Pedro Almodóvar: Das Inszenierte ist das Wahre

v.l.n.r.: Aitana Sánchez Gijón, Pedro Almodóvar, Penélope Cruz, Milena Smitt, Israel Elejalde. © El Deseo / Studiocanal (2021)

v.l.n.r.: Aitana Sánchez Gijón, Pedro Almodóvar, Penélope Cruz, Milena Smitt, Israel Elejalde. © El Deseo / Studiocanal (2021)

Einen Almodóvar erkennt man sofort. Und das hat nicht nur etwas mit den satten Primärfarben der Ausstattung zu tun. Es geht viel tiefer. Zum Start von »Parallele Mütter«: Manfred Riepe über Sprache, Geschlecht und Faschismus in den späten Filmen von Pedro Almodóvar

Die Mutter des Serienmörders hat vorgesorgt. Das blutverschmierte Hemd, das ihren Sohn hätte überführen können, hat sie blütenrein gewaschen. »Unglaublich«, staunt der Gesetzeshüter. Mit einem Lächeln präsentiert sie das Waschmittel, auf das sie in solch brenzligen Situationen vertraut: »Ecce Omo. Es ist unglaublich.«

Die Szene stammt aus »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs«, der Komödie, die Pedro Almodóvar 1988 weltberühmt machte. Carmen Maura spielt eine agile Synchronsprecherin, die Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um ihren treulosen Geliebten dazu zu bewegen, seinen Koffer abzuholen. Sie will ihm sagen, dass sie von ihm schwanger ist. Inmitten des heillosen Chaos, das dabei in ihrer Wohnung ausbricht, schaut sie sich den verspielten Fake-Werbespot an, in dem sie selbst auftritt – und der exemplarisch zeigt, wie Almodóvar denkt, fühlt und filmt. 

Markant ist in diesem Spot nicht allein das Spiel mit der Werbeästhetik. Es geht auch um eine vielleicht etwas zu enge Mutterbindung. Vor allem aber wird hier eine genuin sprachliche Technik vorgeführt. Freud hat sie schon 1905 beschrieben: »Ein guter Witz kommt zustande, wenn ich mittels eines doppelsinnigen oder wenig modifizierten Wortes auf kurzem Wege aus einem Vorstellungskreis in einen anderen geraten bin.« Durch die dabei entstehende Doppelbelichtung blitzt ein neuer Sinn auf vor dem Hintergrund des alten. Der Ausspruch »Ecce homo – Siehe, (welch) ein Mensch!« –, mit dem Pilatus im Neuen Testament auf Jesus verweist, wird durch den Hinweis auf die Nöte einer Hausfrau ersetzt. Die göttliche Kraft des Waschmittels beseitigt die Spur einer Bluttat.

Diese Technik zieht sich durch Almodóvars Werk wie ein roter Faden. Immer wieder porträtiert der spanische Autorenfilmer Schriftsteller. Es geht um Manuskripte, Briefe, Tagebücher. Almodóvar ist selbst eigentlich Schriftsteller, nachzulesen in dem Band »Patty Diphusa«, der literarische Kolumnen aus den 80er Jahren versammelt. Genauer gesagt ist er ein Autor, der, wie ein Kritiker einst schrieb, seine blühenden Fantasien »direkt in die Kamera tippt«. 

Bilder sind für ihn also nicht nur visuell. Bei Almodóvar entstehen Filme aus Sprachbildern. Wie »Ecce Omo«. Nicht zufällig hebt der Regisseur selbst die Bedeutung der Sprache hervor: »Meine Skizzen sind immer literarisch. Wenn Regisseure von dem reden, was ihnen die Idee zu einem Film oder die Lust auf eine Szene gegeben hat, dann beschreiben sie in der Regel ein Bild. Und dieses Bild führt sie zur Geschichte. Für mich stehen am Anfang immer Wörter, Worte, eine Geschichte, die mich dann zu den Bildern des Films führen.« 

