Cineastische Spielereien
© Peter Aaron
Das 1988 eröffnete Museum of the Moving Image ist das einzige Museum in den USA, das sich der Kunst, Geschichte und Technologie des Films widmet. Es entstand auf dem Gelände der ehemaligen New Yorker Paramount Studios
29.10.2013
Das Museum of the Moving Image in New York liegt weit außerhalb der Museumsmeile in Manhattan. Wer dort hinwill, muss die U-Bahn nach Queens/Long Island nehmen und landet in einer Multikultigegend voll kleiner Mietshäuser, billiger Supermärkte und Imbisse. Nichts deutet in der Umgegend der Subway-Station darauf hin, dass sich in der Nähe einmal die in den zwanziger Jahren gegründeten New Yorker Filmstudios der Paramount befanden. Heute erhebt sich das Museum of the Moving Image fast wie ein Fremdkörper in seinem Umfeld, mit einer makellos weißen, modernen Fassade, in einem Neubau des wagemutigen New Yorker Architekten Thomas Leeser.
Beim Betreten warten noch mehr Überraschungen: Das Gebäude, dessen Fassade sich in vollendet symmetrische Elemente gliedert, öffnet sich hin zu Innenräumen voll Schrägen, stürzender Linien und unerwarteter Raumaufteilungen – wie eine moderne Variation auf das Set des expressionistischen Caligari-Films: Die Bewegung, die der Name des Museum of the Moving Image beschwört, wurde hier ganz wörtlich genommen und auf die – schon für sich sehenswerte – Architektur übertragen. Ein strahlend weißer Innenhof mit weißem Kunstrasen – und weißen Stühlen, natürlich – lädt zum Verweilen und Pausieren ein und wirkt dabei wie die Kulisse aus einem Science-Fiction-Film.
© Peter Aaron
Das Museum ist eines von dreizehn Gebäuden der heute sogenannten Kaufman Astoria Studios. Schräg gegenüber befindet sich die von Jazzsänger und Entertainer Tony Bennett gegründete, ebenfalls nagelneue Frank Sinatra School of the Arts, die auch auf dem Campus der Kaufman Astoria Studios entstand: Beide Institutionen trugen dazu bei, einem in den siebziger Jahren heruntergewirtschafteten Stadtviertel mit langjähriger Verbindung zum amerikanischen Showbusiness neue Impulse zu geben und die Erinnerung an seine historischen Wurzeln wachzurufen. Die reichten tief.
Die Film-Gesellschaft Famous Players-Lasky, nach 1927 unter dem Namen Paramount geläufig, baute die Studios im Jahr 1920 als Filmproduktionsstätte an der amerikanischen Ostküste. Der legendäre Paramount-Chef Adolph Zukor eröffnete die Studios, die zum Mekka der Stummfilmzeit werden sollten. Später erlebten die Studios die Tonfilmdebüts von Claudette Colbert, Edward G. Robinson und Talullah Bankhead. Hunderte von Stumm- und frühen Tonfilmen entstanden dort. Der Geist der zwanziger und dreißiger Jahre, aus dem Filmmuseum gänzlich verschwunden, lebt fort in der Kellerbar »The Astor Room«, die sich neben dem Gebäude befindet und die ehemalige Kantine der Studios beherbergte: Dort aßen und tranken Rudolph Valentino, Gloria Swanson, die Marx Brothers, Lillian Gish und W.C. Fields. Heute erinnern kompetent gemixte Cocktails wie »Mary Pickford« und »Clara Bow« an die illustren Gäste.
Von 1942 an gestaltete sich die Geschichte der Studios wechselhaft. Sie wurden von der US-Armee übernommen, die dort während des Zweiten Weltkriegs Trainingsfilme für Soldaten produzierte und sie in »Signal Corps Photographic Center« umbenannte. 1970 verließ die Armee das Gebäude, das nicht nur verfiel, sondern auch wiederholt schwerem Vandalismus in einer immer krimineller werdenden Umgebung zum Opfer fiel. Gegen Ende der siebziger Jahre wurden die Gebäude wiederbelebt und dank der Anstrengung eines Gremiums aus Politikern und Filmschaffenden noch einmal als Filmstudio genutzt. Sidney Lumet verfilmte in den notdürftig renovierten Räumen 1978 sein 30 Millionen Dollar teures Musical The Wiz. Der Vorgang, gezielt von Lumet zur Unterstützung der historischen Stätte eingesetzt, gab der geplanten Sicherung der Studios noch einmal neuen Schwung. Im gleichen Jahr wurden sie ins National Register of Historic Places aufgenommen, der offiziellen Kulturdenkmalliste der Regierung der Vereinigten Staaten. Obwohl die Listung hauptsächlich symbolische Bedeutung hat, kann eine finanzielle Unterstützung des Eigentümers mit ihr verbunden sein.
Doch Ende der siebziger Jahre zeigte sich auch, dass das Vorhaben einer kompletten Wiederinstandsetzung des Geländes für Film- und Fernsehproduktionen die finanziellen Möglichkeiten der Investoren überstieg. 1980 übernahm George Kaufman als Bauträger die Renovierung, Erweiterung und Revitalisierung des stolz so genannten »nationalen Wahrzeichens«. Heute sind die Kaufman Astoria Studios wieder funktionstüchtig und sahen die Entstehung von Filmen wie Eat, Pray Love, Men in Black 3, The Age of Innocence und Carlito’s Way oder Serien wie der »Sesamstraße«.
Das Filmmuseum als eines der dreizehn Studiogebäude wurde zur Verwendung für kulturelle Zwecke freigestellt und konnte 1988 unter der Leitung von Rochelle Slovin eröffnet werden. Heute ist es ein vitaler, vielbesuchter Ort und bildet gemeinsam mit den Astoria Kaufman Studios einen »kulturellen Knotenpunkt«, wie es auf seiner Website behauptet – und wie man es auch tatsächlich erleben kann. Vom 26. Oktober 2013 bis zum 9. Februar 2014 kommenden Jahres erinnert übrigens die Einzelausstellung »Lights, Camera, Astoria!« an die Geschichte der Studios.
© Brian Palmer
Das Museum schaut nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Gegenwart und Zukunft. Bis Ende Oktober lief eine kleine Ausstellung zur TV-Serie »Breaking Bad«. Hochaktuell ist auch die Schau unter dem Titel »Cut Up«: Sie zeigt, wie das Internet jeden von uns zum Hersteller von Neuversionen von bekanntem Filmmaterial machen kann: Beispiele politischer Parodie, neu edierte Filmtrailer (Recut Trailers), die Unterlegung von Dialogszenen mit Musikstücken (Songification), Mash-ups von Musikvideos sowie Recompositing (etwa von Taxi Driver mit Walt-Disney-Elementen) und andere Formen des Re-Editing verfügbarer Film- oder Dokumentarszenen, die etwas Neuem als Rohmaterial dienen, wurden hier vorgeführt. Und mit der Fotoausstellung »The Booth. The Last Days of Filmprojection«, die seit Oktober läuft, nimmt das Museum Abschied von der Kunst der Filmvorführung, wie wir sie bisher kannten.
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