Die Beredsamkeit des Verbrechens
Diese Autorin übt eine starke, auch rätselhafte Anziehungskraft auf Filmemacher aus. Sie adaptieren nicht nur die Romane der Patricia Highsmith, sondern träumen mitunter auch von ihnen. Die Verfilmung von »Das Zittern des Fälschers« jedenfalls hätte man fürwahr gern gesehen, die in „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ in einem Kino läuft. Aber leider gibt es sie nicht.
Die Rechte waren schon vergeben, als Wim Wenders sie Anfang der 1970er erwerben wollte. Die zu »Ripleys Game« jedoch waren frei, den er dann in »Der amerikanische Freund« umbenannte (was ein eher für ihn als die Autorin bezeichnender Titel war) und der 1977 einer seiner größten Erfolge werden sollte. Dabei fangen das Rätseln und das Träumen schon mit ihren Romantiteln an. Warum zittert der Fälscher, worin besteht das Talent des Mr. Ripley, was hat es mit den „Zwei Gesichtern des Januars“ auf sich? Selbst der ruppig-abschätzige "Stümper" schürt Neugier, denn wie kann so einer Titelheld eines Krimis sein? Rund 30 Highsmith-Verfilmungen sind bisher für die große Leinwand und den Bildschirm entstanden, darunter auch eine des "Fälschers", die bedauerlicherweise »Trip nach Tunis« heißt. Die Faszination folgte Wellenbewegungen, nach »Nur sie Sonne war Zeuge« kamen Anfang der 60er ein paar heraus, nach »Der amerikanische Freund« dann eine ganze Reihe und seit Anthony Minghellas Version von »Der talentierte Mr. Ripley« (1999) tauchen in schöner Regelmäßigkeit neue Verfilmung auf; vor einiger Zeit plante David Fincher ein Remake von Alfred Hitchcocks »Der Fremde im Zug«, der auf Highsmith' erstem Roman beruht.
Aus Anlass ihres 100. Geburtstags (der auf den 19. Januar fiel, aber die Pandemie vereitelte auch hier die Pünktlichkeit) zeigt das Filmpodium Zürich derzeit eine Auswahl von 16 Filmen (https://www.filmpodium.ch/reihen-uebersicht/57818/highsmith-im-film). Auf der Website finden Sie den lebhaften Einführungstext von Thomas Bodmer, der vor langer Zeit einmal ihr Lektor bei Diogenes war. Ich habe ihn viele Jahre später als strengen Redakteur beim "Tages-Anzeiger" in Zürich kennengelernt (ich hatte nie den Eindruck, dass er je ganz zufrieden war – was kann einem Autor Besseres passieren?) und nehme an, dass er während seines Vortrags am 21. Juli auch über ihre Zusammenarbeit sprechen wird. (Selbst wenn nicht, wäre es schön, wenn das Manuskript im Blog des Filmpodium später veröffentlicht würde!) Die Filmauswahl ist nicht nur repräsentativ, sondern trefflich: Wenn Highsmith' Vorlagen von den Verfilmungen verraten wurden, dann in der Regel auf hohem Niveau.
Ihr Ruhm war, trotz des grandiosen Einstiegs mit Hitchcocks Film, ein weitgehend europäisches Phänomen. Das kann passieren, wenn man im Ruf steht, eine Misanthropin zu sein. Eigentlich sind nur drei Verfilmungen waschechte US-Produktionen. Allerdings macht Thomas Bodmer zwei von ihnen als die besten Highsmith-Adaptionen überhaupt namhaft: »Der talentierte Mr. Ripley« und »Carol« von Todd Haynes. Da gebe ich ihm mindestens zur Hälfte recht. Aber generell konnte Hollywood nicht viel anfangen mit den Abwärtsspiralen der Amoral, in die sie ihre Charaktere verstrickt. Auch die Enden ihrer Romane waren US-Produzenten verdächtig. Es besteht stets die Hoffnung, dass die Verbrecher davonkommen. Sie war nicht ungehalten darüber, dass ihre Figuren zu Mördern wurden.