Nach diesem Credo macht Pedro Almodóvar seit über vierzig Jahren Kino. Das einstige Enfant terrible, das Ende der 70er Jahre im Rahmen der Movida madrileña als provokativer Undergroundfilmer begann, hat kaum Karrieretiefs erlebt. Eines war die Satire »Fessle mich!« (1989), in der Antonio Banderas einen labilen jungen Mann spielt, der nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie eine Schauspielerin entführt und knebelt, um sie davon zu »überzeugen«, dass sie ihn liebt. »Die Tageszeitung« schrieb damals: »Pedro Almodóvar entpuppt sich in »Fessle mich!« leider doch als Macho.« 

Anfang der 2000er Jahre schien er sich als künstlerisch und kommerziell erfolgreicher Autorenfilmer etabliert zu haben. Es regnete Filmpreise, darunter Oscars für »Alles über meine Mutter« (1999) und »Sprich mit ihr« (2002). Zugleich begann eine Achterbahnfahrt, die mit dem Fake-Werbespot in »Frauen am Rande...« einiges zu tun hat. So wie der Ecce-Omo-Witz die Bibel mit einem Waschmittel kurzschließt, so sind auch Almodóvars cineastische Labyrinthe der Leidenschaft meist doppelbödig. Hypnotisiert folgt man Plots, die wie auf einem Möbiusband von einem Vorstellungskreis in einen anderen führen: von der Komödie ins Melodram, von der Telenovela zur Literaturadaption, von der queeren Parallelwelt zum Alltag einer Mutter.

Böse Zungen behaupten, Almodóvar drehe seit zwanzig Jahren immer denselben Film. Ganz falsch ist das nicht. Die Kleider der Frauen sind stets eine Spur zu grell. Die Farben der Innenräume haben schrille Kontraste. Die Augen schmerzen. Einen Film von Almodóvar erkennt man auf den ersten Blick. Immer wieder fühlt man sich dabei wie in einem Traum, der einen der vorangegangenen Träume fortsetzt. Der aktuelle Film »Parallele Mütter« beispielsweise, in dem zwei alleinerziehende Frauen damit klarkommen müssen, dass ihre Babys vertauscht wurden, wird durch ein Filmplakat angekündigt, das schon im Büro von Mateo Blanco hängt, dem blinden Regisseur aus »Zerrissene Umarmungen« (2009), einem doppelbödigen Spiel mit Fiktion, Realität und Kinozitaten.

Das Gefühl, dass Almodóvar-Filme sich trotz ihrer großen thematischen Spannweite irgendwie ähneln, hängt auch damit zusammen, dass der Spanier meist auf ein bewährtes Ensemble setzt und eine Handvoll Grundelemente variiert – Geschichten über gebärende Mütter und Filme, die sich selbst fiktionalisieren. 

»Zerrissene Umarmungen« (2009)

In diesem heiter-melancholischen Tanz der Fiktionen sind heterosexuelle Männer meist nur Katalysatoren für einen erzählerischen Prozess. Sie zeugen und gehen. In »Volver« aus dem Jahr 2006, dem ersten Film nach den beiden Oscars, wird die in Notwehr erfolgende Beseitigung eines übergriffigen Vaters zum Ausgangspunkt einer generationenübergreifenden Geistergeschichte. Es kommt dabei zu einem Wiedersehen mit der frühen Almodóvar-Muse Carmen Maura. Sie prägte in der mittleren Phase das Bild der sprichwörtlich gewordenen Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Nachdem sie sich mit Almodóvar zerstritten hatte, stand sie in »Volver« nach 18 Jahren erstmals wieder bei ihm vor der Kamera – und übergab das Staffelholz an Penélope Cruz, die ab den 2000er Jahren, nach dem Nebenrollen-Oscar für »Vicky Cristina Barcelona« zum Gesicht der Almodóvar-Filme wurde. In Parfümerien und Drogeriemärkten sah man sie als Kosmetik-Testimonial. Penélope Cruz entspricht aber keinem Phantombild-Ideal. Auf geheimnisvolle Weise offenbart ihr jugendliches Antlitz bereits Züge eines gelebten Lebens. Sie ist temperamentvoll, wirkt dabei aber nie wie eine Klischee-Latina. Dank Penélope Cruz ist das Almodóvar-Gefühl ein Stück weit in den Alltag eingesickert.

