Tiere im Film – Die Rache der Büffel
Tippi Hedren in »Die Vögel« (1963)
Schon die Filmpioniere Brüder Skladanowsky haben mit Tieren gearbeitet, mit einem boxenden Känguru. Aber seitdem hat sich im Tiergenre viel getan – auch hinter der Kamera
Rund 26 Milliarden Mal wurden die über zwei Millionen Katzenvideos auf YouTube letztes Jahr angeblich hochgeladen. Dabei sind solche mit Hunden sogar noch häufiger, werden aber seltener angeklickt, wie es der Kurator des New Yorker Museum of the Moving Image Jason Eppink anlässlich seiner Ausstellung »How Cats took over the Internet« in einem Interview erläutert. In Uganda, so berichtet er, wären die Rollen der »funny animals« im Internet kulturgerecht mit Ziegen und Hühnern besetzt. Ganz offensichtlich haben die tierischen Stars auch jenseits des Teilgenres »rammelnde Huftiere« große Teile des Internets übernommen. Und sie müssen nicht einmal komisch sein, um zu funktionieren.
Immerhin über 77 Millionen Aufrufe hatte bisher auch ein Video zweier Amateurfilmer, die 2004 bei einer Fotosafari im südafrikanischen Kruger-Nationalpark unverhofft ein Sensationsstück drehten. Das zeigt in acht Minuten Echtzeit nicht nur den Überfall eines Löwenrudels auf eine Gruppe Büffel an einer Wasserstelle, sondern auch, wie einige Minuten später – die Löwen sitzen schon über einem gerissenen Büffelkälbchen zum Mahl – eine ganze Herde Stiere zum Tatort zurückkehrt und durch Umzingelung und kühne Solokampfakte jeden Löwen einzeln in die Flucht schlägt, bis dann – oh Wunder! – sogar das längst tot geglaubte Kälbchen humpelnd aufsteht und mit der Großfamilie davonzieht. Das alles ist fast in einer einzigen Einstellung mit vielen hektischen Zooms und Schwenks gedreht, im Ton hört man die von ungläubigem Staunen bis zur Faszination reichenden Reaktionen des Filmteams, die mit den resümierenden Sätzen »That's unbelievable« und »You could sell it« dramaturgisch erstaunlich abgerundet enden.
Letzteres versuchten die beiden Filmemacher David Budzinski und Jason Schlosberg dann auch – allerdings zuerst erfolglos, weil die angefragten Fernsehsender grundsätzlich kein Amateurmaterial ankaufen wollten. Erst als das von Schlosberg drei Jahre später privat bei YouTube eingestellte Video sich dort zu einem viralen Hit entwickelte, fing auch National Geographic spät noch Feuer. Seitdem ist »Battle at Kruger« vielfach mit fachsimpelnden Zoologen in eigenen Fernsehsendungen kommentiert und bei YouTube imitiert und parodiert worden. Diesen Oktober stand das Video auch bei der großen Viennale-Retrospektive »Animals – Eine kleine Zoologie des Kinos« in einem Kurzfilmprogramm zu »Animali/Criminali« neben so unterschiedlichen kinematographischen Glanzstücken wie Alfred Machins »Pantherjagd im kolonialen Dschungel« (1909), Romuald Karmakars Hahnenkampfdoku »Gallodrome« von 1988 oder Tom und Jerry beim turbulenten »Cat Fishin'« (William Hanna, Joseph Barbera, 1947) auf dem Programm.
Ein interessanter Perspektivwechsel: Denn während in den anderen Foren hauptsächlich fachliche Aspekte aus Biologie und Verhaltensforschung (ja, Tiere tun so etwas wirklich...) thematisiert wurden, stand der Film nun in einem Kontext, wo ästhetische Fragen nach der Art der Inszenierung, der Publikumsansprache oder der Autorenschaft naheliegen. Und hier besetzt »Battle at Kruger« eine interessante Schnittstelle: Denn obwohl der Film mit dem Kälbchen im Zentrum und der erlösenden Rettung in letzter Sekunde sein Publikum ja gerade durch seine konventionellen Identifikationsmöglichkeiten und die Suspense-Dramaturgie anspricht, ist der Plot ganz offensichtlich keinem von Menschen erdachten Drehbuch entsprungen. Und auch die Regie des Geschehens scheint auf den ersten Blick bei den Tieren zu liegen, deren Bewegungen die Kamera fast getrieben folgt.
