Filme als Schmuggelware
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Mit Arbeiten wie »Der Kreis« und »Der Spiegel« war Jafar Panahi sozusagen ein Spätausläufer des iranischen Filmfrühlings. Dann hat das Regime ihm Berufsverbot erteilt. Seitdem dreht der Regisseur unter erschwerten Bedingungen. Aber erfolgreich – Panahis Guerillafilme laufen auf Festivals, in Berlin hat er in diesem Jahr den Goldenen Bären gewonnen. »Taxi Teheran« startet jetzt im Kino.
Die Demagogie kann auch bezaubernd sein; selbst aus der Perspektive ihrer Opfer. Die Repression kann sich ein mitunter vergnügtes Gesicht aufsetzen; zumal wenn es das eines Kindes ist. Die kleine Hana ist eine ausgefuchste Tyrannin. Sie weiß genau, was ihr das Leben schuldig ist. Eine elegante, kultivierte Dame wie sie lädt man gefälligst zu einem Frappucino oder einem Eis ein, belehrt sie ihren Onkel. Und wie das Kino zu sein hat, weiß sie erst recht.
Im Unterricht hat sie aufmerksam zugehört, als ihnen die Lehrerin erklärte, was einen zeigbaren Film ausmacht. Die Realität dürfe er schon zeigen, aber Schwarzmalerei solle er nicht betreiben. Wenn sie unsicher seien, gab die Lehrerin ihrer Klasse auf, sollten sie sich selbst zensieren. Die Indoktrination funktionierte prächtig. Ihr Onkel hört ihr amüsiert zu. Als iranischer Filmemacher kennt er die Regeln und Tabus genau, die ihm seine Nichte unterbreitet. Im Augenblick allerdings ist er in die Rolle eines Taxifahrers geschlüpft. Als solcher kann er sich seine Passagiere eigentlich nicht aussuchen. Dieser Chauffeur nimmt sich das Privileg jedoch heraus. Sein Gefährt dient Jafar Panahi als Mikrokosmos der iranischen Gesellschaft. Schon vorher verstand der Regisseur sich darauf, deren Strömungen auf kleinstem Raum zu bündeln.
Er beansprucht, voll ironischen Stolzes, den Fahrersitz für sich. Von ihm aus kann der 1960 in Mianeh geborene Panahi, wie er es aus seinem wirklichen Beruf gewohnt ist, die Richtung vorgeben. Seine Biografie ist nach seiner Verhaftung 2010 – mit den Kollegen Mohammad Rasoulof und Mehdi Pourmoussa – nicht zusammengebrochen: Die Koordinaten seines Lebens sind verrückt, aber nicht zerstört. Das Regime mochte anfangs glauben, ihm endgültig das Wort entzogen zu haben. Es legt ihm »Verbrechen gegen die nationale Sicherheit« und »Propaganda gegen den islamischen Staat« zur Last. Aber auch nach seiner Verurteilung – Berufsverbot für erst 30, dann 20 Jahre – bleibt das Filmemachen der Fluchtpunkt seiner Existenz.
Durch die angedrohte Haftstrafe von erst sechs, dann fünf Jahren mag das Feld seiner Möglichkeiten unermesslich eng geworden sein, aber Jafar Panahi verschiebt dessen Grenzen stetig. Die Frequenz, mit der er Filme dreht, hat sich erhöht. Seit »Dies ist kein Film« (This Is Not a Film) in Gestalt eines in einer Geburtstagstorte versteckten USB-Sticks 2011 in Cannes eingereicht wurde, dreht er alle zwei Jahre; davor betrug der Abstand drei Jahre. Den Hausarrest tariert er mit jedem Film neu aus. Am Ende von »Dies ist kein Film« folgt er dem Hausmeister mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage seines Hauses und wagt sich schließlich bis in den Hof des Anwesens hervor. »Pardé« (Closed Curtain) ist in Panahis Ferienhaus an der Küste entstanden. In »Taxi Teheran« nimmt er nun die Straßen seiner Heimatstadt in Besitz.