In »Leid und Herrlichkeit« (2019), einer fiktiven Autobiografie, in der der Spanier sich selbst als Heroinsüchtigen beschreibt – obwohl er nie harte Drogen nahm –, spielt Penélope Cruz Almodóvars Mutter. An der Wand hängt einmal ein Hochzeitsbild. Es zeigt Cruz zusammen mit Raúl Arévalo, der im Film den Vater des Regisseurs verkörpert. Später sieht man das gleiche Motiv – diesmal mit Almodóvars tatsächlichem Vater Antonio an der Seite der leiblichen Mutter Francisca Caballero. Der episch gesponnene Erzählbogen in »Leid und Herrlichkeit« beleuchtet unterdessen den Lebensabend dieser alt gewordenen Mama, die – nun dargestellt von Julieta Serrano – ihrem Ableben entgegensieht. Während sie einen Traum von ihrem Tod erzählt, bemerkt sie, dass sie eine Figur in einem Film ihres Sohnes ist. Sie tadelt ihn, er möge es mit der »Autofiktion« nicht übertreiben: Manieriert, gewiss – aber zugleich auch sehr berührend. 
 
Nachdem Penélope Cruz in »Volver« dezent an Sophia Loren erinnerte, modelliert Almodóvar sie in »Zerrissene Umarmungen« abwechselnd als platinblonde Marilyn Monroe und als Audrey Hepburn in »Frühstück bei Tiffany«. In »Zerrissene Umarmungen«, der noch verdrehter ist als die früheren Filme, verkörpert Cruz das obskure Objekt der Begierde eines reichen Industriellen. Almodóvar variiert dabei die Fantasie jenes chinesischen Malers, der nach Vollendung seines Werkes in sein eigenes Bild steigt und verschwindet: nur genau umgekehrt. Dazu kehrt der Spanier zurück ins Jahr 1988. Auf eine amüsante Weise reinszeniert er die Dreharbeiten seines Schlüsselfilms »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs« – wobei Penélope Cruz in den Szenen zu sehen ist, in denen zwanzig Jahre zuvor Carmen Maura agierte. 

»Leid und Herrlichkeit« (2019)

Das Spiel mit der eigenen Vergangenheit dient einer amüsanten und zugleich grotesken Frage: Was wäre, wenn »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs« seinerzeit ein Flop gewesen wäre? In »Zerrissene Umarmungen« (2009) sieht man den Regisseur Mateo Blanco (Luís Homar), der in der Zeitung einen ätzenden Verriss liest. Pedro Almodóvar, so wie wir ihn kennen, gibt es in dieser Parallelwelt nicht. 

Der Regisseur muss sich folglich selbst (neu) erfinden. Dieses Projekt realisiert Almodóvar 2011 mit einem der wenigen Werke, die weder zu den Frauen- noch zu den Schwulenfilmen zählen. Mittels jener kunstvollen Rückblenden, deren Technik er in »La mala educación« (2004) perfektioniert hatte – einem ebenfalls autobiografisch motivierten Drama, in dem er seine Erinnerungen an den selbst erlebten Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche ins Zentrum rückt –, erzählt er von einer Geschlechtsumwandlung. 

Indirekt knüpft »Die Haut, in der ich wohne« an den »Ecce Omo«-Werbespot an: Der Film illustriert nämlich, was geschehen kann, wenn eine überpräsente Mutter ihren Sohn vor dem Arm des Gesetzes schützt. Man fühlt sich zudem an die Mediensatire »Kika« (1993) erinnert, mit Rossi de Palma als Mutter eines Triebtäters, der die Visagistin Kika (Verónica Forqué) in einer über zehnminütigen Szene vergewaltigt.

»Die Haut, in der ich wohne« (2011)

Eine derart zwielichtige Figur, mit der man sich, im Gegensatz zu den »klassischen« Almodóvar-Frauen, gewiss nicht identifiziert, verkörpert auch Marisa Paredes in »Die Haut, in der ich wohne«. Sie ist die Mutter eines berühmten Schönheitschirurgen, der außerhalb des Gesetzes lebt und eine Rachefantasie ausagiert, die so verdreht ist, dass nur Almodóvar sie ersinnen konnte. Der Suizid seiner Tochter, so glaubt der exzentrische, von Antonio Banderas gespielte Arzt, sei die Folge einer Vergewaltigung. Um sich am mutmaßlichen Peiniger der Tochter zu rächen, entführt er den jungen Mann. Und begibt sich auf die Spur von James Stewart, der in Hitchcocks »Vertigo« Kim Novak zur Traumfrau modelliert. 