Andererseits aber schreibt gerade diese Faszination am scheinbar Spektakulären »Battle at Kruger« fast schon prototypisch in die Geschichte der Tiere im Menschenkino ein. Denn während das Geschehen für die beteiligten tierischen Akteure ein ganz normaler alltäglicher Nahrungskonflikt sein dürfte, sehen wir in der genregerechten Rollenverteilung von Verfolgern und Verfolgten – fast metaphorisch aufgeladen – ein gelungenes kollektives Aufbegehren schlecht bewaffneter Underdogs gegen eine Gruppe mächtiger Usurpatoren.
Mit dem Vorführen solcher Projektionsmechanismen ist der kurze Wildlife-Film auch ein witziger Kommentar zur Rolle der Tiere im Kino, die seit dessen Anfängen in den fotografischen Bewegungsstudien von Étienne-Jules Marey und Eadweard Muybridge durch Funktionalisierung und Zurichtung bestimmt ist. Ging es bei diesen Pionieren noch darum, aus der technischen Zerstückelung natürlicher Bewegungsabläufe in Einzelbilder zusätzliche Erkenntnis über das Leben zu gelangen, so kehrte sich dieses Verhältnis bald um und das Bild des Tieres wurde zur Projektion im doppelten Sinn: Seien es nun die tanzenden dokumentarischen Seepferdchen von Jean Painlevé, Walt Disneys animierte Maus oder John Hustons »Moby Dick« (1956).
Dabei sind die imaginierten Tiere notgedrungen auch immer – affirmative oder kritische – Widerspiegelung des ausbeuterischen Umgangs des Menschen mit sich selbst und seinen Mitspezies, am deutlichsten zu sehen wohl in den in den 50ern einsetzenden Tierhorrorfilmen, die wie Hitchcocks »Die Vögel« (1963) oder Spielbergs »Der weiße Hai« (1975) neben anderen Ängsten auch die vor der blutigen Rache der geschundenen Kreatur miterzählen. Oder in Georges Franjus' ebenso poetischem wie schockierend grausamen »Le sang des bêtes«, der als Urbild aller folgenden Filme über das industrielle Schlachten 1949 zugleich Dokumentation alltäglicher Fleischversorgungsprozesse wie Allegorie auf die gerade erst vergangenen menschlichen Massaker war.
Während sich an der praktischen Existenz der Tiere im Kino quantitativ wenig änderte, ist die theoretische Beschäftigung mit ihnen in den letzten Jahren fast boomartig angestiegen. Offensichtlich gibt es hier einen Zusammenhang zu den als Posthumanismus oder Anti-Speziesismus benannten aktuellen Tendenzen, die viele Jahrhunderte als Norm geltende scharfe Trennlinie zwischen dem Menschen und ihren Mit-Tieren auf ihre Angemessenheit und Relevanz zu befragen.
Und während neben dem Tierschutzdisclaimer im Abspann jedes Hollywoodfilms die Tierrechte auch thematisch (etwa in Frederick Wisemans Dokumentarfilm über Menschenaffenversuche »Primate« 1974 oder »Unter Menschen« von Claus Strigel und Christian Rost 2013) immer wieder präsent sind, gibt es in den letzten Jahren auch immer öfter Versuche, die menschliche Repräsentation von Tieren in den Filmen selbst zu thematisieren. So inszeniert der Dokumentarfilmer Nicolas Philibert in »Nénette« (2010) in seinen Ansichten des titelgebenden Orang-Utan-Weibchens in der Menagerie des Pariser Jardin des Plantes durch Soundtrack, Anordnung und Montage selbstreflexiv die »Schauanordnung des Zoos« mit, wie Sabine Nesssel in ihrem Aufsatz »Animal medial« beschreibt. Und der französische Regisseur Jacques Perrin nutzt in »Nomaden der Lüfte« 2001 neue Kameratechniken, um uns die Welt aus der luftigen Vogelperspektive (allerdings nicht mit Vogelaugen!) zu zeigen. Doch auch Perrins Film ist wieder Instrumentalisierung der Tiere für eine ureigen menschliche Sache. Das wird sich wohl erst mit dem gerade in den Anfängen stehenden Wechsel vom »animal medial« zum »animal auteur« ändern: 2011 machte der indonesische Makakenaffe Naruko mediale Furore mit selbstgeschossenen Selfies, um deren Urheberrechte immer noch gestritten wird. Zwei Jahre vorher schon hat angeblich mit dem Kapuzineräffchen Capucine der erste Nichtmensch einen Film (Titel: »Oedipe«) realisiert, der sogar auf einem renommierten Kurzfilmfestival angenommen wurde. Bilder von den Regiearbeiten kann man auf YouTube sehen. Und einen Eintrag in der Internet-Filmdatenbank ImDb hat Capucine auch schon.
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