Momentan kann sich Jafar Panahi offenbar relativ frei bewegen. Die Schnippchen, die er dabei dem Regime schlägt, täuschen fast darüber hinweg, wie unerträglich diese Situation ist. Er gibt sich den Anschein, sie mit freundlichem Fatalismus zu parieren, wirkt heiter und lebenszugewandt in seinen mit Guerillamethoden gedrehten Filmen. Gern setzt der Regisseur die eigene Person im Bezug zum Alltäglichen in Szene. In »Dies ist kein Film« leistet ihm ein fideler Leguan namens Igi Gesellschaft. Zu seinen Mitbürgern hält er in den neuen Filmen höflichen Abstand; nicht aus Dünkel, sondern weil es seinem Wesen entspricht. Gegen Ironie ist er dabei nicht gefeit: Ausgerechnet den unsympathischen, bigotten, regimetreuen Fahrgästen nimmt er in »Taxi Teheran« kein Geld ab.
Das Berufsverbot hat Panahi gezwungen, zu einem Narziss zu werden. Er muss sich selbst zum Thema machen. Dabei hat er gewissermaßen ein eigenes Genre erfunden, das filmische Selfie. Das eigene Antlitz ist zum Gegenüber seiner Kamera geworden. In »Dies ist kein Film« zögert Panahi, das Kinotabu der Zuschaueradressierung zu brechen. Statt an das Publikum wendet er sich doch lieber der Kamera zu. Trotz aller Strenge und Reflexion geht so etwas nicht ohne Eitelkeit vonstatten. In »Taxi Teheran« nimmt er ständig Bezug auf seine früheren Filme; obwohl etliche von ihnen, darunter »Blutrotes Gold« und »Der Kreis«, im Iran offiziell verboten sind. Der umtriebige DVD-Verleiher Omide, der sein Taxi betritt und lange Zeit nicht verlässt, führt vor, wie groß der Markt für Filmpiraterie dort ist.
Die in der Folge des Berufsverbots entstandenen Filme sind doppeldeutig: einerseits real, konkret und selbstbewusst, andererseits gleichsam im Konjunktiv gedreht. In »Dies ist kein Film« versucht er, in seiner Wohnung ein vereiteltes Projekt zu visualisieren. In »Taxi Teheran« skizzieren die vorwitzige Nichte und ein ehemaliger Nachbar mögliche Stoffe für Panahi-Filme. Das ist vielleicht das Erstaunlichste an dieser Zensurgeschichte: Panahi gelingt es selbst unter dem Vorzeichen eines Berufsverbots, an sein vorheriges Werk anzuschließen und seine künstlerische Zukunft vorauszuahnen.
Sein Werk ist dicht verwoben. Es folgt, über alle Brüche hinweg, einer inneren Logik. Es besitzt eigene Markenzeichen. Schon seine Vorspänne sind wiedererkennbar: Weiße Titel erscheinen auf schwarzem Hintergrund, während aus dem Off Geräusche aus der folgenden oder einer viel späteren Szene ertönen. Seine Filme eröffnet er mit einer fixen Einstellung, von der er meist erst nach Minuten fortschneidet und die so eine inszenatorische Spannung aufbaut. Manchmal fungiert die erste Einstellung als Klammer, wie etwa beim Überfall auf das Juweliergeschäft in »Blutrotes Gold«, die der Film am Ende wieder schließt. In »Der Kreis« greift die Montage das erste Bild – den Blick auf eine weiße Tür mit Sichtluke, hinter der sich eine Entbindungsstation befindet – unter umgekehrten Vorzeichen wieder auf, als eine der Hauptfiguren durch das Sichtfenster einer Gefängniszelle schaut. Der Titel des Films verweist auf dessen dramaturgische Bewegung, wie auch »Der Spiegel« die eigene Erzählstruktur benennt, in der eine verblüffende Wendung in der Mitte des Films den Blick auf das bis dahin Erzählte umkehrt.
