Der klassische Liebesfilm

Heul doch!
»Ghost – Nachricht von Sam« (1990). © Paramount Pictures

»Ghost – Nachricht von Sam« (1990). © Paramount Pictures

Ein leidenschaftlicher Kuss auf einem windumtosten Hügel. ­Zärtliche Blicke auf der Terrasse des Empire State Building. ­Kriegen sie sich oder kriegen sie sich nicht? Das war mal eine der wichtigsten Fragen des Kinos. Heute ist der klassische Liebesfilm im Verschwinden begriffen oder in anderen Genres aufgegangen. Birgit Roschy hat sich gefragt: Wohin mit all den Gefühlen?

Zu den buchstäblich berührendsten Szenen in »Ghost – Nachricht von Sam« (1990) gehört eine minutenlange Einstellung, in der Sam, der Geist eines kürzlich ermordeten Mannes, seiner trauernden Geliebten Molly übers Gesicht streichelt und sie sich schmachtend in seine Hand schmiegt . . . Es ist eine unvergesslich zärtliche Filmgeste, obwohl man weiß, dass, während sich vor der Kamera Demi Moore und Patrick Swayze in den Armen halten, eigentlich Whoopi Goldberg Demi Moore küssen müsste. Denn Whoopi spielt die quirlige Geisterbeschwörerin Oda, die dem nervigen Gespenst Sam widerwillig gestattet, mal kurz in ihre körperliche Hülle zu schlüpfen, damit er Molly beweisen kann, dass er noch im Diesseits herumspukt. So ist dieser denkwürdigen Liebesszene schon ein schwarz-lesbisches Pendant eingeschrieben. Doch keiner lacht – im Gegenteil. Selbst wenn Whoopi Goldbergs Oda gelegentlich ein wenig so schaut, als ob sie losprusten müsse, gelingt es Regisseur Jerry Zucker (»Die nackte Kanone«), ­Tragik und comic relief klar zu trennen. Während damals die meisten Rezensenten, etwa Roger Ebert, betont buchhalterisch die Logikprobleme der Handlung aufzählten oder sich über das »Yuppie«-Szenario lustig machten, konnte Frank Schnelle in epd Film »Ghost« etwas abgewinnen: Zucker gelänge »das Kunststück, in einem durch und durch tragischen Stoff eine Unmenge schöner Gefühle freizusetzen«, selbst wenn er dabei weder vor Kitsch noch vor Pathos zurückschrecke. Hatten die Schmähkritiker sich bloß vor den Emotionen gedrückt?

Längst hat »Ghost« einen gewissen Kultstatus – und ist doch, nicht allein wegen der ungelenken Krimirahmenhandlung und alberner Höllendämonen, lediglich ein schwaches Echo der filmischen Liebesqualen, die tatsächlich Geschichte schrieben. Wir sprechen von Kalibern wie »Vom Winde verweht«, »Casablanca«, »Dr. Schiwago«, »Love Story«, »Jenseits von Afrika«: Filme, die nicht nur Begehren, Sehnsucht und Trauer wie in »Ghost« abdecken, sondern die Anstrengung unternehmen, eine breitere Palette der Gefühle zwischen zwei Menschen, die mehr voneinander wollen, als gemeinsam in die Kiste zu steigen, auszudrücken. Leider ist nicht nur der tearjerker, das Rührstück à la »Love Story«, sondern auch sein lustiger Zwilling, die Romantikkomödie, heute nahezu von der Leinwand verschwunden. Das ist nicht nur deshalb verwunderlich, weil Filme, in denen sich Verliebte finden oder verlieren, vom Beginn der Filmgeschichte an Dauerbrenner in der Publikumsgunst waren. Auch »Ghost« spielte trotz mauer Kritiken bei einem Budget von 22 Millionen Dollar 506 Millionen ein.

