Bilder der Passion – Jesus im Film
Das 1. Evangelium - Matthäus (1964)
Gibt es eine Konjunktur für Bibelgeschichten? Nach Noah und Moses ist jetzt wieder das Neue Testament dran – mit Filmen, die das Leben Christi fokussieren
Abbildungsverbote sind etwas Seltsames. Sie scheinen auf den ersten Blick willkürlich, autoritär, immer so, als gebe es da etwas zu verbergen. Aber oft sind sie nur eine gesetzliche Maske vor einer semantischen Unmöglichkeit. So würde sich ein Kreis zwischen Mythos und Ästhetik schließen: Es ist verboten darzustellen, was nicht darzustellen ist. Gott zum Beispiel.
Der Bilderdrang ist etwas Seltsames. Er scheint auf den ersten Blick chaotisch, sinnlich, so, als müsse etwas immer weiter enthüllt werden. Aber oft ist der Bilderdrang nur die Realisierung einer semantischen Notwendigkeit. So würde sich ein Kreis zwischen Leben und Ästhetik schließen: Es muss abgebildet werden, was nur als Bild zu verstehen ist. Der Mensch zum Beispiel.
Zweifellos sind die Götter in ihren Bildern den Menschen nahe, gefährlich nahe, um genau zu sein, und zweifellos sind die Menschen, die sich der Enthüllung entziehen, entrückt. So entstand zwischen dem Bilderverbot und dem Bilderdrang eine zunehmend komplizierte Grammatik. Ein Wort dafür ist »Ikonographie«. Sie regelt keineswegs nur, was verboten und was erlaubt ist. Sie klärt, was verstanden werden kann.
Und nun aber: die Gestalt, die zugleich Gott und Mensch ist – Jesus. Nicht von jedem ein bisschen, sondern beides vollkommen. Es gilt das Abbildungsverbot; es herrscht der Bilderdrang.
Ist auch hier Ikonographie die Lösung? Ja und nein. Gewiss kann man sich darauf einigen, einen Text, die Erzählungen der Apostel, das Neue Testament, zu illustrieren, so getreu als möglich, das heißt in Bildern, die zugleich Text sind. Es handelt sich mithin nicht um ein Abbild im reinen Sinn, sondern um eine »Veranschaulichung«, notwendig nicht zuletzt, weil so viele Adressaten des Lesens nicht mächtig sind. Jede Abweichung des Bildes vom Text ist verboten.
Aber die Ikonographie, die sich daraus entwickelt, rumort in sich. Das Bild des Gekreuzigten stellte etwa in der Romanik den entrückten Herrschergott und Jahrhunderte später den über alles Maß hinaus leidenden Menschen dar. Ikonographie ist eine offene Sprache. Aber gerade dadurch wird sie statt zur Lösung zum Ausdruck des ursprünglichen Problems. Es ist unmöglich, Mensch und Gott in einem Bild und in einer Gestalt darzustellen. Aber noch unmöglicher scheint es, diese Gestalt ohne die Hilfe des Bildes zu verstehen.
Aus der Ikonographie entstand das Schauspiel. Ein Versuch des Darstellens und Nach-Leidens, des Mitfühlens und des Dankesopfers. Oberammergau zum Beispiel. Was geschieht, wenn die Ikonographie ins Bewegungsbild wechselt? Es entsteht das Kino.
Der Christusfilm, nicht so sehr ein Genre als vielmehr ein Film, der immer wieder gedreht wird, entsteht ganz direkt aus dem »naiven« Revivre-, also Wiederbelebungsspektakel von Oberammergau. Die ersten Christusfime sind direkte Aufnahmen des Passionsspiels, danach folgen cineastische Nachstellungen, und bis heute kann man Christusfilme sehen, von denen enttäuschte Cineasten und etwas kompliziertere Gläubige sagen: It's very Oberammergau!
Beides freilich, die Oberammergauhaftigkeit und die Anlehnung an die überkommene Ikonographie der christlichen Malerei, einschließlich der direkten Zitierung berühmter Gemälde, sind auch Schutzmaßnahmen. Solange das Kino diesen Bildraum nicht verlässt, verstößt es nicht wirklich gegen die Abbildungsver- und gebote. Es gibt allerdings eine Form der Aneignung, die schon ein wenig mehr Freiheiten gestattet: die Krippen, die zur Weihnachtszeit aufgestellt werden und die den neutestamentarischen Text mit regionalen, aber auch fantastischen Elementen anreichern. Die Geburt des Heilands ist ein offenes Fest der Fantasie, denn im Kind in der Krippe ist die Doppelgestalt noch kein Problem.