Ästhetisch folgt Panahis Kino zunächst den Grundzügen des jungen iranischen Kinos, gehorcht dem Gebot der Einfachheit. Seine ersten Filme machen sich die Perspektive von Kindern zu eigen; die weiteren, wesentlichen Grundlagen dieser Kinematographie, die Natur und die persische Poesie, spielen bei ihm hingegen eine untergeordnete Rolle. Panahi übernimmt wie seine Kollegen das Mandat einer filmischen Zeugenschaft, den Wunsch, in einem System der Repression das Augenmerk auf den Alltag zu lenken. Stets begreift er die Realität als Auslöser des Erzählens. Es speist sich aus Zeitungsmeldungen und eigenen Beobachtungen. Dass nun die eigene Lebenswirklichkeit Panahis Grundbedingung und Thema seines Kinos ist, scheint konsequent.
Seine Fabeln sind gleichermaßen spezifisch und universell, konkret und allegorisch. Das verleiht ihnen Deutungsoffenheit. Wie nahe seine Filme der Wirklichkeit kommen, belegt eine Episode in »Taxi Teheran«: In ihr ist von einer jungen Frau die Rede, die vor Gericht steht, weil sie sich in Männerkleidung unerlaubt Zutritt zu einem Fußballstadion verschaffte – gerade so, wie es die findigen Mädchen in Panahis »Offside« taten. Dem Eindruck der Wirklichkeitsnähe spielt bei ihm häufig die Entsprechung von filmischer und realer Zeit zu. Die Handlung seines Regiedebüts »Der weiße Ballon« spielt in den anderthalb Stunden, die bis zum iranischen Neujahrsfest verstreichen, in »Der Spiegel« gibt die Radioübertragung eines Fußballspiels den zeitlichen Rahmen der Erzählung vor, »Offside« folgt ebenfalls dem Verlauf eines Matches. Auch in »Taxi Teheran« unterbrechen gelegentliche Ellipsen den Erzählfluss nur unerheblich.
Mit dem Gegensatz zwischen Klaustrophobie und Freizügigkeit, der seine klandestin entstandenen Filme definiert, hat Panahis Kino sich von Anfang an beschäftigt. Es beschreibt Suchbewegungen im urbanen Raum. In »Der weiße Ballon« und »Der Spiegel« laufen jeweils zwei kleine Mädchen Gefahr, in der Stadt verloren zu gehen. »Blutrotes Gold« und »Der Kreis« erzählen Tragödien des Unbehaustseins. Im Zentrum des ersten Films steht ein an Platzangst leidender Pizzabote (die einzige Figur, die in Panahis Filmen vor »Dies ist kein Film« einmal in ihrem Zuhause zu sehen ist), dessen Beruf ihn in gesellschaftliche Sphären führt, zu denen er normalerweise keinen Zutritt hätte. Seine Fahrten auf dem Motorroller geben ein präzises Abbild der Topographie Teherans ab, die sich in den bürgerlichen Norden und den ärmeren Süden teilt, durch den die großen Verkehrsadern verlaufen. »Der Kreis« begleitet mehrere gerade aus dem Gefängnis entlassene Frauen auf ihren Flucht- und Irrwegen durch die Stadt.
Als Panahi seinen ersten Langfilm inszenierte, dauerte das große Abenteuer des neuen iranischen Kinos schon mehr als ein Jahrzehnt an. Zuvor hatte er Abbas Kiarostami assistiert, der später einige Drehbücher für ihn schrieb. Panahis Debüt »Der weiße Ballon« rief 1995 noch nicht die Zensur auf den Plan; Filmemacher werden nicht als Dissidenten geboren. Die Fabel eines kleinen Mädchens, das sich zur Neujahrsfeier unbedingt einen Goldfisch wünscht, ist Grundlage eines überaus freundlichen Films. Die Welt öffnet sich der kleinen Heldin, wenn auch in Grenzen. Sie läuft ständig Gefahr, übervorteilt zu werden. Das Geld ihrer Mutter fällt in einen Kellerschacht und scheint unwiederbringlich verloren. Letztlich wendet eine Verschwörung der Hilfsbereitschaft alles zum Guten.