Eine transatlantische Spannung bestimmt auch die Geschichten. Oft werden sie im Kino von ihren amerikanischen Schauplätzen an europäische verlegt, sind also Gesten kultureller Besitznahme. Oder sie handeln von Amerikanern in der Verbannung, die dort mulmige sittliche Freiräume finden. Darin steckt weniger der amerikanische Verdacht, die alte Welt (oder andere exotische Schauplätze, die sie jeweils im Vorfeld bereiste und akribisch studierte) sei ein gewissermaßen rechtsfreier Raum. Die Erfahrung des Expatriiertseins war auch ein Lebensthema der Autorin. Ihre Charaktere sind Gestrandete, die der fremde Ort verwandelt, an den es sie verschlagen hat.
Es sind ganz unterschiedliche RegisseurInnen, die der Faszination Highsmith verfielen. Die (nach Hitchcock) ersten zwei gehörten noch dem alten französischen Kino an, das durch die Nouvelle Vague in Verruf geriet: René Clément (»Nur die Sonne war Zeuge«) und Claude Autant-Lara (dessen »Der Mörder« ich in guter Erinnerung habe. Danach folgten Wenders, Hans W. Geissendörfer, Claude Miller, Michel Deville, Claude Chabrol, Liliana Cavani und andere. Einige von ihnen wird man mit Fug und Recht als Autorenfilmer bezeichnen, aber auch in ihren Interpretationen scheint unweigerlich etwas durch, das Highsmith' untilgbare Handschrift verrät. Ihre Vorlagen sind mehr als Ausgangsmaterial.
Die Konstruktion ihrer Krimis ist waghalsig. Ihre Ideen dienen als Sprungbrett für prächtige Action-Szenen (oder, noch häufiger: deren Nachklang: Wie schafft man die Leiche fort?). Dabei schreibt sie keine handelsüblichen Murder Mysteries, die Täter sind umgehend identifizierbar, man schaut gebannt zu, wie sie zu Verbrechern werden. Deren Handeln muss beredsam sein. Sie bewundert die Verbrecher für ihre gedankliche Beweglichkeit und fordert das Publikum heraus, dieser zu folgen. Ihre Motivation hingegen bleibt oft geheimnisvoll, es ist eine mehrfache oder zumindest doppelte. Diese Ambivalenz wird auch im Kino eher selten in Stromlinienform gebracht, obwohl aus Zeitgründen die back story ihrer Charaktere häufig wegfällt. In »Die gläserne Zelle« (Geissendörfer) und »Die zwei Gesichter des Januars« (das Regiedebüt des Drehbuchautors Hossein Amini) vermisst man sie nicht schmerzlich. Eindeutig sind die Figuren und Verhältnisse nie.
Highsmith versteht sich darauf, Begegnung raffiniert einzufädeln: Bei ihr treffen sich nie die Falschen. Diesen Begegnungen wohnt ein Moment der Verführung inne. Sie stellen ungeahnte Möglichkeiten dar, auch wenn Verrat und Verstrickung unausweichlich scheinen. (»Carol« ist in dieser Hinsicht die optimistische Variante eines typischen Highsmith-Plots. Es geht ohne Verbrechen ab, nur die engen Sitten der 1950er Jahre werden ausgehebelt.) Ihre Spielart von Verhängnis verlangt ein Erzähltempo, das zugleich angespannt und geduldig ist. Das verleiht etwa »Süßer Wahn« von Miller einen immensen atmosphärischen Reichtum. Auch beim Wiedersehen von »Die gläserne Zelle« habe ich diese Qualität der schwebenden, lauernden Erzählung wiedergefunden. Er kam kurz nach Wenders' Film heraus und stand deshalb leider immer in dessen Schatten. Mit »Der amerikanische Freund« hat er überdies den Kameramann gemeinsam, Robby Müller. In »Die gläserne Zelle« setzt er das Licht wunderbar nuancenreich, eingangs arbeitet er die Gesichter bei der Gerichtsverhandlung in markanten Großaufnahmen heraus, wonach sich der Film dann hauptsächlich in Halbtotalen artikuliert. Es müsste eigentlich eine Reise in die Finsternis sein. Aber Helmut Griem verkörpert einen gewinnend unergründlichen Highsmith-Helden. Es scheint, als würde er durch sein Verbrechen neu belebt, auch die entfremdete Familie spürt das. Eifersucht kann ein Bekenntnis sein. Muss so einer zur Rechenschaft gezogen werden? Eine ihrer großen Qualitäten ist, dass diese Schriftstellerin immer einen noch besseren Einfall hatte.
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