Ausstellung: »Ein Bild der Zeit«
»Nosferatu« (1922)
Fritz Lang hatte ein Faible für griffige Formeln. »Expressionismus ist eine Spielerei«, lautet ein Zwischentitel in seinem »Dr. Mabuse, der Spieler«, »Aber warum auch nicht? Alles ist heute Spielerei!« Doch so handlich das Motto auch ist, klingt es nicht zu leichtfertig angesichts der Abgründe, die sich in diesem Stil offenbaren? Am Eingang dieser Ausstellung immerhin wird vor unheimlichen, verstörenden Darstellungen gewarnt.
Der Expressionismus war ein Aufruhr, eine Aggression der Sinne. Entschlossen richtete er sein Zerstörungswerk an den Konventionen der Kunst an, war besessen von Deformation, Zerfall und Untergang. Die Künstler schufen ein Abbild nicht der Welt, sondern einer schroff veränderten Welterfahrung: Sie entwarfen Zerrbilder, in denen Perspektiven wie Gewissheiten einstürzten. Mit dem Ersten Weltkrieg spitzte sich die Vision eines Angriffs auf Körper und Seelen noch einmal zu. Inzwischen war auch das Kino bereit, Einspruch gegen den Realismus zu erheben. Im Konzept des Ausstellungskurators Maximilian Letze vollzog es nach, was die bildende Kunst bereits seit anderthalb Jahrzehnten umtrieb. Es erschien als Synthesemaschine, die Impulse aus den anderen Künsten aufgriff und mit den eigenen Mitteln (verkantete Einstellungen, Doppelbelichtungen) adaptierte; freilich in den Grenzen, welche die Zensur damals setzte. Historische Pünktlichkeit besitzt die Schau auch insofern, als zwei zentrale Werke, »Dr. Mabuse« und »Nosferatu«, in diesen Monaten das hundertjährige Jubiläum ihrer Erstaufführung feiern.
Zusammen mit acht weiteren Filmen, jeweils präsentiert mit Standbildern und besucherfreundlich kurzen Ausschnitten, fungieren sie als Stichwortgeber für bestimmte Themenkomplexe. Im Fall von »Das Cabinet des Dr. Caligari« ist das die Darstellung der Stadt; Nerven von Robert Reinert öffnet den Blick darauf, wie Neurasthenie von der Gesellschaft Besitz ergreift; im Metropolis-Raum werden die Motive Arbeitswelt und Vamp miteinander verknüpft. Bei Lotte Reinigers zauberischem Silhouettenfilm »Die Abenteuer des Prinzen Achmed«, mit dem die Verlockung der Ferne ins Spiel kommt, möchte man für einen Moment aufatmen nach so viel Düsternis. Aber auch hier wird manch erbitterter Kampf auf Leben und Tod ausgetragen. Das Ausstellungskonzept hätte durchaus zu einer Umkehrung des tradierten Narrativs der Einflussnahme eingeladen. Aber daran waren Historiker beider Disziplinen bislang kaum interessiert.
Immerhin beharrt die Schau nicht nur auf einer zeitversetzten, sondern auch auf einer zeitgleichen Parallelität des künstlerischen Ausdrucks. Sie macht sich das einschlägige Motiv des Doppelgängers zu eigen. In der Zusammenschau der Motive (ein Gutteil der Exponate stammt aus der eigenen Sammlung) lassen sich Analogien oder tiefere Verwandtschaften erkennen, der Vergleich zwischen Szenerien aus »Caligari« und Lyonel Feiningers Bild »Auf der Brücke« legt gar eine unmittelbare Inspiration nahe. Die Szenografie verstrickt die zwei Disziplinen pointiert in einen Dialog, den sie zweifelsohne schon damals führten. Murnau hatte Kunstgeschichte studiert und pflegte enge Freundschaften zu bildenden Künstlern; Lang zeichnete und war ein neugieriger Sammler. Im Gegenzug prägten Maler wie César Klein den Look von Kostüm- und Szenenbildern.
In beiden Medien herrscht Vielgestaltigkeit: »Expressionismus« ist ein Begriff, mit dessen kreativer Unbestimmtheit Historiker bislang gut leben konnten. Der Katalog nimmt Differenzierungen vor. Einerseits vertieft er die Eindrücke, die sich beim Besuch sammeln lassen, und ruft die Kunst als Soziogramm der Zeitstimmungen auf (»Nosferatu« ist lesbar als Reflex auf die Verheerungen der Spanischen Grippe). Insbesondere der Essay von Marek Zydowicz, dem Leiter des Festivals »Camerimage«, besticht mit einer durchdringenden Stilanalyse einzelner Filme und zeigt Entwicklungen auf. In »Caligari« ist nur das Szenenbild expressionistisch, in »Der letzte Mann« endgültig auch die Kamera. Sein Befund geht über das Primat des Visuellen hinaus. Im Drehbuch zu Der letzte Mann gelingt Carl Mayer auch eine Abstraktion des Erzählens, die sich von den Konventionen löst. Es wäre ein Gewinn für die Ausstellung gewesen, ein, zwei Seiten des Buchs zu präsentieren, dessen Schreibduktus sich fulminant an der expressionistischen Lyrik orientiert.
Die Ausstellung läuft bis zum 12. Juni. Der zweisprachige Katalog kostet 29,90 €.
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