Kritik zu Dahomey
Mati Diop findet Bilder für den abstrakten Begriff der Restitution und sprengt neben der dokumentarischen Form auch gleich eurozentrische Sichtweisen
Die Kolonialmächte raubten bei ihrer brutalen Eroberung des afrikanischen Kontinents nicht nur Menschen und Rohstoffe, sondern auch unzählige Kulturgüter, die seit Ende des 19. Jahrhunderts in französischen, belgischen, britischen und deutschen Museen lagern und ausgestellt sind. Seit den Dekolonisationsprozessen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts forderten und fordern viele unabhängige afrikanische Staaten die Rückgabe der geraubten Schätze.
So weit der grobe historische Kontext, aber wie sieht Restitution aus? Diese Frage bildete den Ausgangspunkt für Mati Diops zweiten Langfilm Dahomey. Als das französische Parlament im Dezember 2020 als Folge des von Präsident Emmanuel Macron beauftragten »Berichts über die Restitution afrikanischer Kulturgüter« die Rückgabe von 26 Objekten an das heutige Benin beschloss, begann Diop über eine Form nachzudenken, von dieser Restitution zu erzählen. Herausgekommen ist ein formal ungewöhnlicher, fordernder und eurozentrische Sehgewohnheiten herausfordernder Dokumentarfilm, für den Diop bei der Berlinale 2024 mit dem Goldenen Bären gewürdigt wurde.
»Dahomey«, benannt nach einem westafrikanischen Königreich, dessen Territorium sich zwischen 1600 und Ende des 19. Jahrhunderts im Süden der heutigen Republik Benin befand, gliedert sich in drei Teile: Im ersten Teil begleitet Diop den Abbau der 26 Artefakte im Musée du Quai Branly von Paris für den Transport nach Cotonou. Der zweite Teil zeigt eine Debatte von Studierenden zum Thema, im dritten Teil werden die Statuen und weitere Objekte erstmals in einem Museum in Benin ausgestellt.
Diop, die für ihr Spielfilmdebüt »Atlantique« 2019 die Goldene Palme in Cannes erhielt und sich damit für einen visuell und narrativ lyrischen Stil empfahl, vermengt in »Dahomey« Dokumentarisches mit fantastischen Elementen. Lange, statische Einstellungen halten die Verpackung der Statuen von König Glélé, König Behanzin und König Ghézo – Monarchen des damaligen Königreichs – fest. Die Objekte aus Holz und Metall werden behutsam begutachtet, langsam und vorsichtig in Transportkisten gelegt und verpackt. Erklärungen gibt es keine, die Handlungen wirken sowohl technisch als auch zeremoniell und erinnern an ein Bestattungsritual, wissenschaftlich und andächtig zugleich. Die Szenen freudig tanzender Menschen, die in den Straßen Cotonous die historische Fracht wie heimkehrende Freunde empfangen, bilden einen Kontrast dazu. Die anschließende Debatte von Studierenden der Université d'Abomey-Calavi wirft politische, wissenschaftliche und spirituelle Fragen der Restitution auf. Was dokumentarisch wirkt und während des Drehs auch über das Campusradio öffentlich verbreitet wurde, ist allerdings das Ergebnis eines langen Castingprozesses. In ausführlichen Interviews mit Studierenden verschiedener Fachrichtungen stellte Diop zuvor sicher, dass möglichst viele unterschiedliche Positionen in diesem intellektuellen Schlagabtausch vertreten sein würden.
Unterbrochen wird das filmische Triptychon, das mit Eindrücken von Gästen der ersten Ausstellung der Artefakte in Afrika endet, von insgesamt fünf langen Schwarzblenden. Vor deren Hintergrund erzählt Artefakt Nummer 26 in poetischen Passagen in der Sprache Fon vom eigenen Innenleben, den Erinnerungen an den Raub, der schier endlosen Zeit in französischen Museumskellern oder den Gefühlen, die mit der Rückkehr in die Heimat verbunden sind. Die Texte stammen von dem haitianischen Autor Makenzy Orcel. Vertont wurden die Monologe durch die Mischung verschiedener Stimmen, die einen bewusst antifolkloristischen, eher futuristischen Sound generieren. Diop sprengt hier die dokumentarische Form und verschafft so der spirituellen Bedeutung der Artefakte einen Resonanzraum. Die Schwarzblenden – Bilder ohne visuellen Inhalt – entsprechen der Abwesenheit und Leere, die die kolonialen Raubzüge bei den Menschen in Benin und andernorts hinterlassen haben müssen. Sie und Dahomey insgesamt machen deutlich: Es geht nicht nur um den materiellen Verlust, sondern um den Diebstahl von Geschichte, Identität und kulturellem Erbe, der bis heute schmerzt.
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