Das Leben Jesu indes läuft auf die Kreuzigung zu; auf den Moment, da das Göttliche und das Menschliche auseinanderzubrechen drohen und gerade hier endgültig zusammengeführt werden. Das Bild der Kreuzigung ist nicht nur wegen seiner Grausamkeit unerträglich. Wenn hier ein Mensch, der ein Gott ist, sterben muss, »für unsere Sünden«, was haben wir dann verdient, wie »verschuldet« sind wir dann? Dieses Bild, auf das alles hinausläuft und das um so vieles stärker wirkt als die Coda der Auferstehung danach, ist zugleich reines Bild: eben die mehrdeutige Entblößung des Körpers, der Körperlichkeit, und Nicht-Bild: Abwehr des Blicks.
Die Antwort der Malerei auf das unmögliche Bild ist Komposition. Doch dies genügt für das Kino nicht – es muss Dramaturgie als Antwort geben. Und so folgt, da sich das Kino von der »naiven« Illustration des Passionsspiels entfernt, auf die Ikonographie die Interpretation. Ein Zwischenschritt entstand 1921 unter der Regie von Dimitri Buchowetzki, »Der Galliläer«: Statt von einem Passionsspiel auszugehen, nahm man das berühmte Gemälde »Das letzte Abendmahl« von Leonardo da Vinci zum Ausgangspunkt, das man zunächst bis ins Detail nachstellte, um es dann in ein »lebendes Bild« zu verwandeln. Die beiden Ursprünge des Christusfilms, das Passionsspiel und die christliche Malerei, vereinigten sich schließlich zu einer neuen, durch den Ursprungstext und theologische Beobachtung kontrollierten neuen Ikonographie, das nach den Gesetzen der Traumfabrik kein anderes Ziel haben konnte als die Herstellung eines neuen Universalbildes. Ein paradoxes Unterfangen: Es verband eher Christen und Nichtchristen miteinander als Christen untereinander.
Längst gibt es keine christliche Gemeinschaft und keine Gemeinde mehr, die etwas anderes als die größtmögliche Abstraktion der Symbole vereinen könnte. Statt zum einigenden wurde das Bild zum spaltenden. Das Bild, das die einen berührt, empört die anderen. So ist jeder Christusfilm ein Skandal, ob er es nun darauf abgesehen hat oder nicht. Die Nicht-Skandalhaftigkeit eines Christusfilms wird mit etwas Schlimmerem bestraft: der Belanglosigkeit.
Wie also diese Geschichte erzählen, die in ihren Schlüsselbildern nicht zu erzählen ist? Das Kino hat zwei Haupttendenzen dazu entwickelt. Die eine ist die der klassischen Konzentration: das ganze Geschehen wird in einer geschlossenen Bildsprache wiedergegeben. Das andere ist die manieristische Auflösung: das Geschehen wird in Teilen, von den Rändern her, indirekt, aus veränderter Perspektive oder aus der Sicht von »Nebenfiguren« betrachtet. Natürlich gibt es nicht nur reine Modelle dieser beiden Tendenzen, sondern auch Vermischungen. Nicholas Rays »King of Kings« (König der Könige, 1961) zum Beispiel erzählt zwar »die ganze Geschichte«, lenkt aber die Aufmerksamkeit auf Nebencharaktere wie Judas, der als ein Zerrissener zwischen der gewalttätigen Rebellion des Barabbas und der spirituellen Heilslehre von Jesus geschildert wird. Wir könnten wohl sagen, dass dieser Judas unsere eigenen Widersprüche und ebenso die Widersprüche der Ikonographie ausleben muss. Ein Gott kann nicht Gegenstand von Psychologie sein, da nun aber das Kino unter anderem ein Kind der Psychologie ist, muss es offensichtlich seine diesbezüglichen Energien auf die Nebenfiguren lenken.
Die Anverwandlung.
Pier Paolo Pasolinis »Il vangelo secondo Matteo« (Das erste Evangelium – Matthäus, 1964) zitiert die Volksfrömmigkeit ebenso wie moderne christliche Kunst, die vor allem einen kämpferischen Christus vorstellt, einen, der sich und seinen Mitmenschen immer auch ein Rätsel bleibt. Aber zur gleichen Zeit ist Pasolini ungeheuer konkret, wenn er den Christus von einem antifranquistischen Aktivisten aus Spanien und die Madonna von der eigenen Mutter darstellen lässt. Es ist »die Sehnsucht nach dem Mythos«, die der Regisseur darstellt, nicht der Mythos selbst. Roberto Rossellinis karges und wortgetreues Evangelium »Il Messia« (Der Messias, 1975) stellt die radikale Frage nach dem »maßgebenden« Menschen und seiner Wirkung für die Sehnsucht nach Liebe und Menschlichkeit. Im ersten Fall ist Christus so sehr Gott, dass er sich selbst nicht versteht und den Menschen fremd bleiben muss, im zweiten dagegen so sehr Mensch, dass er die Schöpfungsgeschichte – eine christliche wie eine marxistische – zur Göttlichkeit hin erfüllt.