Am mangelnden Erfolg kann das Verschwinden der GROSSEN LIEBE aus dem Kino also nicht liegen. Noch vor wenigen Jahrzehnten, zwischen den ausgehenden 80ern und dem Anfang des neuen Jahrtausends erlebten Filme, in denen in unterschiedlichster Verpackung – Historienfilm, Krimi, Romanadaption, Starvehikel – nach Herzenslust geschmachtet werden durfte, einen Boom. Neben »Ghost« produzierten die Studios mit »Bodyguard«, »Pretty Woman«, »Die Brücken am Fluss«, »Romeo und Julia«, »Der englische Patient«, »Schlaflos in Seattle« und natürlich »Titanic« Kassenhits am laufenden Band. Am sonnigeren Ende der Gefühlsskala stiegen »Frankie & Johnny«, »Dirty Dancing«, »Harry und Sally«, »Notting Hill«, »E-Mail für dich«, »Shakespeare in Love« und »Bridget Jones« zu Publikumslieblingen auf. Überdies feierten in diesen Jahren auch kleine Filme, von denen die Studios selbst nicht viel erwarteten, Erfolge. Zu diesen Zufallstreffern gehören »Vier Hochzeiten und ein Todesfall«, »Während du schliefst«, aber auch »Chasing Amy«: witzig-melancholische und sehr heutige Liebeskomödien, mit denen die Karrieren von Hugh Grant, Sandra Bullock und Ben Affleck erst den rechten Schwung bekamen.

Die Königsdisziplin in Bezug auf Romantikfilme bleibt aber das inszenatorische Talent, das Publikum dazu zu bringen, Rotz und Wasser zu heulen – oft in Verbindung mit einem einprägsamen Soundtrack, der im kollektiven Gedächtnis mit dem Film verschmilzt. Man denke an das »Schnief schnief di schneuf« von »Dr. Schiwago«, an »As Time Goes By« in »Casablanca«, die »Schicksalsmelodie« von »Love Story« oder Roxettes »It Must Have Been Love« in »Pretty Woman«. Doch nicht nur markante Soundtracks sind verschwunden. Es gibt auch keine Sätze mehr, die es mit Zitaten wie »Morgen ist auch noch ein Tag« (»Vom Winde verweht«) oder »Schau mir in die Augen, Kleines« (»Casablanca«, eigentlich der Trinkspruch »here's looking at you, kid«) aufnehmen könnten. Der letzte große Liebesfilm-Spruch ist von 1997 und lautet »Ich fliege!«. Sie erinnern sich nicht? Vielleicht, weil »Titanic«, wo Kate Winslet am Bug des Schiffs mit ausgebreiteten Armen, gehalten von Leonardo DiCaprio, diese Worte ruft, letztlich doch vorrangig als technisch innovativer Katastrophenfilm im Gedächtnis hängen blieb. Schon damals waren die Dialoge und die gedrechselte Liebesaffäre, in der Jack, ein Proletarier, sich im Dienste der Emanzipation der höheren Tochter Rose opfert (wäre er gerettet worden, hätten sich die beiden zwei Wochen später getrennt, meinte der Zyniker Slavoj Žižek), für jeden über 18 eine Zumutung. Weinen musste man bei Jacks eisigem Untergang dennoch. Aber nicht so sehr wie in »Der englische Patient« (1996), einem in den Wirren des Zweiten Weltkriegs in Afrika spielenden Liebesdrama nach einem Roman von Michael Ondaatje, das als »Casablanca des ausgehenden Jahrhunderts« gefeiert wurde.

Was die reuelose Erzeugung ozeanischer Gefühle betrifft, war »Titanic« eine Zäsur. Denn im überdimensionierten Tränenmeer ging letztlich die Romantik baden. Regisseur James Cameron trieb mit seinem Epos, das mit einem Budget von geschätzten 200 bis 300 Millionen Dollar der bis dahin teuerste Film aller Zeiten war, die Weiterentwicklung computeranimierter Visual Effects und damit den Trend zum internationalen Mammutfilm voran. Das Studiogeld fließt, so eine These, spätestens seit »X-Men« (2000) in Großproduktionen mit globalem Appeal und in Franchises mit garantierter Fantreue – mit der Konsequenz, dass das Filmangebot allmählich ausdünnt. Denn um die gigantischen Produktionskosten für computeranimierte Spektakel wie etwa Marvel-Comic-Verfilmungen, Animationsabenteuer und sonstiges lärmendes Popcornkino wieder einzuspielen, muss wie bei »Titanic« zusätzlich ein Drittel des Budgets ins globale Marketing fließen. Viel bringt viel: Bisher scheint die riskante Rechnung für die Studios aufgegangen zu sein. So spielte »Titanic« 2,1 Milliarden Dollar ein, und Blockbuster wie »Avatar« oder »Avengers: Endgame« nähern sich den drei Milliarden. Kaum ein Superheldenfilm erlöst weniger als eine Milliarde. Andererseits kostet die Vermarktung eines mit fünf Millionen Dollar Produktionskosten »billigen« Films zehn Millionen, also das Doppelte. Und trotzdem wird von einem kleinen Film nur Notiz genommen, wenn im Vorfeld bereits durch herausragende Kritiken, Oscars oder zumindest Festivalpreise Aufmerksamkeit entstanden ist. Die Erfahrung der beiden letzten Jahrzehnte zeigt überdies, dass Kinobetreiber wegen kommerzieller Zwänge Filmen immer weniger Zeit lassen, sich wie einst durch Mundpropaganda herumzusprechen. Fällt ein vergleichsweise kleiner Film am ersten Startwochenende durch, wird er bald aus dem Spielplan genommen. Wird also, aufgrund eines fatalen Zusammenspiels wirtschaftlicher Erwartungen, der »billige« Liebesfilm vom Superheldenbombast ausgestochen?