Der Vergewaltiger wird umoperiert, in eine Frau verwandelt. In der Haut, in der er jetzt wohnt, soll er nachvollziehen, wie es ist, gewaltsam penetriert zu werden. In der Schlüsselszene packt der Chirurg eine Reihe von Dildos aus, der erste bleistiftdünn, der nächste dicker, mit denen der junge Mann im Körper einer Frau sein neues Genital stetig erweitern soll. »Die Haut, in der ich wohne« ist im Grunde ein David Cronenberg-Film – gefilmt in der Ästhetik einer Frauenzeitschrift. 

Ist Almodóvar aufgrund dieses Films transphob? Diese Einschätzung wäre so falsch wie die Unterstellung, »Fessle mich!« sei ein Macho-Film. Der Spanier ist nicht nur ein Frauenregisseur. Wohl kaum ein anderer Filmschaffender hat sich so intensiv auf das Thema Transsexualität eingelassen. Die Transsexuelle Bibiana Fernández, besser bekannt als Bibi Andersen, trat mehrfach in seinen Filmen auf – in dem surrealen Stierkampf-Melo »Matador« (1986), der Ingmar Bergman-Hommage »High Heels« (1992) und »Kika«.

Dennoch, und das muss man betonen, traf Almodóvar immer auch eine subtile Unterscheidung zwischen Frauen und »Frauen«. Dies zeigt sich in »Das Gesetz der Begierde«, dem Meilenstein von 1987, für dessen Produktion Almodóvar sich das erste und einzige Mal hoch verschuldet hatte – im Fall eines Misserfolges hätte er »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs« nicht realisieren können. In »Das Gesetz der Begierde« leben ein Schwuler, eine Transfrau und ein »geborgtes« Kind (das von einer echten Transsexuellen stammt) in einer eheähnlichen Beziehung. Auch in »Alles über meine Mutter« schließen sich Frauen zu einer familienähnlichen Solidargemeinschaft zusammen. Dieses Muster zieht sich durch das Gesamtwerk Almodóvars, der zwischen den Zeilen betont, dass Genderfluid eben nicht bedeutet, dass es überhaupt keine geschlechtliche Zuordnung und damit auch keine familiäre Struktur mehr gibt. 

In »Das Gesetz der Begierde« wird die Transfrau von Carmen Maura gespielt. Almodóvar betont, er habe für diese Rolle »keine echte Transsexuelle« gewollt, sondern eine Schauspielerin, die eine Transsexuelle spielen konnte, »was sehr schwierig ist, weil ein Transsexueller seine Weiblichkeit anders ausdrückt, zeigt und demonstriert als eine Frau«. Almodóvar fügt hinzu: »Die Weiblichkeit einer Frau ist viel gelassener, heiterer.« 

Am prägnantesten wird dieser »kleine Unterschied« in »Alles über meine Mutter«, einem Schlüsselwerk, das eigentlich alle Cineasten lieben, selbst wenn sie keinen anderen Almodóvar-Film mögen. In dieser Hommage an die Frauen gibt es eine Binnengeschichte über eine Transsexuelle, einen ehemaligen Lastwagenfahrer, der nun auf den Namen La Agrado hört – weil »ich mein ganzes Leben lang immer nur versucht habe, den anderen das Leben angenehm zu machen« (agrado heißt: das Wohlgefallen, das Belieben).

Indem sie in die Rolle einer Schauspielerin schlüpft, führt La Agrado ihre »Weiblichkeit« wie ein Theaterstück auf. Das Geschlecht ist in diesem Stück der Effekt einer theatralischen Repräsentation. Diese Zeichenhaftigkeit ist nicht etwas Zusätzliches, sie bildet das Fundament des geschlechtlichen Seins. Deshalb hat La Agrado recht, wenn sie Implantate, Gesten und Ökonomie zugleich als Spiel der Zeichen auffasst und als »authentisch« bezeichnet: »Was will ich damit sagen? Es ist ziemlich teuer, authentisch zu sein«.

