Ozeanische Gefühle – Wasser im Film
»Still the Water«
Wasser ist schön und erfrischend. Manchmal aber auch ein bisschen unheimlich. Und oft zerstörerisch. Früher sah Wasser im Film nicht so toll aus. Heute ist es eine eigene visuelle Dimension, und in aktuellen Autorenfilmen wie »Atlantic« oder »Still the Water« spielt es die Hauptrolle. Manfred Riepe nähert sich einem uferlosen Thema
Alles fließt. Das gilt auch für das Kino, das in vielfältiger Weise vom Wasser durch- und überflutet wird. Als glitzerndes Meer, reißender Fluss, als Bach, See oder sogar Sumpf, aus dem dann die Ungeheuer kriechen können. Ob buchstäblich oder als Symbol: Ohne Wasser trocknet der Film aus. »Wasser!«, fleht der Verdurstende in der Wüste. Und wer nicht flüssig ist, überfällt eine Bank.
Der Mensch besteht etwa zu etwa 70 Prozent aus Wasser. Schwer zu sagen, zu wieviel Prozent das Kino ein flüssiges Medium ist. Es gibt viele überflüssige Filme, und manche: die Melodramen, sind schon per Definition nah am Wasser gebaut. »Wenn die Gondeln Trauer tragen« und der »Tod in Venedig« wartet, dann ist Wasser das untergründige, verbindende Motiv.
Der offensichtlichste Aspekt, unter dem Kino das flüssige Element thematisiert, zeigt sich in unterschiedlichen Genres – es geht um die Natur und ihre Geheimnisse, um das, was sich im Wasser tummelt. Im Abenteuerfilm von »Moby Dick« bis »Free Willy«, im Animationsfilm (»Findet Nemo«), besonders aber in Dokumentationen wie »Unsere Ozeane«. Auf diesem hypnotischen Tiefseetrip ertappt sich der Betrachter immer wieder dabei, wie er bizarre, nie gesehene Wesen aus unerreichbaren Sphären mit bekannten Mustern zu assoziieren versucht: Ähnelt diese fluoreszierende Qualle nicht einem abstrakten Gemälde von Kandinsky? Stammt jener teigförmig geknetete Tiefseefisch nicht aus dem Formenarsenal von Salvador Dalí? Und wie nur funktioniert die magische Synchronizität gigantischer Heringsschwärme, die sich wie ein einziger Körper bewegen, der in unzählige Fragmente zersplittert ist?
Zu viel Wasser!
Bedrohlich präsent ist Wasser in Katastrophenfilmen. Tropfen auf der Kameralinse vergegenwärtigen, dass das Unheil beklemmend nah ist. »Deep Impact « spielt mit der Vision eines durch einen Asteroideneinschlag ausgelösten, die Erde überflutenden Tsunamis. Drei Jahre vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zeigt Mimi Leders apokalyptische Kinovision, wie die Doppeltürme des Word Trade Center von der gigantischen Flutwelle wie Salzstangen umgeknickt werden.
Diese mythologische Fantasie einer Sintflut beschwört auch Roland Emmerich. In »2012« schildert der Desasterspezialist, wie die zahlungskräftige Elite der Menschheit sich in gigantische Archen zu retten versucht, während der Rest der Welt untergeht. Die biblische Dimension dieser Katastrophenfantasie erinnert an einen der gößten Wassermomente des Kinos: die Teilung des Roten Meeres, mit der Moses in Cecil B. DeMilles »Die Zehn Gebote« von 1956 sein Volk vor den ägyptischen Streitmächten rettet. Eine Szene, die seinerzeit zu den Höhepunkten der Tricktechnik zählte.
Sinnlich präsent ist das Wasser in Wolfgang Petersens »Das Boot«, wo die Fluten ins leckgeschlagene Tauchboot eindringen. Wer schon mal eine Waschmaschine selbst angeschlossen hat und den Druckschlauch nicht gleich abdichten konnte, hat eine Ahnung von der Beharrlichkeit des Wassers. Man legt im eigenen Badezimmer gefühlte »20.000 Meilen unter dem Meer« zurück. Und man kann sich denken, was Piraten – die in ihrem Genre auch sehr viel mit Wasser zu tun haben – durchleben, wenn sie auf ihren Schiffen die Meere durchqueren, aber häufig gar nicht schwimmen können.
Das Wasser ist unberechenbar. Nicht nur in den Geschichten selbst, sondern auch wenn es um die Produktion geht. Früher hat man das Wasser in Studiotanks gebändigt; inzwischen aber muss es echt sein – und oft spielt die Natur einfach nicht mit. So wurde Kevin Costners »Waterworld«, ein Versuch, »Mad Max« auf dem Meer zu verfilmen, einer der kostspieligsten Schläge ins Wasser, die die Filmgeschichte kennt.