Nebenbei, der größte Förderer von Oscarkandidaten, Qualitätsfilmen und kreativen Independentproduktionen war die von den Weinstein-Brüdern gegründete Produktions- und Verleihfirma Miramax. »Shakespeare in Love«, »Der englische Patient«, »Chasing Amy«, »Unterwegs nach Cold Mountain«, »Das Piano«, die »Bridget Jones«-Reihe oder der mexikanische Film »Bittersüße Schokolade«: Der kommerzielle Siegeszug des Independentfilms und mit ihm des geistreichen Liebesfilms der 90er ist in hohem Maße ausgerechnet dem einstigen Filmmogul Harvey Weinstein, der zurzeit wegen Vergewaltigung im Gefängnis sitzt, zu verdanken. 

Wahr ist aber auch, dass Romantik im Film traditionell mit einer misstrauischen Presse zu kämpfen hat. Laut »Time Magazine«-Kritiker Richard Corliss ist »Ghost »ein schlechter Film, den viele mögen werden«, weil die Gefühlslautstärke so hochgedreht sei, dass es der Dümmste kapiere. Mit dieser vom Publikum gern erlittenen Manipulation der Gefühle – in Liebesfilmen eine anerkannte Kunst ­– war es allerdings nach »Titanic« vorbei. Den allmählichen Niedergang des Herzschmerzes im Kino belegt etwa die Episodenkomödie »Tatsächlich... Liebe« (2003), in der große Gefühle häppchenweise serviert werden, gemäß der Erkenntnis, dass ein Einzelkummer tragisch, eine Serie von Kümmernissen jedoch komisch ist. Auch hier wurde »ein schlechter Film von vielen gemocht«, zeigte Regisseur Richard Curtis (»Notting Hill«) der Kritik den Mittelfinger: »Lieber mache ich einen Film, den die meisten Zuschauer mögen und einige Kritiker nicht, anstatt einen Film, den die Kritiker mögen, aber keiner sehen mag.«

Zu Beginn des Jahrtausends unternahm Hollywood unter anderem mit der seriellen Verfilmung von Nicholas-Sparks-Bestsellern einen neuen Anlauf, das brachliegende Feld zu beackern. Die bis jetzt elf Verfilmungen, oft wundervoll ausgestattet, prominent besetzt und gedreht, etwa von Lasse Hallström und Nick Cassavetes, erregten jenseits des »Sparks«-Labels kein Aufsehen. Bis auf »Wie ein einziger Tag« wurden die Filme als formelhaft oder gönnerhaft als effektvolle chick flicks abgetan. Denn Liebesfilme sind, so die gängige Auffassung, Frauenfilme, also vorrangig an Zuschauerinnen gerichtet; das abwertende »nur« schwingt immer mit. Gerade in den Sparks-Jahren kamen neben dem Begriff »Taschentuchalarm« exlusive Filmpremieren für Frauen in Mode – gern mit Prosecco – und private »Mädelsabende« nach dem Motto: Hier bin ich gefühlsduseliges Weib, hier darf ich es sein. Die Notwendigkeit, solche Emotionsenklaven einzurichten, belegt die Binsenweisheit, dass Männer und Frauen Liebesfilme auf unterschiedliche Weise sehen. Die Deutungshoheit haben aber immer noch erstere. Winken Männer etwa das, sagen wir mal: nicht ganz klischee- und kitschfreie Westernpathos, mit dem die Liebe zwischen einer schönen jungen Frau und einem gemeingefährlich neurotischen alten Zausel in Wim Wenders' »Paris, Texas« ausgemalt wird, einfach durch, so werden Dramen, in denen Frauen »formelhaft« lieben und leiden, im Fegefeuer des Sarkasmus verbrannt. In »Mach's noch einmal, Sam« führt Woody Allen die männliche Filmrezeption selbstironisch vor, indem er Humphrey Bogart aus »Casablanca« zum Mentor der von Allen gespielten Hauptfigur Allan kürt. Am Ende verzichtet Allan wie Bogarts Rick heldenhaft auf seine Geliebte, die sich für ihn entschieden hat, und überlässt sie ihrem Exmann. Im Grunde aber tritt Allen mit seiner Komödie, in der die von Diane Keaton gespielte Frau zwischen den Kandidaten Woody Allen und Tony Roberts wählen muss, selbst in die Kitschfalle – oder war diese illusorische Wahl ironisch gemeint?