Dieses optimistische Menschenbild zeigte in den folgenden Filmen bald Risse. In »Der Spiegel« bereits ist die Hilfsbereitschaft zerstreuter, unzuverlässiger. Die kleine Heldin dieses Films begehrt auf: Sie will nicht mehr schauspielern, legt ihr Kostüm und ihre Rolle ab. Dabei eröffnet der Filmemacher nicht nur eine Ebene der Selbstreflexion. Er filmt ein kühnes Experiment der Selbstbestimmung. Im Straßenverkehr, durch den sich die unverzagte Heldin ihren Weg bahnt, werden repressive Strukturen kenntlich, eine Bevormundung durch dirigistische Lautsprecherdurchsagen. Panahis Kino wurde fortan achtsamer für die alltäglichen Beschränkungen der Freiheit. Gitter sind in seinen Filmen allgegenwärtig.
Scheinbar beiläufig stellt er in »Blutrotes Gold« die Willkür von Polizei und Militär dar. »Der Kreis« schließlich wird zur schärfsten Anklage des nach der Revolution wiederhergestellten Patriarchats. Die entlassenen Frauen sind vogelfrei, bewegen sich ohne Rechte, sind umzingelt von lauter Verboten: Alleinreisenden Frauen dürfen keine Fahrkarten ausgestellt werden, sie dürfen auf der Straße nicht rauchen, Abtreibungen dürfen nur mir Zustimmung der Schwiegerväter vorgenommen werden. Die Solidarität, die noch in der Haft zwischen ihnen herrschte, ist in der Freiheit unmöglich geworden. Bereits die Eröffnungssequenz führt vor Augen, welches Unglück es ist, als Frau in diese Gesellschaft hineingeboren zu werden: Eine Großmutter beklagt in einer Entbindungsstation, dass ihre Tochter mit einem Mädchen niederkam, weil dies ein Scheidungsgrund für die Familie des Kindsvaters sein könnte.
»Der Kreis« ist Panahis pessimistischster Film. Darin schert er aus seinem Werk aus, das im Kern davon handelt, was man den Verhältnissen abtrotzen kann. Die Charaktere dieses Regisseurs befinden sich stets in einer bezeichnenden Klemme. Sie werden, angefangen beim unverzagten Mädchen in »Der weiße Ballon«, mit Widrigkeiten und Hindernissen konfrontiert, die erfindungsreich überwunden werden müssen. Der von der Polizei festgehaltene Pizzabote verteilt kurzerhand seine Lieferung an Leidensgenossen und Bewacher. Kreativität ist für Panahi nicht nur eine künstlerische Kategorie, sondern ein existenzielles Erfordernis.
Seine Figuren sind Lebensbastler, die sich anpassen müssen und die der Eingabe des Augenblicks folgen, um Situationen zu meistern. Das schließt ihn selbst ein. In »Der Spiegel« müssen er und sein Filmteam sich blitzschnell darauf einstellen, dass die Hauptdarstellerin aussteigt. Der Film überantwortet sich bereitwillig einer neuen Realität. In »Dies ist kein Film« weist Panahi darauf hin, wie sehr seine Filme von der Unberechenbarkeit der Darsteller oder von den Drehorten geprägt werden. In diesem Film muss die eigene Wohnung als Stellvertreter für ihn unerreichbarer Schauplätze dienen. Der Hausarrest wird zum Brennglas, unter dem sich die gesellschaftlichen Verhältnisse bündeln. Er trotzt ihnen mehr ab, als sie zu geben bereit wären. Die Haftandrohung und das Berufsverbot verwandelt er in »Pardé« und »Taxi Teheran« in ein Privileg: Über welchen anderen Regisseur lässt sich sagen, dass er so viel vom Einfallsreichtum seiner Charaktere gelernt hat?
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