Natürlich kennt das Kino auch jede Menge Meeresungeheuer: Vor dem Weißen Hai, vor Piranhas, Wasserschlangen, Riesenkraken und Nessi muss man sich eigentlich nur fürchten, wenn man sich ins Wasser begibt. Das mag nicht jedes Ungeheuer: wenn man in sein Reich eindringt. Einen ganz eigentümlichen Reiz entfaltet deshalb Ang Lees »Life of Pi«. Nach einem Schiffbruch muss ein Junge das Rettungsboot mit einer wasserscheuen Raubkatze teilen. Ein surreales Kinobild. Die sich auf engstem Raum belauernden Spezies schließen erst dann eine Art von Freundschaft, als fliegende Fische beiden eine unerwartete Mahlzeit bescheren. Diese filmische Begegnung der maritimen Art erinnert an die berühmte Einstellung in Fellinis »Schiff der Träume«, in der ein Mann mit einem Nashorn im Ruderboot sitzt.
Während es in Abenteuer- und Katastrophenfilmen meist zu viel Wasser gibt, thematisieren andere Genres seine Verknappung als Ressource. Man denke nur an Jack Nicholson. In »Chinatown« wird ihm die Nase aufgeschnitten, weil er einem Schurken auf die Schliche kommt, der ganze Ländereien künstlich austrocknet, um sie zum Spottpreis aufkaufen zu können. Am knappsten ist das Wasser wohl in Sci-Fi-Abenteuern, auch im neuen »Mad Max«. David Bowie soll in Nicolas Roegs »Der Mann, der vom Himmel fiel« das auf seinem Heimatplaneten fehlende Wasser auf der Erde besorgen. Vielleicht kommt er ja von David Lynchs Wüstenplanet, wo die Protagonisten spezielle Schutzanzüge tragen, die in einer komplett ausgetrockneten Welt ausgeschiedene Körperflüssigkeit komplett recyclen.
Es brodelt & zischt
And now for something completely different: Wer seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat, der schmilzt dahin. Zuweilen sogar buchstäblich wie Audrey Tautou in »Die fabelhafte Welt der Amélie«, die sich nicht traut, ihre große Liebe anzusprechen. Um ihr Gefühl sichtbar zu machen, zeigt der Film, wie sie von einer Sekunde zur anderen zerfließt. Wie ein humanoider Schluck Wasser. Zerfließen als wörtlich genommene Metapher. Diese Rückkehr zur Formlosigkeit erinnert an die zersetzende Kraft des Elements. Eindringlich zeigt sich dies in Robert Gardners Ethnodokumentation »Forrest of Bliss« über die Bestattungsriten am Ganges. Der Fluss ist eine brackige Brühe. Doch der unglaublich intensive Film vermittelt ein Gefühl davon, warum Gläubige ihn trotzdem als Quelle göttlicher Inspiration preisen.
Eine ganz eigene Bedeutung hat das Wasser für Surfer. Wie Bjoern Richie Lobs virtuose Doku »Keep Surfing« zeigt, kann man sogar auf einer stehenden Welle im Münchner Eisbach dahingleiten. Die furiose Mischung aus Surfer-Interviews und erfrischenden Bildern rückt den Englischen Garten ganz dicht an die kalifornische Brandung. Die zweite Hälfte des klassischen australischen Surffilms »Crystal Voyager« von 1973 macht das Wellenreiten – unterlegt mit »Echoes«, dem besten Stück von Pink Floyd – zu einem psychedelischen Trip durch Wasser und Wellen. Für die Generation Smartphone, in der heute jeder mit einer GoPro für 100 Euro solche Bilder schießen kann, dürfte diese Wellenakrobatik eher langweilig sein. Damals jedoch waren die Aufnahmen eine Sensation. Aus der Perspektive einer auf dem Rücken des Surfers befestigen Körperkamera schwebt der Zuschauer durch endlose Pipes wie durch den Geburtskanal. Oben und Unten, Zeit und Raum verschmelzen. Der – gerne bekiffte – Betrachter im Programmkino verwandelte sich zurück in einen Wassertropfen, der dem atemberaubenden Spiel der Wellen und der Gischt ausgeliefert ist (die DVD ist ein gutes Geschenk zum 50. Geburtstag).