Vielleicht ist es auch müßig, über den Kitschgehalt von Filmen zu diskutieren: Kitsch ist eine chronisch schillernde Kategorie. Die Vorbehalte gegenüber schwelgerisch ausgemalten Gefühlen rühren wohl von dem begründeten Verdacht her, dass, je nach Subtilität des Drehbuchs erkennbar, hinter theatralischem Herzschmerz ein profanerer Instinkt lauert. So könnte man Nicholas-Sparks-Filme auch unter dem Motto »Frauen bekommen, irgendwie, ein Traumhaus am Meer« zusammenfassen. Das ist ein Motiv, das seit »Vom Winde verweht« in einer großen Tradition steht. Auch Scarlett O'Hara wusste am Ende, Rhett Butler war kaum aus der Tür, dass ihr Tara bleibt. 

Liebesfilme sind nicht einfach Filme mit nach allen Regeln der Kunst aufgehübschten Starschauspielerinnen. Meistens geht es auch um die Bedingungen des Frauseins in der jeweiligen filmischen Epoche. Der Versuch der Protagonistinnen, gesellschaftliche Beschränkungen zu überwinden, verleiht vielen Epen besonders vergangener Zeiten erst ihre Dynamik. So erzählt Douglas Sirks Melodram »Was der Himmel erlaubt« (1955), wie sich eine verwitwete Frau traut, ihren viel jüngeren Gärtner zu lieben. In »Rat mal, wer zum Essen kommt« (1967) präsentiert eine weiße Frau ihren geschockten Eltern ihren schwarzen Verlobten. In Stanley Kramers Komödie, eigentlich ein Lehrfilm, geht es dezidiert um Rassenkonflikte, wobei die verliebte Auslöserin der Diskussionen nicht nur zu naiv ist, um wahr zu sein, sondern vollständig in den Hintergrund rückt. Stehen Frauen jedoch im Mittelpunkt, so handeln Liebesfilme, auch wenn sie laut Siegfried Kracauer an »Ladenmädchen« adressiert sind, meist auf existenzielle Weise vom Kampf um Autonomie und Freiheit. Anders gesagt: wenn Feministinnen das ins weibliche Unbewusste eingeprägte patriarchalische Geschlechterarrangement beklagen, das sich etwa in der Sehnsucht nach einem Märchenprinzen äußert, dann ist das möglicherweise zu kurz gedacht. Vielleicht wollen Frauen nicht den Märchenprinzen, sondern sein Schloss. Scarlett O'Haras Mantra »Nie mehr hungern!« ist längst ohne männliche Hilfe machbar. Das führt natürlich zu neuem Ärger, wirft Rhett ihr doch vor, lieber Geschäftsfrau zu sein als Mutter. Mit der zunehmenden wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen aber werden Märchenprinzen obsolet oder auf den Status nice to have herabgestuft. In modernen Liebesfilmen, beginnend etwa mit »So wie wir waren« (1973), geht es darum, berufliche Erfüllung mit Liebe und Mutterschaft in Einklang zu bringen. Das kann durchaus zu schlimmem Sodbrennen führen, wie der Film von 1986 nach einem Drehbuch von Nora Ephron zeigt, in dem sie ihre gescheiterte Ehe verarbeitete. Doch wo wirtschaftliche und emotionale Abhängigkeit getrennt sind, fehlt es an der dramatischen Fallhöhe.

