Very british ...
...und sehr exzentrisch sind die Knetfiguren der Aardman Studios. Aber die ganze Welt scheint Typen wie Wallace & Gromit oder das Schaf Shaun zu brauchen, sogar China
Den Namen »Aardman« hat man gewählt, damit man sicher sein kann, auf irgendwelchen Listen immer an erster Stelle zu stehen: Animationsfilm ist eben nicht nur Kunst, sondern unterliegt – auch wegen der hohen Produktionskosten – ökonomischen Zwängen. Animationsfilmer allerdings reden ungern über die geschäftliche Seite ihrer Arbeit, so mein Eindruck. Insofern war es ein großer Glücksfall, bei dem Berliner Kurzfilmfestival Interfilm im vergangenen November David Sproxton zu treffen. Seine Visitenkarte weist ihn als »Mitbegründer« von Aardman aus. Das ist britisches Understatement; auf die Frage, ob ihm die Aufgabe zufalle, alles zusammenzuhalten, antwortet er: »Das versuche ich. Peter Lord, den ich 1966 kennenlernte, als ich 12 war, und ich hatten bei Werbeclips Regie geführt. Aardman wurde 1972 gegründet. Bahnbrechend war Down and Out (1977), entstanden im Auftrag der BBC, dafür hatten wir die Stimmen von obdachlosen Menschen aufgenommen und sie animierten Figuren in den Mund gelegt. Daraufhin gab uns Channel 4 den Auftrag für weitere Filme.«
Zu diesen »Animated Conversations« gehörte auch Nick Parks Creature Comforts. Mit dem 1989 entstandenen Film konkurrierte Park, Jahrgang 1958, bei der Oscar-Verleihung 1991 mit sich selbst, denn auch sein Film A Grand Day Out (Alles Käse), in dem Wallace & Gromit ihren ersten Auftritt hatten, war nominiert – den Preis erhielt er schließlich für Creature Comforts, wie später auch für zwei Kurzfilme mit dem genialen Duo, The Wrong Trousers (Die Techno-Hose, 1994) und A Close Shave (Unter Schafen, 1996) sowie für den abendfüllenden Wallace & Gromit: Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen (2005); ihr fünftes und bislang letztes gemeinsames Abenteuer, A Matter of Loaf and Death (Auf Leben und Brot), brachte es 2010 immerhin zu einer Oscarnominierung. Damit wurde Nick Park das Aushängeschild der Animationsschmiede, die in der britischen Hafenstadt Bristol beheimatet ist, der Stadt, in der Peter Lord geboren wurde und in die es David Sproxton zog, weil die BBC dort mehrere Kinderprogramme produzierte, die den aufstrebenden Animationsfilmkünstlern Lohn und Brot boten.
Wallace & Gromit waren lange Zeit die bekanntesten Figuren Aardmans, wie man auch an den Merchandise-Artikeln sehen kann. 1994, als die erste »Aardman Collection« von Kurzfilmen in den deutschen Kinos lief, war das noch anders.
Wallace, der etwas schusselige Erfinder mit der Vorliebe für Strickpullover, und sein stoischer, viel klügerer Hund Gromit waren schon ein einnehmendes Duo in ihrer Interaktion, bei der Gromit die wahnwitzigen Aktionen seines Herren mit einer hochgezogenen Augenbraue kommentierte. In A Grand Day Out ist Wallace der Käse ausgegangen, also beschließt er, eine Mondrakete zu bauen, denn der Mond besteht ja bekanntlich aus Käse; in The Wrong Trousers haben die beiden es mit einem Pinguin als Untermieter zu tun, der sich als Juwelenräuber erweist und erst nach einer aberwitzigen Verfolgungsjagd auf der Modelleisenbahn gestellt werden kann; in A Close Shave geht es um Schafkidnapper, und Wallace verliebt sich hier ebenso unglücklich wie in A Matter of Loaf and Death, in dem es um eine Mordserie an Bäckern geht.
Britische Exzentrik in Reinkultur also. Das mag wohl auch der Grund dafür gewesen sein, dass die Filme auf dem amerikanischen Markt nie das große Publikum erreichten. Dabei hatte das der erste abendfüllende Aardman-Film Chicken Run – Hennen rennen (2000) als Remake von John Sturges’ Kriegsgefangenenausbruchsepos Gesprengte Ketten mit dem Element der Kooperation von britischer Henne und amerikanischem Zirkushahn durchaus reflektiert.
