Nachruf: Paul Morrissey
Paul Morrissey (2016). Foto: Manfred Werner - Tsui (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Paul_Morrissey_Filmball_Vienna_2...), „Paul Morrissey Filmball Vienna 2016 b“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode
23.2.1938 – 28.10.2024
Um Paul Morrissey zu verstehen, auf den weder das Wort »Regisseur« noch das des »Filmemachers« passt, kann man am besten eine Arbeit heranziehen, die scheinbar wenig mit den »skandalösen« Filmen zu tun hat, für die er mehr oder weniger berühmt wurde, nämlich »Veruschka – (m)ein inszenierter Körper«, den er zusammen mit Bernd Boehm 2005 in Deutschland fertigte. Eigentlich ist es der Film von Vera von Lehndorff, die sich als Model, Schauspielerin und Künstlerin Veruschka immer mal wieder neu erfand. Sie erzählt und sie zeigt ihre Bilder, Morrissey und Boehm sind einfach nur da – als cooles Medium für einen Menschen, der sich selbst in ein lebendes Kunstwerk verwandelt.
»Ich meine nicht, dass Filme Kunst sind, das ist falsch, weil das Material der Filme Menschen sind, und Menschen sind keine Kunst.« Das hat Morrissey dreißig Jahre zuvor im Interview behauptet, als man ihn noch für einen Erfüllungsgehilfen von Andy Warhol hielt. Sind Menschen also, wenn sie gefilmt werden, nun Kunst? Um es in der Warhol’schen Methodik zu sagen: Man muss den Menschen das, was man für Kunst halten könnte, erst wegnehmen, damit sie zum Kunstwerk werden können. So wie dann aus einem Ding (einer Suppendose, einem Seifenkarton) ein Superding wird, so wird, jenseits bleicher Nacktheit, aus dem Menschen vor der Kamera ein Superstar. Es ist ein Prinzip der Isolation. Und Morrissey konnte oder wollte, auch als er sich in Europa eher mit der Trash-Abteilung der Industrie als mit dem künstlerischen Underground befasste, dieses Warhol-Prinzip nie überwinden: Vor seiner Kamera sind Menschen und Dinge isoliert, reine Gegenwart, nichts als sie selbst.
Warhols Idee vom Film war die von einer Kamera, die einfach hinsieht. Auf schlafende Menschen, das Empire State Building, seine »Superstars«. Das radikale Antihollywood, das sich freilich schon in Lonesome Cowboys 1968 lustvoll an den Mythen der Traumfabrik verging. Morrissey war bei Wahrhols Filmarbeiten als Kameramann, Produzent, Schauspieler und Cutter dabei. Aber im selben Jahr 1968 begann er mit Flesh seine eigenen Arbeiten, wenn auch noch in enger Beziehung zu Warhols Factory.
»Flesh« war in seiner vulgären Realistik ein Teil der »Befreiung« in den siebziger Jahren. Die Geschichte ist einfach: Ein Strichjunge in New York will Geld verdienen, um der Freundin seiner Frau eine Abtreibung zu bezahlen. Dazwischen gibt es Szenen, die auch in der damaligen »Sexwelle« im Kino undenkbar waren. Nicht bloß Sex, sondern »schmutziger« Sex. Die Wahrheit des Körpers. Warhols Superstar Joe Dallesandro erklärte seine Ablehnung von Hollywoodangeboten: »Ich habe keine Lust, mir meine Karriere durch Geld ruinieren zu lassen.« Noch so ein schöner Selbstwiderspruch.
In »Trash« ist Dallesandro mit einem Transvestiten liiert, man lebt vom Sammeln von Abfall, spritzt Drogen und masturbiert schon mal mit einer Bierflasche. Einfach abfilmen war das Prinzip, keine Kunst. Schließlich versucht man durch eine vorgetäuschte Schwangerschaft an Geld der Fürsorge zu kommen. Dass die mit der Begründung abgelehnt wird, dass auch die Schwarzen sich permanent vermehren würden und deswegen keine Unterstützung bekommen, bricht aus dem bloßen Abfilmen vom Leben »unten« aus. Auf die Frage, ob er politische Filme mache, meinte Morrissey: »Ich versuche nur zu zeigen, wie es ist.«
Dann ging es zum Frontalangriff auf die Traumfabrik: »Heat«, eine Groteske aus dem Sunset Boulevard-Stoff. Sylvia Miles ist die gescheiterte Schauspielerin, die in einer Gameshow beim Fernsehen gelandet ist, Dallesandro ein früherer Kinderstar, noch weiter unten. Mit diesem Film war sowohl das Thema Hollywood als auch der kalte Blick auf Sex, Drogen und Leute erledigt, die sich gegenseitig versichern, sie fingen an, wie ein Arsch auszusehen.
»Dracula und Frankenstein«, die Horrorfilme, die in Italien unter dem Markenzeichen Warhol entstanden, mischten ein etwas eingeschlafenes Genre auf, wegen ihrer Drastik einerseits, der Ironie und nicht zuletzt wegen Udo Kier in den emblematischen Rollen. Dass Draculas Ende durch Dallessandro in der Rolle eines kommunistischen Gärtners kommen musste, ließ 1974 noch einmal politische Subversion vermuten, vor allem aber war es ein Witz.
Das blieb Morrisseys Markenzeichen: extremer körperlicher Realismus plus drastische Komik. Wenn in seiner Sherlock-Holmes-Parodie »The Hound of the Baskervilles« ein kleiner Hund einen konsternierten Menschen anpinkelt, ist das nur in Maßen komisch. Aber wenn das endlos so geht, während die Figuren weiter eine blödsinnige Konversation führen und die Kamera einfach nicht wegschaut, dann ist da vielleicht doch in aller Kunstlosigkeit mehr Warhol als gedacht. Paul Morrissey hat keine »Spielfilme« gedreht. Es waren impertinente Montagen isolierter Körperlichkeit. Warhol liebte die Oberfläche. Morrissey die Risse darin.
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