Eine frühe Ausnahme von dieser Verflachung ist das Liebesdrama »Die Frau nebenan« (1981). François Truffaut beschreibt die zerstörerische Gewalt einer Amour fou – mitten in einem aufgeklärt-bürgerlichen Milieu, zwischen Supermarkt und Tennisplatz. Das Schicksal der von Fanny Ardant und Gérard Depardieu gespielten Liebenden vollzieht sich ohne Sentimentalität und Pathos, doch mit der Unerbittlichkeit einer tickenden Uhr. »Die Frau nebenan« ist in ihrer Kombination aus amouröser Raserei und Kälte allerdings ein Solitär. »Schmachtfetzen« hingegen, zu denen unsere Urgroßmütter wegen des damaligen gesellschaftlichen Kontextes aus gutem Grund weinten, wie etwa das UFA-Epos »Zu neuen Ufern« von Douglas Sirk, damals noch Detlef Sierck, in dem Zarah Leander mit Inbrunst »Ich steh im Regen und warte auf dich« intoniert, lösen heute Befremden aus – oder Parodien. Stattdessen wurde die GROSSE LIEBE in realistischen Beziehungskomödien verzwergt, zerredet, dekonstruiert, bis sie so trist alltäglich wurde wie im Finale von Richard Linklaters 1995 begonnener »Before Sunrise«-Trilogie. In »Before Midnight«(2013) sind die Liebenden ein Paar mit Kindern, das sich permanent zankt, schon weil jeder andere Pläne hat. 

Dass der Bedarf am überlebensgroßen, kathartischen Gefühl nach wie vor existiert, beweisen nicht nur die vielen Teenieliebesfilme in der Art von »Das Schicksal ist ein mieser Verräter«, in denen der angekündigte Tod als Gefühlsverstärker dient. Jenseits von boy meets girl hat sich, beginnend mit »Brokeback Mountain« (2005), ein weiteres Spielfeld aufgetan. Ang Lees Drama über zwei verliebte Cowboys ist ein weepie ersten Ranges. Es ist die Angst der Männer vor gesellschaftlicher Ächtung und ganz konkret vor schwulenfeindlichen Attacken, die ihrer sich über 20 Jahre ziehenden Affäre ihre Dramatik verleiht. Und obwohl Ang Lee nicht vor explizitem Männersex zurückschreckt, fand »Brokeback Mountain« auch beim Mainstream-Publikum Anklang. 

Gerade das Queer-Cinema aber brachte in den letzten Jahren die interessantesten und anrührendsten Liebesfilme hervor. Das im späten 18. Jahrhundert angesiedelte lesbische Drama »Porträt einer jungen Frau in Flammen« (2019) etwa, in dem sich eine Malerin und ihr Modell verlieben, reflektiert die Situation von Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft und entwirft wie nebenbei eine feministische Utopie. Vor allem aber hat Regisseurin Céline Sciamma, die sich sowohl von impressionistischer Malerei wie von »Titanic« inspirieren ließ, keine Angst vor großen Gefühlen. Erstaunlich ist dagegen, dass in Luca Guadagninos Romanverfilmung »Call Me By Your Name« (2017) über die Sommerliebe zwischen einem Teenager und einem jungen Dozenten Homosexuellenfeindlichkeit überhaupt keine Rolle spielt. Auch in Abdellatif Kechiches Liebesdrama »Blau ist eine warme Farbe« (2013) über eine Schülerin, die mit einer lesbischen Kunststudentin anbändelt, geht es nur am Rande um Diskriminierung. Entschlackt von äußerem Druck, ist das Anliegen dieser Filme tatsächlich nichts anderes als die Liebe. Es sind im Wortsinne schamlose Gefühlspornos, in denen sowohl dem Sex wie auch der Bandbreite der Emotionen ausgiebig Zeit gewidmet wird. »Blau ist eine warme Farbe« scheut sich auch nicht, das heulende Elend der Verlassenen zu zeigen, und dieser Kontrollverlust ist nicht schön anzusehen. Dennoch würde man in Filmen gern mal wieder ganz unironisch dazu manipuliert werden, die Beherrschung zu verlieren. »Im Kino gewesen. Geweint.«

Meinung zum Thema

Kommentare

Ich denke, dass der Liebesfilm sich ebenso verändert hat, wie die Vorstellung von Liebe in der Realität bzw. der Film die Liebe ein wenig realistischer und nicht mehr so romantisch "ohne Probleme" angeht. Man nehme "La La Land", "(500) Days of Summer", "Her" oder "Marriage Story" als den modernen Liebesfilm. Aber auch sollte Silver Linings genannt werden mit einem einprägsamen Happy End Filmkuss oder natürlich "The Shape of Water", eine Liebesgeschichte par excellence. Grundsätzlich leben wir nun einmal - und das ist auch sehr gut so - in einer Zeit, in der die Frau mehr als nur ein Objekt der Begierde ist. Von daher nähern sich die Filme vermeintlich eher wieder den Screwball-Komödien vergangener Tage an und strahlen eben nicht sofort diese innige Romantik und Harmonie aus, die dem klassischen Liebesfilm innewohnte.

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