Interview: Makoto Shinkai über »Suzume«

»Suzume« (2022). © Wild Bunch

»Suzume« (2022). © Wild Bunch

Herr Shinkai, in der gestrigen Pressekonferenz haben Sie erwähnt, dass in Animationsfilmen vieles möglich ist, was das Publikum nicht akzeptieren würde, wenn der Film als Problemfilm angekündigt würde. Wie finden Sie genau heraus, was die Zuschauer bereit sind zu akzeptieren? Wohl nicht erst in Testvorführungen des fertigen Films vor einem Publikum. Zeigen Sie zuvor Teile des Films oder schon die Storyboards auch Externen? Und wie ist das im Besonderen, wenn die Protagonistin wie in diesem Film ein junges Mädchen ist?

Sie haben Recht, die Hauptfigur ist auf den ersten Blick weit entfernt von mir, aber ich würde sagen, es gibt Aspekte bei ihr, mit  denen ich mich sehr gut identifizieren kann. Ihre Probleme sind universeller Natur und ich kann mich noch gut erinnern, wie es mir in ihrem Alter ging. Darauf basierend schrieb ich die Story.

Wie genau sieht Ihr Arbeitsprozess aus? 

Ich habe fünf Monate gebraucht, um mir die Geschichte zu überlegen, im nachfolgenden halben Jahr haben wir sie ausgearbeitet und überarbeitet. Das war wie ein Puzzle, bei dem ich die verschiedenen Aspekte immer wieder neu zusammengesetzt habe. Der Arbeitsprozess sieht so aus, dass ich Storyboards und Drehbuch erstelle und dann die Dialoge aufnehme, wobei ich erst einmal alle Stimmen selber spreche. Das gibt einen zweistündigen Film, den ich verschiedenen Personen zeige um Feedback zu bekommen. Das Storyboard ist dabei sehr einfach gehalten, so dass es für jeden verständlich ist.

Wie steht es um die Verknüpfung von realen – noch nicht weit zurückliegenden – Katastrophen mit Motiven aus der Mythologie? War das ein organischer Prozess? Stand einer der beiden Aspekte am Anfang? Klimaveränderungen und Naturkatastrophen spielen ja generell eine wichtige Rolle in Ihren Filmen. Wie entscheiden Sie über deren daramaturgische Einbindung in die Geschichte?

Ja, in meinen drei Filmen steht das im Zentrum. Das war eigentlich nicht die Absicht, aber wenn man sich mit dem gegenwärtigen Japan beschäftigt, kann man diesen Aspekt der Naturkatastrophen einfach nicht ignorieren. Das gilt im Übrigen nicht nur Japan, sondern trifft überall auf der Welt zu. Auch wenn wir zehn, zwanzig Jahre in die Zukunft blicken, stellen wir fest, dass wir uns an ein Leben mit solchen Katastrophen gewöhnen müssen.
 
Japanische Mythologie spielt in Ihren Geschichten eine große Rolle. Wie können Sie dabei sicher sein, dass diese Bezüge auch außerhalb Japans verstanden werden? Hat auch das Öffnen und Wiederverschließen von Türen, das im Film zu Suzumes Aufgabe wird, solche mythologischen Bezüge? 

So ist es. Es gibt eine japanische Göttin, die Türen öffnet und schließt. Ich war zuerst ein wenig besorgt über die Idee der Türen, weil mich das an den Pixar-Film »Monsters Inc.« erinnerte. Für mich sind die Türen auch ein Symbol des täglichen Lebens, wo wir fortwährend Türen öffnen. In Japan gibt es den Satz »Ich bin weg, wir sehen uns.« Der beinhaltet, dass wir zurückkehren werden. Wenn eine Naturkatastrophe eintritt, bedeutet das auch, dass Menschen nicht zurückkommen können. Mythologie ist in der Tat eine wichtige Inspirationsquelle, sie hat ähnliche Strukturen in jeder Kultur, die Archetypen der Geschichten basieren auf solchen Mythologien. 

Die männliche Hauptfigur von »Suzume« wird ziemlich schnell nach Beginn der Geschichte in einen Stuhl verwandelt. Warum gerade ein Stuhl?

Herz des Films ist die Naturkatastrophe, die sich Jahre zuvor in Japan ereignete, das ist eine ziemlich tragische Angelegenheit. Deshalb suchten wir nach einem Begleiter von Suzume, der gleichermaßen komisch und einzigartig sein sollte. Warum ein Stuhl? Ich würde sagen, in unserer Kindheit haben Stühle eine ganz besondere Bedeutung für uns. Mein Vater zum Beispiel hat für mich in meiner Kindheit ebenfalls einen Stuhl gezimmert. Für ein Kind ist ein Stuhl ein Objekt, das es gern hat und wertschätzt.

Das Happy End von »Suzume« ist nicht ganz ungebrochen, wenn wir an die männliche Hauptfigur denken...

Mein früher Film »5 Centimeters per Second« erzählte von einer ersten Liebe, die ohne Happy End blieb. Dafür bekam ich positive Reaktionen von Zuschauern, die diese Erfahrung selber gemacht hatten. Nach der Naturkatastrophe von 2011 – die in der Tat ein einschneidendes Ereignis für mich war – hatte ich allerdings den Eindruck, ich müsse den Zuschauern ein Stück Hoffnung mit auf den Weg geben: dass es eine bessere Zukunft gibt, wenn wir uns darum bemühen.

Sie haben gestern in der Pressekonferenz erwähnt, dass Sie für Ihre Storyboards Computer benutzen. Inwieweit verändert der Einsatz von Computern die Animes? Im Westen sind die meisten Animationsfilme heutzutage computergeneriert – in Japan haben Animes eine starke Tradition, ist diese trotzdem durch Computeranimation gefährdet?

Wir erleben in Japan, dass viele erfahrene Animatoren älter werden, die ihr Handwerk noch in der traditionellen Animation erlernt haben. Dadurch geht etwas verloren. Computer helfen uns – der Stuhl etwa ist mittels dreidimensionalem CGI entstanden. In der Zukunft werden wir verstärkt auf digitale Technologien zurückgreifen, um das Überleben der Animationsfilmindustrie in Japan zu sichern.

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