Den Balanceakt zwischen britischer Exzentrik und amerikanischem Mainstream versuchten auch Flutsch und weg (2006) und Arthur Weihnachtsmann (2011), beide computeranimiert, während Wallace & Gromit: Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen und Die Piraten! (2012) die Technik feierten, die zum Synonym für Aardman geworden ist: das Stop-Motion-Verfahren mit Figuren aus Plastilin. Das hat sich durch Computertechnik heute vereinfacht, aber immer noch liegt die Betonung auf der Handarbeit. Die hat ihren Preis und kostet Zeit, auch wenn A Grand Day Out, an dem Park sechs Jahre arbeitete, sicherlich ein Extrem ist.
Mittlerweile hat »Shaun das Schaf« Wallace & Gromit als Aushängeschild von Aardman abgelöst. 140 Episoden von je sieben Minuten, hierzulande in der sonntäglichen WDR-»Sendung mit der Maus« zu sehen, haben dieser Figur einen weltweiten Aufmerksamkeitswert verschafft – Shaun läuft sogar in China. Dass die Serie ohne Dialog auskommt, unterstreicht ihren universalen Charakter und machte auch die Produktion des Spielfilms zu einem geringeren ökonomischen Risiko. Für ihn hat sich Aardman mit Studiocanal zusammengetan, nachdem die Kooperation mit Jeffrey Katzenbergs Dreamworks und anschließend mit Sony (die Arthur Weihnachtsmann und Die Piraten! herausbrachten) von den amerikanischen Studios nicht fortgesetzt wurde.
»Arthur Weihnachtsmann konkurrierte bei seinem US-Start mit fünf anderen Animationsfilmen«, erklärt Sproxton. »Unsere Filme kommen in den USA eher wie europäische Kunstfilme heraus – Wallace & Gromit sind zwar bekannt, aber sie sind doch sehr britisch. Das Einspiel unserer Filme kommt zu 30 Prozent aus Großbritannien, zu 30 aus den USA, der Rest aus der ganzen Welt. Die amerikanischen Studios streben danach, dass die Filme einen Großteil auf dem amerikanischen Markt einspielen, daraus ziehen sie den größten Profit. Sony verlegte sich, wie andere, mehr auf Sequels. Dreamworks ging an die Börse, und ihre Filme mussten entsprechende Profite generieren, bei Sony hatte der Mutterkonzern schwierige Zeiten. Ich glaube, Die Piraten! waren zu intellektuell für die USA, Amerika besteht eben auch aus dem Mittleren Westen, das ist ein eher konservatives Publikum.«
Gelernt hat man aber einiges durch die Zusammenarbeit mit den großen amerikanischen Partnern: »Jeffrey Katzenberg war sehr gut darin festzustellen, wo ein Film nicht funktionierte. Diese Genauigkeit haben wir von ihm gelernt. Das hat uns in der Tat die Augen geöffnet: zu sehen, welche Anstrengungen in den USA auf die Story-Entwicklung verwendet werden. Interessanterweise brauchen bei den viereinhalb bis fünf Jahren, die ein abendfüllender Animationsfilm benötigt, Story-Entwicklung und Drehbuch die meiste Zeit. Der Dreh dauert dann nur 15 bis 18 Monate.«
1994 hatte Aardman gerade einmal 16 Mitarbeiter, 1996 waren es 30, heute sind es 130. »Als wir Arthur Weihnachtsmann und Pirates parallel machten, waren es 600. Shaun the Sheep hatte ein Team von 90, die meisten davon freie Mitarbeiter.« Die Kernmannschaft sollte permanent beschäftigt werden – aber Werbeaufträge und Geld vom Fernsehen können nicht garantiert werden.
»Weder die BBC noch Channel 4 haben derzeit die Sendeplätze für Kurzfilme, aber das ändert sich. Channel 4 gibt jetzt auch Aufträge für Kurzfilme heraus, die sie online zeigen – gerade solch schräge Sachen. Als Channel 4 begann, gab es große Nachfrage nach Kurzfilmen und Animationsfilmen, die BBC startete eine Serie, in der Zehnminüter gezeigt wurden. Einiges findet sich auf Youtube und Vimeo, aber die meisten Filmemacher halten ihre Filme für Festivals zurück.«
Auch Aardman muss den geänderten Sehgewohnheiten Rechnung tragen. »Gerade haben wir Morph, eine unserer frühesten Schöpfungen, wieder aufleben lassen. Wir haben gesagt, wir stecken Geld hinein, wenn wir die andere Hälfte durch die Öffentlichkeit, über Crowdfunding, bekommen. Wir baten um 75 000 Pfund und hatten schließlich 110 000. Die BBC hätte diese Filme nicht in Auftrag gegeben, aber nachdem sie sie gesehen haben, haben sie sie erworben. Das ist oft so: Wenn man das fertige Produkt präsentieren kann, findet man Abnehmer dafür.«
Shaun Das Schaf startet am 19. März
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