Wenn das Passionsspiel das Göttliche in seiner menschlichen Erscheinungsform bezeugen will, so nehmen viele der europäischen Christusfilme die entgegengesetzte Perspektive ein: Sie erzählen von einem Menschen, der seine Menschlichkeit so vollendet hat, dass er das Göttliche berührt. Das hat natürlich auch Konsequenzen für die filmische Repräsentation: Das Bild im amerikanischen Passionsspiel-Film muss sich ins beinahe Unendliche dehnen, die Erhabenheit kann gleichsam nur horizontal erreicht werden, und der Erlöser definiert sich im Blick der Erlösten; im europäischen Christusfilm intimisiert sich das Bild auf das Wesentliche in der Aura des Erlösers selbst, und es ist nicht die Größe, sondern die Tiefe im Raum, die das Geschehen bestimmt. Roberto Rossellini zeigt für die Kreuzigungsszene nicht einmal mehr Zuschauer, wir hören aber, dass anderswo das Leben weitergeht, als wäre nichts geschehen: Nur in sich selbst ist das Bild der Erlösung zu finden, nicht in der historischen und »pragmatischen« Rekonstruktion bei George Stevens und nicht in der prismatischen Darstellung von Nicholas Ray. Auf gegensätzliche Weise ist in beiden Formen das Erbe des Passionsspiels zugleich erhalten und verloren, verloren das eine Mal an die Architektur der Gesellschaft und das andere Mal an die Architektur der Seele. Aber in beiden Fällen ist zugleich eine besondere Weise der direkten Teilhabe erhalten, die es sonst in den »epischen« und »psychologischen« Filmgenres nicht gibt. Anders gesagt: Jeder Christusfilm, der es ernst meint, stößt auch an die Grenzen des Kinematographischen.
Die Deutung.
Einen sehr eigenwilligen Versuch unternahm in den Siebzigern Gillo Pontecorvo mit seinem nicht realisierten Christusfilm »I tempi della fine«, der vor allem das revolutionäre Potenzial erkennt, wie es sich im Schlusskommentar ausdrückt: »Aus den menschlichen Erfahrungen einer kleinen Gruppe von Juden vor 2000 Jahren und aus dem Tod ihres Meisters entwickelte sich eine gewaltige Bewegung, die anfangs von etablierten Mächten angegriffen, später ihrerseits eine etablierte Macht wurde, eine Kirche, sogar mehrere Kirchen. Aber für einen Teil der Enterbten und Unterdrückten hat sie nie jene umstürzende Kraft verloren, die sie ursprünglich besessen hatte«. Für Pontecorvos Christusprojekt steht im Vordergrund der Mensch, der in eine Welt geboren wird, die ihre alten Werte verloren hat und noch keine neuen erkennen kann. In einer solchen Welt kann es keinen Unterschied zwischen der politischen und der spirituellen Revolte geben. Doch diese Einheit von Politik und Spiritualität, die es bis zu einem gewissen Grad auch in den Filmen von Pasolini und Rossellini gibt, konnte schon bald nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Judas in Martin Scorseses »The Last Temptation of Christ« (Die letzte Versuchung Christi, 1988), dargestellt von Harvey Keitel, versucht sie wieder herzustellen. Vergebens.
Die Restaurierung.
All die Deutungen, die Anverwandlungen, die Fragestellungen, die Fragmentierungen wandten sich an ein cineastisch so sehr wie religiös aufgeschlossenes Publikum. Aber fast immer wurden sie auch als Beschädigung des Passionsbildes empfunden. Daher folgte stets mit einer gewissen Regelmäßigkeit ein cineastischer Restaurationsversuch. Dabei mussten gleich zwei Restaurierungen vorgenommen werden. Die eine in Bezug auf Texttreue und Glaubensinhalt (das Wunder muss geschehen wie beschrieben, die Worte müssen gesprochen werden) und die andere in Bezug auf den historischen Rahmen. So entsteht, wie in Franco Zefirellis »Jesus von Nazareth« (1977) oder den großen Mehrteilern, die in den Achtzigern und später wieder neu für das Fernsehen produziert wurden, eine doppelte Behauptung: »Ich glaube« und »So war es«. Im restaurativen Christusbild zerfällt die Vorstellung von der »historischen Religion« wieder in ihre Bestandteile. In einer etwas hilflosen Geste wirft die Kritik solchen Filmen, die zum Teil von speziellen Produktionsfirmen für eine spezielle, oft durchaus massive Vermarktung hergestellt werden, eine Rückkehr nach Oberammergau vor. Doch das trifft nicht zu, denn ihnen fehlt die Naivität des ursprünglichen Revivre. Ihnen bleibt der Ruch einer fundamentalistischen Illustration. Dabei kommen, wie einer der jüngsten, der »konservative« Christusfilm »Son of God« (2013) zeigt, die Schwierigkeiten der ikonographisch »richtigen« Bilder zum Vorschein: die Gefühllosigkeit. Und die Bedeutungslosigkeit.