La Agrado rechnet vor: »Allein die Katzenaugen – 90.000 Peseten... Titten – zwei – möchte ja kein Monster sein – 60.000 das Stück. Aber die haben sich schon super amortisiert«. La Agrado arbeitet nämlich auch als Prostituierte. »Silikon in Lippen, Stirnfalten, Backenknochen, in den Hüften, im Po – der Liter 100.000 etwa. Rechnet es nach, weil ich hab' schon keinen Überblick mehr. Zurechtfeilen der Kinnpartie: 70.000. Dauerhafte Laser-Depilation – denn auch Frauen stammen vom Affen ab, genauso oder noch mehr als der Mann – 60.000 pro Sitzung: Je nachdem, wie der Bartwuchs ist.«

Was Almodóvar hier vorführt, ist die Rückkopplung zwischen dem, was medizinisch möglich geworden ist, und der gefühlten Authentizität, die diese Verwandlung als Effekt nach sich zieht. »In diesen Dingen«, so La Agrado, »sollten wir nicht knauserig sein. Wieso? Weil wir umso authentischer werden, je ähnlicher wir dem Traum sind, den wir von uns selbst haben.«

Sexuelle Identität, so die Pointe, wird umso authentischer, je artifizieller die Inszenierung ist. Damit greift Almodóvar auf einen Grundgedanken aus seinem Debüt »Pepi, Luci, Bom« zurück. Die Titelheldin will einen Film im Film inszenieren. In diesem sollen ihre Freundinnen »ganz sie selbst« sein, und zwar möglichst »authentisch« – was aber nur funktioniert, wenn sie sich selbst gleichzeitig darstellen: »Ihr könnt euch nicht einfach so vor die Kamera stellen«, erklärt Pepi, »ihr könnt nicht nur ihr selbst sein. Ihr müsst euch selbst spielen. Die Wirklichkeit sieht immer falsch aus. Sie verwenden im Film künstlichen Regen, weil der echte künstlich aussieht.«

Auf einen buchstäblichen Rückflug in die 80er Jahre, in denen sein Debüt verwurzelt ist, begab Almodóvar sich mit der quietschbunten Komödie »Fliegende Liebende« (2013). Sie erinnert am ehesten wieder an frühere Werke wie den zweiten abendfüllenden Spielfilm »Labyrinth der Leidenschaften« von 1982. In einer verworfenen Drehbuchfassung dieses verschachtelten Vexierspiels »kamen übrigens Dali und der Papst nach Madrid und verliebten sich leidenschaftlich ineinander«.

Das Flugzeug, in dem »Fliegende Liebende« spielt, hat ein Fahrwerkproblem. Auf der Suche nach einer Notlandebahn kreist es über der Mancha – Almodóvars Heimat. Um die Passagiere der Business Class zu zerstreuen, führen die Flugbegleiter ein unwiderstehliches Tuntenballett auf, gewürzt mit liebevoll gemixten Drogencocktails. Almodóvar light? Gefühlskitsch und Manierismen? Vorsicht.

»Fliegende Liebende« (2013)

Ein Frauenregisseur ist Almodóvar nicht, weil er ein »Frauenversteher« ist, sondern weil er stets eines betont: Seine Protagonistinnen sind ökonomisch nie abhängig von Männern. In »Julieta« nach Motiven von Alice Munro wird dieses Bestreben nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu einem Fluch für die Titelfigur, eine Literaturdozentin. Sie hat eine Tochter geboren und will irgendwann zurück in ihren Job. Doch Marian, die Haushälterin ihres Lebenspartners, redet ihr ins Gewissen, und das ziemlich massiv. »Ich will nicht nur Hausfrau sein«, sagt Julieta, »ich habe einen Beruf, der mir gefällt.« – »Der Beruf einer Frau ist ihre Familie«, entgegnet Marian. 

