachbarin stellt sich neugierig vor, eine beflissene Rassistin mit ungeratenen Söhnen. Cody wird geeignetere Spielkameraden finden. Vor allem interessiert ihn der ältere Mann im Haus nebenan. Del (Brian Dennehy) ist ein Korea-Veteran und Witwer, der sich regelmäßig mit seinen alten Freunden zum Bingo trifft, darunter einem, mit dessen Demenz er umzugehen gelernt hat. Wortkarg, aber nicht unfreundlich verfolgt er, was im Nachbarhaus passiert. Man könnte auch sagen, er wacht darüber.
Regisseur Andrew Ahn erzählt ein Drama ohne Konflikt, das neugierig die Möglichkeiten des Alltags entdeckt. Es handelt vom Ankommen, einer zögerlichen Annäherung und schließlich einem Abschied. Ahn findet den richtigen Ton, in dem er ihn aus der Stille entwickelt. Er respektiert, dass seine Figuren private Erfahrungen machen, und wartet zuversichtlich ab, bis sie darüber sprechen. Es ist ein Film, der zulassen kann, was passiert.
Dabei erzählt er unermesslich viel über amerikanische Umgangsformen, über die Begegnung als ein Entgegenkommen, das nicht auf spätere Vertraulichkeit dringt. Kathy, Cody und Del kommen sich näher, freunden sich an. Ihre Gemeinschaft mag unter Vorbehalt stehen, aber sie ist reich in der Dauer ihres Bestehens.
Der im Frühjahr verstorbene Dennehy war ein Bär von einem Mann, mit einem Torso, wie es keinen zweiten gab, und einem breiten Mund, der nicht lächeln musste, um das Vertrauen seines Gegenübers zu erheischen. Wunderbar, wie Ahn seine massige Gestalt in filmische Harmonie führt mit seinen feingliedrigen PartnerInnen. »Driveways« ist ein schönes Vermächtnis für diesen Schauspieler, der vor der Kamera meist Schurken verkörpern musste und den man nie ungern sah.
Codys Vater hat sich aus seinem Leben verabschiedet, er vermisst ihn nicht und sucht keinen Ersatz. Was er findet, ist nicht einfach zu definieren. Das muss es nicht; es genügt, dass eine Zärtlichkeit darin liegt, der jede Sentimentalität fehlt. Dels Erfahrungen sind ein Schatz, der bei dem Jungen gut aufgehoben ist. Keines der Worte, die er an ihn richtet, ist vergeudet. Das Leben hat Del nicht übel mitgespielt, es war wie so viele andere, voller unerwarteter Entdeckungen und gestundeter Träume. Es gab Vera darin, die er heiratete und die so genau auf andere Menschen achtete. Nach langen Jahren hat er akzeptiert, dass seine Tochter lesbisch ist; vielleicht hat seine Frau ihn auch das gelehrt. Dennehy verleiht seinen stillen Bekenntnissen eine Gravitas, die der Junge begreift: Auch das Bereuen kann ein Einverständnis mit dem Leben sein.
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