Der Anachronismus.
Unterschiedlicher in Ästhetik und Publikumsansprache als die klassischen Passionsfilme aus Hollywood war »Jesus Christ Superstar« (1972, Norman Jewison), der sich vor allem an die Jesus-People-Bewegung innerhalb der Hippies wendete: das Passionsspiel hat nun den Charakter einer Rockoper, die in der Wüste Negev spielte. Erzählt werden die letzten sieben Tage im Leben des Erlösers, aus der Sicht von Judas. Wie David Greenes »Godspell« (1973) wurde auch diese Modernisierung des Passionsspiels eher zwiespältig aufgenommen, obwohl die Filme auf ihre Weise vielleicht eine direktere und klarere Rückkehr zur Ursprungsform darstellen mochten als die großen Panoramen von Ray und Stevens. Die Passionsspiele der Hippies nehmen sich die Freiheiten der Krippendramaturgie, das Geschehen aus einem historisch-topographischen Zusammenhang zu lösen.
Heroisches Echo.
Leichter als mit Modernisierungen und Differenzierungen tat sich Hollywood mit Stoffen, die indirekt auf die Passionsgeschichte Bezug nahmen und den großen Vorteil hatten, dadurch nicht den leidenden Menschen, sondern den siegenden Helden in den Mittelpunkt stellen zu können. »The Robe« (Das Gewand, 1953, der erste Cinemascope-Film), »Quo Vadis« (1951) und natürlich »Ben Hur« (1959) wurden, im Gegensatz zu den »echten« Christusfilmen, große Kassenerfolge. Dabei steckte auch in ihnen durchaus kritische Energie. In »The Robe« konnte man nicht nur eine Analogie zur Judenverfolgung des deutschen Reiches sehen, sondern auch die Revolte gegen religiöse Autorität: »Die Macht liegt nicht bei den Göttern, sondern bei uns, den Menschen«, behauptet der abtrünnige, zum Christen gewordene Römer (Richard Burton).
Anthony Quinn spielte in »Barabbas« (1961) von Richard Fleischer so etwas wie eine amerikanische Revision der problematischen Gestalt aus Pär Lagerkvists schon 1953 von Alf Sjöberg verfilmtem Roman: Der »moderne« Zweifler und Getriebene kehrte gleichsam in die Passionsspiel-Welt des großen Hollywood-Jesus-Films zurück. Nachdem Pilatus (Arthur Kennedy) ihn auf Drängen desVolkes freigelassen hat, um an seiner Stelle Jesus am Kreuz sterben zu lassen, hält der Dieb Barabbas sich für unsterblich und begeht weitere Verbrechen. Auch hier geht es vor allem um die Emotion. Der gläubige Drehbuchautor und der atheistische Regisseur einigten sich darauf, dass es für jede wunderbare Erscheinung immer auch eine »natürliche« Erklärung geben sollte. So wurde der Mythos gleichsam zurückgespiegelt in den Kopf eines Verworfenen und Erlösungsbedürftigen.
Die Aktualisierung.
In Fjodor Dostojewskis »Die Brüder Karamasow« eingewebt ist die Geschichte von einem Christus, der zurück auf die Erde kommt und von den Menschen meist nicht erkannt, vom Vertreter der Kirche, dem Großinquisitor, aber schroff und gewalttätig abgewiesen wird: Er muss noch einmal sterben, aber vor den Augen der Menschheit verborgen. Eine solche Wiederkehr spielen etliche Filme durch, unter ihnen auch »Das Gespenst« von Herbert Achternbusch oder Jean-Luc Godards »Je vous salue, Marie«, der die unbefleckte Empfängnis in die Gegenwart transferiert. Und auch hier ist die Reaktion der Menschen nicht anders. Wenn der Mythos Wirklichkeit wird, reagiert die Wirklichkeit mit Gewalt.