Verkörpert wird diese böse Stimme von Rossi de Palma (genannt »die Nase Spaniens«). Die Almodóvar-Veteranin wirkt in dieser Szene unheimlich wie eine griechische Rachegöttin: »Und wenn du sie (die Familie) zusammen halten willst, ist das beste, was du tun kannst, zu Hause zu bleiben!«

Julieta widersetzt sich. Worauf ihr Lebenspartner, ein Fischer, im Sturm ertrinkt. Das schlechte Gewissen wird für Julieta unerträglich. Noch befeuert wird dieses grausame Überich von der Tochter, die der Mutter die Schuld am Tod des Vaters gibt. Sie rächt sich, indem sie aus deren Leben verschwindet. Für 12 Jahre. Erst als die Tochter ihrerseits ein Kind verliert, versteht sie den Schmerz der Mutter. 

Zweiundzwanzig lange Filme in einundvierzig Jahren hat Almodóvar realisiert. Dabei ist er stilsicherer geworden. Mit den späten Arbeiten bilden sich Rhizome, die sich quer durch das Werk ziehen. Von »Pepi, Luci Bom« bis zu »Parallele Mütter« vernetzen sich die Filme. Das gilt auch für ein Motiv, das erst in den späten Arbeiten hervortrat.

»Julieta« (2016)

Es geht um den Franco-Faschismus, dessen grauenhafte Dimension in »Parallele Mütter« prägnanter erscheint als sonst. Die Rahmenhandlung erzählt von einer aufwendigen forensischen Exhumierung bäuerlicher Widerstandskämpfer. Über Hunderttausend wurden von den Faschisten während des spanischen Bürgerkriegs gemeuchelt und anonym verscharrt. Nach Kambodscha ist Spanien das Land mit den meisten ungeöffneten Massengräbern.

Dieses düstere Thema hat Almodóvar lange Zeit gemieden. Das hängt mit seinem Werdegang zusammen: »Für mich«, erzählte er in einem Interview mit dem französischen Filmjournalisten Frédéric Strauss, »brach mit meiner Ankunft in Madrid (Mitte der 60er Jahre) die Freiheit an, trotz der Franco-Diktatur, denn es passierte sehr viel im Geheimen, und die Heimlichkeit war für mich etwas Normales, Übliches«. Bis hin zu »Live Flesh« (1997), einem melodramatischen Krimi nach Motiven von Ruth Rendell, in dem eine Hochschwangere (Penélope Cruz) es aufgrund einer von den Faschisten verhängten Ausgangssperre nicht bis ins Krankenhaus schafft und deshalb im Linienbus niederkommt, seien seine Filme auch nie gegen das Franco-Regime gewesen: »Weil ich die Existenz Francos einfach nicht anerkennen wollte.« 

Das heißt aber keineswegs, dass seine Arbeit opportunistisch war. Schon in seinem dritten Film »Entre tinieblas« (Das Kloster zum heiligen Wahnsinn, 1983) – dessen ursprünglich für 1994 geplante Free TV Premiere im deutschen Fernsehen vom Bayerischen Rundfunk boykottiert wurde, weil sich in einer Szene eine Nonne Heroin spritzt – erzählt Almodóvar von einem Kloster, das nebenbei als eine Art Frauenhaus fungiert. Die hier grell formulierte Kritik am Katholizismus ist grundlegend für den spanischen Regisseur. In Spanien bildete eine europaweit einzigartige Allianz zwischen Staat und Kirche das ideologische Fundament des faschistischen Regimes. Zentraler Aspekt des spanischen Faschismus ist wie in allen fundamentalistischen Systemen die Unterdrückung der Frau. Die einseitige Auslegung des Katholizismus führte unter Franco zu einer Geschlechter-Apartheid, die darin gipfelte, dass dem Ehemann im Fall der »Beschmutzung der Ehre« sogar das Recht der straffreien Tötung seiner untreuen Gattin eingeräumt wurde. Indem Almodóvar Frauen ins Rampenlicht rückte, sind seine Filme zugleich antifaschistisch – allerdings in einem etwas spezielleren Sinn als dem­jenigen, in dem dieser Begriff heute gebraucht wird. 

 

Manfred Riepe ist Autor des Buchs »Intensivstation Sehnsucht – Blühende Geheimnisse im Kino Pedro Almodóvars«. Transcript 2004. 

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