Die Sonntagshaut
Kostümbildner klagen oft darüber, dass sie Anerkennung und Preise hauptsächlich für Historienfilme erhalten. Die Vertreter dieses Berufsstandes wissen, dass jeder Spielfilm ein Kostümfilm ist. Sie müssen allerdings auch damit leben, dass die Wahrnehmung ihrer Kunst besonders anfällig ist für Sichtverengungen und Trugschlüsse.
In Historienfilmen ist ihre Arbeit schlicht augenfälliger. Nicht von Ungefähr nennt man das gern Ausstattungskino. Pracht darf sich ungenierter entfalten, wenn der Glanz ferner Epochen beschworen wird. Zu diesem Nimbus trägt gewiss auch bei, dass man Kostümbildnern hierbei eine gründlichere Recherche unterstellt, als sie eine Geschichte aus der Gegenwart vorgeblich verlangt. Außenstehende können sich schwer vorstellen, dass in sie die gleiche Kunstfertigkeit gesteckt werden muss. Aus dem Stand würde ich mal behaupten, dass Piero Tosi sich ebenso viel Mühe für Viscontis Neorealismus-Ausläufer »Rocco und seine Brüder« wie für dessen »Der Leopard« gegeben hat. In der landläufigen Wahrnehmung jedoch haben sich noch Spurenelemente einer feudalen oder doch mindestens aristokratischen Weltanschauung erhalten. Sie hat sich nicht wesentlich weiter entwickelt seit dem 19. Jahrhundert, als die Historienmalerei in der Hierarchie der Kunstgeschichte den obersten Rang einnahm.
In diese Falle ist auch die Berlinale getappt, die Milena Canonero in diesem Jahr eine Hommage ausrichtet. In der Filmauswahl überwiegen die historischen Stoffe. Nur zwei in der Gegenwart angesiedelte Filme hält das Programm bereit: »The Shining« von Stanley Kubrick (einem Regisseur, der freilich bereits mit »Dr Seltsam« aufgehört hat, ein Zeitgenosse seines Publikums zu sein) sowie »Der Pate III«, wo es eine prachtvolle Opern-Sequenz gibt, die eine kleine Schneise zu einem weiteren, reizvollen Arbeitsfeld der in Turin geborenen Designerin schlägt. Was hätte dagegen gesprochen, beispielsweise »Weiblich, ledig, jung sucht...« zu zeigen, bei dem Canonero zusätzlich für das Szenenbild verantwortlich zeichnete? Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, ist das eine ihrer wenigen Arbeiten, in denen auch mal Jeans und T-Shirts getragen werden.
Stattdessen laufen ihre vier Oscar-Gewinner, darunter »Barry Lyndon« und »Jenseits von Afrika«. Allerdings muss man festhalten, dass es hier nicht die Falsche getroffen hat, weder bei den Oscars noch bei der Hommage. Ihre Kostümsprache ist erlesen und fällt immer ins Auge; gleichviel, in welchem Genre sie arbeitet. Ihr Stil, der dezent sein kann, aber nie in den Hintergrund treten mag, passt wundervoll zum Extravaganten, etwa den expressionistisch aufleuchtenden Primärfarben von »Dick Tracy« oder den Pastelltönen von »Marie Antoinette«, bei dem man den Eindruck hat, in eine Vitrine der Patisserie Ladurée gestolpert zu sein.
Canonero schafft aber nicht nur Schauwerte. Ihre Kostümgestaltung gibt Aufschluss über die Charaktere, deren Entwicklung und die Milieus, in denen sie sich bewegen. Schauspieler und Kostümbildner sprechen gern von der zweiten Haut, zu denen die Kleidung beim Spiel werden soll. Sie hilft, die Figur zu entdecken, sich in sie einzufühlen. Die Kostüme verhüllen die Persönlichkeit der Tragenden nicht, sondern heben sie hervor.
In diesem Fall ist es umso bedauerlicher, dass die Hommagen der Berlinale nicht mehr mit einer eigenständigen Publikation begleitet werden, welche die Leistungen der Geehrten ausführlich porträtiert und analysiert. Andererseits gibt es ein solches Büchlein schon in deutscher Sprache, erschienen in der Reihe »Film-Konzepte« bei der edition text+kritik. Der Band ist schmal, aber ausgezeichnet. Ich habe den Eindruck, jeder Artikel, der bislang zur Hommage erschienen ist, hat sich ausgiebig von ihm inspirieren lassen. (Das gilt auch für diesen, und auch mir ist es nicht gelungen, den Hinweis auf die Makronen von Ladurée fortzulassen.) Aufschlussreich fand ich etwa den Beitrag von Daniela Sannwald über die Zusammenarbeit mit Kubrick. Fast machte er Lust, sich wieder mit dem Regisseur zu beschäftigen. Besonders spannend fand ich ihre Lesart von »The Shining« als einer Ehestudie. Wie die meisten Autorinnen betont sie Canoneros Ausstrahlung auf die Modewelt, die sich in den »Overlook«- und »Barry Lyndon«-Defilés von Alexander McQueen zeigt. Im Kapitel über »Jenseits von Afrika« kommt selbstredend zur Sprache, wie stilbildend Canoneros »Safari-Look« in den 80ern war. Tatsächlich ist das Wechselspiel mit der Mode etwas komplexer, schließlich hat Yves Saint-Laurent die Safari-Jacke schon 1968 populär gemacht. Lesenswert ist auch Susanne Marschalls Text über die Filme mit Wes Anderson, wo die »Kostümdramaturgie« Canoneros sich nahtlos in das Design bunter Gegenwelten zur Wirklichkeit fügt. Susanne Vills Beitrag über Canoneros Kostüme für die Opernbühne weckt Neugier. Luc Bondys Inszenierungen funktionieren meist auch noch als Aufzeichnung sehr gut; vielleicht gibt es einige auf DVD.
Mit dem ersten Satz im Vorwort der Herausgeberin Fabienne Liptay hadere ich hingegen: »Kostüme sollen den Eindruck erwecken, dass sie selbstverständlich getragen werden….« Das scheint mir bei Canonero nicht wirklich zuzutreffen. Vielmehr betonen ihre Kostüme das Außerordentliche, schmiegen sich Ausnahmeexistenzen und -situationen an. Gerade die Historienfilme führen das vor Augen. Dies ist auch eine Frage der Überlieferung. Vergangene Epochen sind uns wesentlich aus Gemälden von höfischen Szenen und weniger aus Alltagsstudien präsent (die niederländische Malerei macht eine Ausnahme). Und auch die frühe Fotografie zeigt selten Menschen in ihrer Alltagskleidung (man denke nur an August Sanders Jungbauern auf dem Wege zu einem Tanzvergnügen); Porträtierte legten lieber ihren Sonntagsstaat an, wenn sie vor die Kamera traten.
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