Die Kehrseite dieses Trips nimmt Katherine Bigelow in ihrem Meisterwerk »Gefährliche Brandung« in den Blick: Hier ist Fun tatsächlich ein Stahlbad. Bitte alles jetzt! Surfen ist Ausdruck eines ungebremsten Lebensgefühls. Jeglichen Triebverzicht, also das, was den Menschen zum Kulturwesen macht, lehnen die obsessiven Bankräuber-Surfer, hinter denen Keanu Reeves als Cop undercover her ist, ab. Das Surfen auf der großen Welle des Lebens symbolisiert die Suche nach dem »ozeanischen Gefühl«, das sich jedoch als fatale Fantasievorstellung entpuppt. Die perfekte Welle, die Patrick Swayze am Ende nimmt, verbildlicht den Todestrieb in Reinform. Im Remake, das Anfang nächsten Jahres bei uns ins Kino kommen soll, scheint dieser komplexe Zusammenhang nicht mehr die zentrale Rolle zu spielen – jedenfalls wird der Film nicht mehr mit der Ansicht einer Welle beworben, sondern mit einer Skydiving-Szene.
Das symbolische Pendant zu den Surfern ist die Fantasie der Meerjungfrau, die ja auch nicht schlecht »surft«. Neil Jordan hat diesen Mythos in »Ondine « reizvoll belebt. Die Nixe, Inbegriff von Weiblichkeit, gepaart mit einem genitalen Neutrum, steht für eine Sexualität, die irgendwie von ganz tief unten kommt. Aus dem Abgrund. In James Camerons »Abyss – Abgrund des Todes« aus dem Jahr 1989 haust eine moderne Version davon – ein eigenartiges, hier eher phallisches Tiefseewesen, das aus Meerwasser besteht und sich quer durch eine Tiefseestation schlängelt. Diese flüssige, vom Computer besorgte Bildhauerei gilt als Meilenstein in der Entwicklung der Spezialeffekte. Und überhaupt scheint es, als wäre Cameron einer der großen Auteurs des feuchten Films – wie sonst nur Peter Greenaway, dessen Frühwerk vom Plätschern englischer Bäche und dem Wirken des Wassers in Venedig erzählt.
Zwei Jahre nach »Abyss«, in »Terminator 2«, entwickelte Cameron das Animationsverfahren weiter. Der Körper des T-1000, einer von nichts und niemand aufzuhaltenden Kampfmaschine aus der Zukunft, besteht aus einem quecksilbrigen Material, einer »mimetischen Polylegierung«, wie Schwarzenegger im Film erläutert. Die Assoziation mit dem Wasser ist dabei wesentlich. Denn in der Geschichte computergenerierter Bildeffekte nimmt die Darstellung des Wassers eine Schlüsselfunktion ein. Passiert der T-1000 in einer Szene widerstandslos die Gitterstäbe eines Gefängnisses, dann demonstriert diese Bilderfindung eine »Flüssigkeit« der Bewegung, wie sie in den »Wackelbildern« des ersten »Terminators«, 1984 noch analog mit Stop-Motion erzeugt, nicht denkbar war. Aus einer Flüssigkeit besteht der Körper dieser Kampfmaschine vor allem deshalb, weil auf diese Weise gezeigt werden konnte, wie seine Gestalt sich in einer anderen Szene fließend aus dem Fußboden herausmorpht. Der Plot des Films ist um die möglichst vorteilhafte Präsentation dieser Effekte herumgebaut.
Switchen wir zur »Titanic«, die Cameron 1997 erneut versenkte. Bevor das Chaos ausbricht und der gigantische Stahlkoloss vom Meer verschluckt wird – eine Szene, die vielen Zuschauern massive Alpträume bereitete –, schauen die noch ahnungslosen Passagiere einmal über die Reling aufs Meer hinaus. Und siehe da: Ausgerechnet in diesem Wasserfilm par excellence sehen die computeranimierten Bilder der sanft dahinperlenden Wellen merkwürdig künstlich aus. Als wäre die Trickabteilung der Augsburger Puppenkiste mit ihrem Zellophanpapier am Werk gewesen. Das seinerzeit eingesetzte Programm RenderWorld der Firma Arete war noch nicht in der Lage, den Algorithmus für die befriedigende Darstellung einer naturidentischen Meeresoberfläche zu erzeugen. Das Problem des »digitalen Wassers« ist erst seit kurzem gelöst; es ist von echtem kaum noch zu unterscheiden.