In »Jesus von Montreal« (1989, Denys Arcand) wird das Passionsspiel selbst zum Thema: Die Schauspieler werden von ihrem Spiel wahrhaft ergriffen, aus dem Spiel wird Leben. Wir haben in diesem Film vielleicht die dritte Art, mit dem »Erbe« des Passionsspiels auf der fortgeschrittenen Ebene umzugehen: Das Opfer wird wirklich und wahrhaftig wiederholt.
Blickwechsel.
Ein Jahrzehnt nach Godards für eine echte Blasphemie viel zu sperrigem Film begann sich auch der konventionelle Bibelfilm für die weibliche Seite des Mythos zu interessieren. Der Film »Mary, Mother of Jesus« (Maria – Die heilige Mutter Gottes, 1999, Kevin Connor) erzählt die Geschichte von Jesus von Nazareth aus der Sicht seiner Mutter, beginnend mit der Verkündigung durch den Engel. In diesem Film findet sich eine restaurative Umkehr der »Letzten Versuchung«, es ist nicht nur die Geschichte einer Mutter, die den Opfertod des Sohnes bejaht, sondern sich auch noch gleichsam direkt ans Publikum wendet, um seine Mission zu erfüllen. »Maria, figlia del suo figlio« (Maria, Tochter ihres Sohnes, 2002, Fabrizio Costa) erzählt die gleichsam private Geschichte der heiligen Jungfrau von der eigenen Kindheit bis zur Kreuzigung ihres Sohnes. Die freundschaftliche und enthaltsame Beziehung zu dem Tischler Josef und ein schweres Los an der Seite des Erwählten führen immer wieder auch zu Konflikten mit den zugeordneten und ständig in Frage gestellten Rollen in einem feststehenden Drama. Die Idee einer weiblichen Sicht auf die Passion wurde in »Maria di Nazaret« (Ihr Name war Maria, 2012, Giacomo Campiotti) wieder aufgegriffen, nun schon etwas weniger inbrünstig. Alle drei Filme stehen im Zeichen der Restauration; sie unterwerfen die Ansätze einer weiblichen Revolte im Mythos und damit natürlich die einer wirklichen Relektüre.
»The Gospel of John« (Das Johannes-Evangelium, 2003, Philip Saville) erzählt das Leben Jesu aus der Sicht seines Apostels Johannes, sieht gleichsam der Textwerdung des Geschehens ebenso zu wie der direkten Verwandlung des Geschehens in die christliche Ikonographie, ohne freilich aus alledem irgend Erkenntnis und Interesse zu generieren. Filme wie diese machen deutlich, dass schließlich, was die B-Produktion anbelangt, eben doch geschehen ist, was sowohl aus cineastischer als auch aus religiöser Sicht zu vermeiden gewesen wäre: dass Christusfilme ein Genre geworden sind.
Trash.
Und jedes Genre bildet seinen Trash-Sektor aus. Wehmütig mag man sich an den wirklich tiefgreifenden und liebevollen Monty-Python-Film »Das Leben des Brian« erinnern, beim Ansehen von Filmen wie »Jesus Christus Vampire Hunter« (Jesus Christus Vampirjäger, 2001, Lee Demarbre), der übrigens durchaus komische Dialoge zwischen Jesus und seinem Vater enthält, oder »Hitler Meets Christ« (2007, Brendan Keown), der nicht so albern ist, wie sein Titel vermuten lässt: An einem Bahnhof treffen sich zwei Männer, der eine glaubt, er sei Adolf Hitler, der andere Jesus Christus. »Fist of Jesus« (David Muñoz, Adrián Cardona) ist ein Kurzfilm aus Spanien, in dem Jesus seinen Freund Lazarus von den Toten auferstehen lässt, was dummerweise die nächste Zombie-Apokalypse auslöst. All dieser Unfug sowie diverse Auftritte Christi in Serien wie »Die Simpsons« oder »Family Guy« zeigen, was eine Ikonographie unter den Bedingungen eines multimedialen Universalismus ist: ein Selbstbedienungsladen. Was nicht heißt, dass nicht auch in diesem Sektor eine unterdrückte Wahrheit im Mythos ans Licht drängte. Der Vierzigminüter »Gay Jesus« (2015, Paul M. McAlarney) zeigt auf durchaus drastische Weise die Passion eines schwulen Erlösers im Text, in den Gebäuden und in den Körpern der Kirche. Trash ist ja nicht nur der Versuch, eine Bildwelt zu zerstören. Es ist auch der Versuch, einem entleerten Bild wieder Leben einzuhauchen.
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