Ein Wechselbalg
Éric Besnard hat ein Händchen für Wohlfühlkomödien. »Die einfachen Dinge«, der am Donnerstag angelaufen ist, bestätigt das. Allerdings liegt ihm auch das Gegenteil. Beispielsweise hat er für Mathieu Kassovitz das Drehbuch zu der ruppigen Dystopie »Babylon A.D.« geschrieben, bei dem man sich in wirklich jeder Hinsicht unwohl fühlen darf.
Besnards Filmographie mag einen nicht ganz so aufreizenden Spagat darstellen wie ihn etwa Takeshi Kitano/ Beat Takeshi lange Zeit einübte. Dennoch stellt sie auf faszinierende Weise die Frage nach der Vereinbarkeit: Wie gehen seine Gesellenstücke bukolischer Verzückung (»Birnenkuchen mit Lavendel«, »À la Carte! - Freiheit geht durch den Magen«) zusammen mit den Action-Filmen und Krimis, für die er als Drehbuchautor verantwortlich zeichnet? Auf der einen Seite also Filme, die in einem heiteren Einverständnis mit der Welt (oder zumindest den Fügungen der Happy Ends) ausklingen und auf der anderen solche, die in der Tradition des französischen polar angehören, dem ein robuster Pessimismus innewohnt. Diese Oppositionslinien verlaufen nicht absolut, es gibt Schnittmengen. Er selbst hat zwei Krimis inszeniert (»Ca$h« , »600 Kilo pures Gold«) und im Gegenzug auch Komödien für andere Regisseure geschrieben (»Fasten auf Italienisch«, » Unter Freunden«). Zudem findet in der Besetzung der Krimis eine interessante Annäherung statt, denn die Hauptrollen übernehmen meist Darsteller, die vor allem als Komödianten bekannt wurdent: Clovis Cornillac, Jean Dujardin, Albert Dupontel, Jean Reno.
Wie Sie an den oben genannten Filmtiteln ermessen können, ist Besnard nicht unbedingt ein Filmemacher, der die Phantasie von Filmkritikern nachhaltig beflügelt. Man muss ihn nicht zum Auteur erklären. In den unterschiedlichen Registern schürft er selten tiefer, als es jeweils der Unterhaltungswert verlangt. Er schätzt die Konventionen hoch, im schlimmsten Fall auch die Formelhaftigkeit. Wenn er mal mit den Gereimtheiten bricht, hebt er die Genres nicht gleich aus sämtlichen Angeln. Immerhin bereitete es ihm eine gewisse Genugtuung, dass Pierre sich in »Birnenkuchen und Lavendel« der Drehbuchregel widersetzt, die besagt, dass sich eine Figur sich im Verlauf des Films verändern muss. Er leidet weiterhin am Asperger-Syndrom. Dafür wandelt sich der Blick der anderen auf ihn.
Von einem Werk zu sprechen, klänge in seinem Fall vielleicht etwas zu hochtrabend. Allerdings ist er in beiden Disziplinen seit Beginn des Jahrtausends viel beschäftigt. Schaffenskrisen mag man einem wie ihm eher nicht zutrauen. Ich vermute vielmehr, seine Arbeit macht ihm Spaß. Jedenfalls verraten die Filme eine gewisse Lust am Gelingen. Oder besser: eine Neugier darauf, wie die Dinge funktionieren. Wahrscheinlich mag ich deshalb »Vidocq – Herrscher der Unterwelt« ganz gern, wo sich Vincent Cassel und sein Regisseur Jean-Francois Richet erneut zusammengetan haben, um einen Staatsfeind Frankreichs zu porträtieren. In der Figur des Meisterdiebs und Ausbrecherkönigs kommt eine der Grundlagen der französischen Krimi-Tradition zu tage, die innere Verwandtschaft von Gangster und Polizist. Vidocq wird zu einem so erfolgreichen und stilbildenden Gesetzeshüter, weil er die Gewohnheiten der Verbrecher aus eigener Anschauung genau kennt. Mir gefällt auch, wie sich Vidocq und sein erbitterter Verfolger und Rivale (eine schöne Rolle für Denis Ménochet) am Ende zusammenraufen. Das ist freilich auch ein Motiv in vielen Komödien Besnards: die Widerstände, die dramaturgisch notwendig sind, bevor stolze Menschen an einem Strang ziehen können.
Eine individuelle Handschrift zeigt sich darin mitnichten, womöglich noch nicht einmal ein Wasserzeichen. Immerhin können seine Krimis häufig mit unverbrauchten Schauplätzen und Milieus aufwarten. Die Innenansichten der Sicherheitsfirma, für die Albert Dupontel in »Cash Truck – Der Tod fährt mit« Geldtransporte begleitet, fand Guy Ritchie so interessant, dass er ein Remake drehte. Besnards Beitrag ist auch insofern schwer zu bestimmen, als mit Regisseuren oder Co-Autoren weitere kreative Variablen hinzukommen. Kad Merad erzählte mir während eines Interviews zu »Fasten auf Italienisch« einmal, wie sich der Stoff im Verlauf der Dreharbeiten allmählich veränderte. Ursprünglich sollte das eine leichte, überdrehte Komödie werden, aber dann trat das Element des alltäglichen Rassismus' und einer fremdenfeindlichen Bürokratie stärker hervor. Das bemerkten sie noch nicht beim Dreh, wohl aber im Schneideraum. Merad fand, der Film sei eine Spur bitterer geworden.
Ich vermute, Besnard denkt stark von der Konstruktion her, weshalb er bei der Figurenzeichnung auch gern auf Archetypen vertraut. Die Helden seiner Action-Szenarien wollen oft den Tod ihrer Söhne rächen, in »Ca$h« ist es der Bruder, für den Vergeltung geübt werden soll. Nicht selten sind Besnards Charaktere verwitwet, was in „Birnenkuchen und Lavendel“ von zentraler Bedeutung ist und in »Die einfachen Dinge« den wichtigen Nebenstrang der Beziehung zur Schwägerin prägt. Dieser Familienstand steckt voll erzählerischem Potenzial. Er setzt einerseits eine gewisse Lebenserfahrung der Figuren voraus, einen Verlust, der verwunden werden muss. Danach dringt das Leben auf einen Neuanfang, zumal einen romantischen. Besnard wird seine Arbeit in mehreren Registern gewiss nicht als Schizophrenie erscheinen. Er schätzt sie bestimmt als Spielfelder des eigenen Savoir-faire, Auch in den Krimis gibt es ein Versprechen der Erfüllung, der üppigen Beute. Des Lebens Überfluss, den er in seinen Komödien beschwört, erhält hier eine Kehrseite. »Birnenkuchen und Lavendel« heißt im Original »Les Merveilles«, womit nicht nur Virginie Efras köstliches Gebäck gemeint ist, sondern eben auch die Wunder. Manchmal, und nun gerade in »Die einfachen Dinge«, ist in Besnards Arbeit die Hoffnung des inspirierten Handwerkers zu spüren, dass sich auf der Leinwand Magie einstellen möge.
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