Ertrinken, versinken
Camerons Bilderfindungen waren dennoch bahnbrechend. In »Abyss« visualisierte der Pionier noch eine andere unheimliche Begegnung der feuchten Art: Das Ertrinken – eine im Kino oft variierte furchtbare Todesart – erfolgt hier freiwillig. Der Film visualisiert die Möglichkeit der flüssigen Beatmung (deren beklemmende Vision man allerdings schon aus der britischen Horror-Sci-Fi-Serie UFO aus den späten Sechzigern kannte).
Kein Zweifel: Unter Wasser atmen ist eine schwierige Sache. Die Fantasie des freiwilligen Ertrinkens hat eine gewisse assoziative Breite. Sie spült uns noch tiefer hinein in den Themenkomplex der Sexualität und seiner Geheimnisse. Davon handelt beispielsweise Luc Bessons »Le grand bleu«. In dieser bildgewaltigen Aquavision wetteifern zwei Männer darum, wer tiefer tauchen kann – ohne Sauerstoffflasche. Kein anderer Film hat das Thema Wasser so variantenreich und ästhetisch anmutig auf die Leinwand gebracht. Wenn Jean Reno und Jean-Marc Barr beim Wettstreit, wer länger die Luft anhalten kann, mit Anzug und Champagnerflasche in den Pool springen, dann schwappt das Wasser von der Leinwand auf den Kinosessel herunter. Das freiwillige Ertrinken, das beim Apnoetauchen durch sukzessive Annäherung an einen Grenzwert zelebriert wird, ist eine Transgression; ausgelotet wird hier der Abgrund, der das Männliche gemäß einer verbreiteten Angstfhantasie beim Geschlechtsakt verschluckt.
Unter Wasser atmen
Ein motivisches Echo dieser »tiefsten Tiefe« ist auch der enigmatische Ozean, die Ursuppe, die ein Wissenschaftler in Tarkowskis meditativer Sci-Fi-Parabel »Solaris« von einer Raumstation aus zu erforschen versucht. Mit dem Ergebnis, dass ihm eine Wiedergängerin seiner Frau erscheint, die vor Jahren Selbstmord verübte. Es handelt sich aber um eine defizitäre Form, eine Parodie von »Frau«, so wie sie in einem männlichen Vorstellungsrahmen erscheint: Das projizierte Wesen kann man nicht zerstören und nicht loswerden. Der Ozean in »Solaris« ist die philosophische Version des alles verschlingenden »Matmos«, einer Art Ursuppe, die wie das Zeug in den Lavalampen aussieht und über der in Roger Vadims »Barbarella« eine futuristische Stadt errichtet wurde. In dieser frivolen Camp-Comic-Fantasy muss Jane Fonda einmal an einer Wasserpfeife ziehen, in deren blubberndem Glaskolben ein gut gebauter Junge planscht. Sie raucht »Männerextrakt«.
Schließlich hat sogar der Weltraum selbst im Sci-Fi-Film eine flüssige Anmutung. Das All wurde von einem Analytiker einmal als Fruchtwasser gedeutet. Wohl aus diesem Grund schwebt am Ende von »2001: Odyssee im Weltraum« ein gigantischer Embryo im interstellaren Raum. Wie die sexuelle Begegnung mit einer Frau in die Fantasie einer intrauterinären Rückkehr mündet, zeigt Jonathan Glazers »Under the Skin« in irritierend schönen Bildern. Die schweigsame Scarlett Johansson verkörpert hier ein verführerisches Alien, das als weibliche Variante eines Serienkillers Männer anlockt, die ihr in Erwartung eines sexuellen Abenteuers in einen finsteren, ortlosen Raum folgen. Statt eines Geschlechtsakts im üblichen Sinn zeigt der Film, wie die Herren, indem sie der Schönen arglos folgen, in einer schwarzen Milch versinken: einem dunklen See, in dem sie atmen können! Zumindest eine Weile, bis ihre Körper, die bald wie gebrauchte Kondome aussehen, zerplatzen.
Dieses Motiv variiert der viel zu früh verstorbene Schriftsteller Wolfgang Herrndorf in seinem Roman »Tschick«, der gegenwärtig verfilmt wird. In der grandiosen Schlussszene, einem Tohuwabohu, springt der Erzähler mit einem Sessel und seiner Mutter, einer schweren Alkoholikerin, in den Pool. »Beim Untertauchen spürte ich, wie meine Mutter nach meiner Hand griff. Zusammen mit dem Sessel sanken wir zum Grund und sahen von da zur schillernden, blinkenden Wasseroberfläche mit den schwimmenden Möbeln oben drauf (…) Und ich freute mich wahnsinnig. Weil, man kann zwar nicht ewig die Luft anhalten. Aber doch ziemlich lange.«
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